Im Pharma Fakten-Interview erklärt Dr. Franz Böhme  Leiter Medical Affairs Onkologie/Hämatologie bei Bayer Vital  wie Radioaktivität in der Therapie von Krankheiten zum Einsatz kommt. Foto: © Gorodenkoff Productions - iStock
Im Pharma Fakten-Interview erklärt Dr. Franz Böhme Leiter Medical Affairs Onkologie/Hämatologie bei Bayer Vital wie Radioaktivität in der Therapie von Krankheiten zum Einsatz kommt. Foto: © Gorodenkoff Productions - iStock

„Die Welt ist unser Labor“

Gemeinsam ist man stärker: Dieser Gedanke steht hinter der European Lead Factory (ELF) – eine öffentlich-private Partnerschaft von sieben Pharmafirmen, mehreren kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) sowie akademischen Institutionen. Sie wurde 2013 mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Entwicklung von Arzneimitteln zu beschleunigen. Dazu schufen die Beteiligten eine riesige, gemeinsame Substanzbibliothek. Fünf Jahre später umfasst sie über 500.000 Moleküle – die für die Wirkstoffforschung genutzt werden können.

Wer eine Krankheit bekämpfen will, muss sie gut kennen: Denn um ein Arzneimittel entwickeln zu können, müssen Wissenschaftler zunächst ein geeignetes „target“, eine Art Zielscheibe, identifizieren. Dabei handelt es sich meistens um ein Molekül, das im Krankheitsprozess eine wichtige Rolle spielt. Das ist leichter gesagt, als getan: In einem Krankheitsprozess sind viele verschiedene Moleküle involviert; und nur die wenigsten davon eignen sich als Angriffspunkt für einen Wirkstoff. 

Haben die Wissenschaftler ein geeignetes Target gefunden, suchen sie nach Substanzen, die seine Wirkung beeinflussen könnten. Dabei beschränken sich Pharmaforscher in der Regel auf die (öffentlich nicht zugänglichen) Substanzbibliotheken des eigenen Unternehmens. Diese umfassen oft mehrere Millionen Moleküle – und bilden dennoch immer nur einen begrenzten chemischen Raum ab.

© Janssen
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Forschung anders denken

Der Weg von einem Molekül hin zu einem Wirkstoff ist lang – und die Medikamentenforschung wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Im Rahmen der ELF beschlossen die Beteiligten daher, ihre Kräfte zu vereinen und eine gemeinschaftliche Substanzbibliothek aufzubauen. Über 300.000 chemische Verbindungen haben Pharmaunternehmen aus ihren eigenen Beständen bereitgestellt; weitere rund 200.000 Substanzen wurden in gemeinschaftlicher Anstrengung von KMUs und akademischen Forschungspartnern neu entwickelt. Das Konzept hinter dieser so noch nie da gewesenen Partnerschaft lautet „Open Innovation“. Soll heißen: Forschung wird nicht mehr ausschließlich im eigenen Labor betrieben, sondern wird Teil eines umfassenden Wissens- und Erfahrungsaustausches.

 „Ideen für mögliche Wirkstoffkandidaten können überall entstehen – nicht nur in unseren Laboren“, erklärt Herman van Vlijmen, Senior Direktor Forschung & Entwicklung bei Janssen in Belgien. Er betreut seitens des forschenden Pharmaunternehmens die Partnerschaft in der ELF. „Unser Motto lautet: Die Welt ist unser Labor. Wir wollen Forschung anders denken und in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit betreiben, um die besten Lösungen für die Patienten zu finden.“ Zwar haben Akademiker oder Forscher kleiner Unternehmen oft gute Ideen für neue Therapien; „aber irgendwann kommen sie eventuell an den Punkt, an dem sie nicht mehr weiterkommen, weil die Ressourcen fehlen“, so van Vlijmen.

„Innovation Gap“ überbrücken

Dieses “Innovation Gap” gilt es zu überbrücken. Die ELF rief daher Forscher von akademischen Institutionen und KMUs dazu auf, sich mit ihren Ideen für neue Therapieansätze zu bewerben. Aus ganz Europa gingen zahlreiche Anträge mit potenziellen Targets verschiedenster Erkrankungen ein. 88 von ihnen wurden bislang von den Verantwortlichen akzeptiert; bei 72 wurde inzwischen ein sogenanntes Hochdurchsatz-Screening, bei dem durch unterschiedliche Testverfahren die Wechselwirkung des jeweiligen Targets mit den Substanzen in der Substanzbibliothek geprüft wird, durchgeführt (Stand: 29.03.2018).

Ziel davon ist, dass dem Antragsteller – dem „Target Owner“ – im Anschluss eine „Qualified Hit List“ zur Verfügung gestellt wird. Darin sind bis zu fünfzig Treffer, also diejenigen Substanzen, die mit dem Target interagieren, dokumentiert. „Anhand dieser Ergebnisliste können die Forscher dann entscheiden, ob und wie sie ihren Ansatz weiterverfolgen möchten“, erklärt van Vlijmen von Janssen. „Sie haben auch die Möglichkeit, Partnerschaften mit den beteiligten Pharmaunternehmen einzugehen.“ Soll heißen: „Bei der ELF geht es auch darum, längerfristige Partnerschaften für weitere Forschung zwischen Unternehmen und Akademikern aufzubauen.“ 

© Boehringer Ingelheim
© Boehringer Ingelheim

Inzwischen wurden über 4.500 „Treffer“-Substanzen (Stand: 26.02.2018) an Target Owner von akademischen Einrichtungen und KMUs überreicht, um sie im Zuge der Medikamentenentwicklung weiter erforschen zu können. Und auch die beteiligten Pharmaunternehmen wie Janssen nutzen regelmäßig die Substanzbibliothek für eigene Screenings – in der Hoffnung hier einen geeigneten Baustein für ein innovatives Medikament zu finden. 

Silodenken überwinden

Bis Ende Mai geht nun noch die offizielle Laufzeit des von der Innovative Medicines Initiative (IMI) geförderten ELF-Projektes. Noch ist unklar, ob und wie es danach weitergeht. Fakt aber ist: „Die ELF ist ein gelebtes Beispiel dafür, wie wir von Silodenken und Insellösungen wegkommen können. Es geht um Open Innovation“, meint van Vlijmen. „Ich halte es grundsätzlich für wichtig, dass Zusammenarbeit passiert und institutionalisiert wird. So können wir Forschung besser und effektiver machen und die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung schneller in innovative Medikamente umsetzen.“

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