Bei Disease Interception werden Menschen mit einem sehr hohen Erkrankungsrisiko durch eine individuelle Diagnose identifiziert und medizinisch überwacht. Foto: CC0 (Stencil)
Bei Disease Interception werden Menschen mit einem sehr hohen Erkrankungsrisiko durch eine individuelle Diagnose identifiziert und medizinisch überwacht. Foto: CC0 (Stencil)

Digitalisierung: Schneller neue Medikamente durch Künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als eine der Antriebskräfte der digitalen Revolution. Aber kann KI auch dabei helfen, besser und schneller Medikamente zu entwickeln? Laut einer Umfrage glaubt das die Hälfte aller Deutschen. Und in der Tat: Durch den immer gezielteren Zugriff auf immer hochwertigere Daten kann das maschinelle Lernen dazu beitragen, die Arzneimittelentwicklung zu optimieren. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass die Wissenschaft ohne die Nutzung von Computertechnik den nächsten Entwicklungsschritt nicht gehen kann.

Die Patientin kam mit starken Beschwerden. Die Ärzte diagnostizierten eine akute myeloische Leukämie (AML), aber Therapieversuche blieben vergeblich. Schließlich fragten die Ärzte an der Klinik in Tokio den legendären Watson. Der Supercomputer von IBM brauchte 10 Minuten, um die DNA der Patientin mit vielen Millionen Daten aus Krebsstudien abzugleichen und ähnliche Fälle zu analysieren. Watson entdeckte in der DNA der Patientin mehr als eintausend Mutationen und konnte herausfiltern, welche dieser Mutationen diagnostisch von Bedeutung waren. Das Ergebnis: Die Frau litt an einer seltenen Form der Leukämie, die weltweit bisher nur 41 Mal diagnostiziert wurde. Die Ärzte hatten eine falsche Diagnose getroffen. Eine Stärke von Watson ist übrigens, dass er Semantik  in Perfektion beherrscht. Deshalb kann er nicht nur Medizinakten „verstehen“. Ihm wird sogar nachgesagt, „Juristen-Jargon“ in eine allgemeinverständliche Sprache übersetzen zu können. Hut ab, Watson.

Künstliche Intelligenz, Foto: © iStock.com/metamorworks
Künstliche Intelligenz, Foto: © iStock.com/metamorworks

Künstliche Intelligenz (engl. Artificial Intelligence) hat das Zeug, Medizin und Forschung ganz neue Impulse zu geben. Beispiele gibt es mittlerweile einige: Ein neuronales Computernetzwerk war Hautärzten in der Diagnose von Melanomen überlegen. An der Stanford University entwickelten Forscher einen Algorithmus, der besser als Radiologen eine Lungenentzündung diagnostizieren konnte. Offenbar schaffte es der Rechner die „intrinsischen Limitationen menschlicher Wahrnehmung und Voreingenommenheit zu überwinden“, so einer der Beteiligten. Schlagzeilen machte auch der chinesische Roboter, der im November 2017 das Medizinexamen bestand – und dabei sogar besser abschloss, als es nötig gewesen wäre.

Künstliche Intelligenz: „Sie kann den Forscher besser machen“

Ist also die Maschine schon heute der bessere Arzt, der bessere Forscher? Data Scientist Lars Greiffenberg vom Pharmaunternehmen AbbVie hat dazu eine klare Meinung: Für ihn ist der Mensch der bessere Forscher. „Im Moment auf jeden Fall noch. Das kann man ganz klar sagen. Die Maschine kann höchstens dem Menschen die Arbeit erleichtern“, erklärt er in vfa-Tonspur, einem Podcast des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen: „Sie kann den Forscher besser machen.“ Und auch Professor Arinobu Tojo, der die Untersuchungen der Leukämie-Patientin in Tokio geleitet hat, sagt: „Wir wären letztendlich zu denselben Ergebnissen gekommen, in dem wir manuell durch die Daten gegangen wären. Aber Watsons Geschwindigkeit ist bei der Behandlung von Leukämien letztlich zentral, denn die Krankheit schreitet schnell voran und kann Folgekomplikationen auslösen.“ Wofür sich Watson zehn Minuten verausgabte, hätte sein Team mindestens zwei Wochen gebraucht.

Die zentrale Herausforderung: Es entsteht ständig neues Wissen. Pro Tag, so erzählt Greiffenberg, erscheinen acht- bis zehntausend neue wissenschaftliche Publikationen. Selbst ein hoch spezialisierter Forscher hat keine Chance, in seinem Fachgebiet ständig auf dem neuesten Stand zu sein. Aber das ist vielleicht nicht einmal das Entscheidende. Als Data Scientist versteht Greiffenberg sich als Brückenbauer zwischen den verschiedenen Disziplinen: „Es gibt Mechanismen, also molekulare Mechanismen, die die Krankheit hervorrufen sowohl im Bereich der Onkologie als auch im Bereich der Neurologie – d.h. die Biologie benutzt ähnliche Konzepte und Prozesse in unterschiedlichen Krankheiten.“ Aber Neurologen und Onkologen tauschen sich eher selten aus – und können also von den Erkenntnissen in der jeweils anderen Indikation gar nicht profitieren. Es sei denn, sie treffen sich auf einem Kongress und stellen fest, dass sie gerade am gleichen Problem forschen. Das ist Fortschritt nach dem Prinzip Zufall.

Der Computer kann lesen – 24 Stunden, 7 Tage lang

Hier spielt der Computer sein Können aus: Er kann nicht nur an sieben Tagen 24 Stunden lang lesen, er kann auch indikationsübergreifend Verknüpfungen herstellen: „Wir helfen dem Zufall auf die Sprünge“, nennt das Greiffenberg. Voraussetzung ist, dass der Computer weiß, wonach er suchen soll und wo. Ähnlich wie das menschliche Gehirn kann er Gedankennetzwerke anlegen – er erkennt Begriffe und kausale Zusammenhänge: „Er kann verstehen, welche Elemente wie zusammenhängen, z.B., dass ein bestimmtes Protein ein anderes aktiviert und dieses aktivierte Protein für eine Krankheit verantwortlich ist. Diese Ketten kann er bauen.“

Macht die KI die Arzneimittelentwicklung also besser und schneller? „Beides. Wir sind davon überzeugt, dass viele Entdeckungen aufgrund der Datenflut, in der man quasi erstickt, gar nicht möglich sind. Zum einen, weil niemand alles lesen kann, zum anderen aber auch weil man nicht dafür sorgen kann, dass immer Experten sich mit völlig fachfremden Experten permanent unterhalten.“ So kann aus Datenflut brauchbares Wissen werden – aus Big Data wird Smart Data. Und aus einem guten Forscher ein noch besserer.

Weiterführende Links:

https://www.pwc.de/de/managementberatung/pwc-umfrage-deutsche-halten-kuenstliche-intelligenz-fuer-nuetzlich-sehen-aber-auch-risiken.html

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