Bei einer Online-Veranstaltung sprachen Expert:innen des Gesundheitswesens über Chancen und Herausforderungen von Zell- und Gentherapien. Einig waren sich alle: Sie sind ein Gamechanger. Foto: ©iStock.com/metamorworks
Bei einer Online-Veranstaltung sprachen Expert:innen des Gesundheitswesens über Chancen und Herausforderungen von Zell- und Gentherapien. Einig waren sich alle: Sie sind ein Gamechanger. Foto: ©iStock.com/metamorworks

Gen- und Zelltherapien: „Eine neue Ära der Medizin“

Zunehmend mehr Gen- und Zelltherapien befinden sich in der Forschung und Entwicklung. Auf ihnen liegen große Hoffnungen: Krankheiten wie seltene Krebsarten, für die es bislang keine Therapien gibt, könnten behandelbar oder heilbar werden; sie könnten zudem das Management häufigerer Leiden wie HIV oder Alzheimer auf den Kopf stellen. Als eine „neue Ära der Medizin“ bezeichnen die beiden US-amerikanischen Pharmazeutinnen Adrienne Brennan und Marcie Morris das. In einem Bericht haben sie sich angeschaut, welche Herausforderungen diese innovativen Therapieansätze mit sich bringen.

„Der Weg der Gen- und Zelltherapie-Entwicklung war weder schnell noch einfach“, schreiben Dr. Brennan und Dr. Morris in ihrem Whitepaper „Gene & Cell Therapy: A New Age of Medicine“. „Obwohl das Konzept, mittels Gentherapie Krankheiten zu behandeln, 1972 von Theodore Friedmann and Richard Roblin dargelegt wurde, hat es bis in das Jahr 1990 gedauert, dass die erste Studie mit einer Gentherapie an den National Institutes of Health […] durchgeführt wurde“. 2012 bekam die erste Gentherapie in der westlichen Welt von der Europäischen Kommission grünes Licht. Es handelte sich um ein Präparat gegen eine seltene, schwere Fettstoffwechselstörung.

CAR-T-Zelltherapie: Im Kampf gegen Krebs mit körpereigenen Zellen. 
Foto: ©iStock.com/wildpixel
CAR-T-Zelltherapie: Im Kampf gegen Krebs mit körpereigenen Zellen.
Foto: ©iStock.com/wildpixel

„Es gibt nun 16 Gen- und Zelltherapien, die eine Zulassung für den Einsatz in den USA haben“, so Brennan und Morris (Stand: 25.11.2020). Darunter ist etwa ein Präparat, das ein abgeschwächtes, gentechnisch verändertes Herpes-Virus nutzt, um einen Tumor – ein Malignes Melanom – zu bekämpfen. Darunter sind sogenannte CAR-T-Zelltherapien, die im Kampf gegen Krebs mit körpereigenen Zellen der Patienten und Patientinnen sowie mit modernster Gentechnik arbeiten. Innovative Gentherapien können heute auch gegen eine Form der Erblindung oder bei einem seltenen Nervenleiden (Spinale Muskelatrophie) zum Einsatz kommen.

2025: Bis zu 20 Zulassungen für Gen- und Zelltherapien pro Jahr?

„Gen- und Zelltherapien verfolgen beide eine ähnliche Idee, nämlich: Krankheiten zu heilen oder zu behandeln, indem neue Zellen oder DNA [in den Körper der Betroffenen, Anm. d. Red.] eingeführt und so die zugrundeliegenden Ursachen genetisch bedingter sowie erworbener Leiden in Angriff genommen werden“, so die Pharmazeutinnen. Laut dem amerikanischen Pharmaverband PhRMA sind fast 400 Kandidaten in klinischer Entwicklung (s. Pharma Fakten, 2020). „Das entspricht einem Anstieg von 25 Prozent […] im Vergleich zu der Analyse aus dem Vorjahr“, stellen Brennan und Morris fest. Die FDA gehe davon aus, im Jahr 2025 bis zu 20 neue Gen- und Zelltherapien jährlich zuzulassen. In dem Whitepaper der beiden Frauen sind über 40 Präparate gelistet, die bereits in der späten Phase der klinischen Entwicklung (Phase III) sind oder für die ein Zulassungsantrag gestellt wurde (Stand: 25.11.2020).

Der Fokus der Forschung und Entwicklung in diesem Bereich liegt momentan auf der Onkologie sowie den seltenen Erkrankungen (je ein Drittel der Prüfpräparate). Allerdings sind viele der seltenen Erkrankungen Krebsleiden – somit sind Tumoren Angriffsziel Nummer 1. Doch auch für HIV, Alzheimer oder Herz-Kreislauferkrankungen könnten eines Tages womöglich Gen- und Zelltherapien zur Verfügung stehen.

Gen-/Zell-Therapien: Hoffnung für schwer erkrankte Menschen. 
Foto: ©iStock.com/AnnaStills
Gen-/Zell-Therapien: Hoffnung für schwer erkrankte Menschen.
Foto: ©iStock.com/AnnaStills

Innovationen bringen neue Herausforderungen

„Während die potenziellen Einsatzfelder von Gen- und Zelltherapien breitgefächert sind, ist die Entwicklung nicht ohne Herausforderungen“, heißt es in dem Bericht weiter. „Ein Aspekt ist die Komplexität.“ Zwar werden manche Erkrankungen durch die Mutation eines einzelnen Gens hervorgerufen; doch „viele andere werden durch Mutationen in zwei oder mehr Genen verursacht“. Hinzu kommen Umwelteinflüsse, die zum Verlauf einer genetischen Krankheit beitragen können. Das macht die Erforschung der Leiden nicht gerade einfacher.

Und: „Die Zahl der Patienten und Patientinnen mit seltenen genetischen Krankheiten ist sehr niedrig“. Nicht nur ist es ggf. erforderlich, die Therapie auf jeden Betroffenen spezifisch zuzuschneiden. Auch ist es eine Herausforderung genügend Teilnehmende für klinische Studien zu rekrutieren. „Das kritischste Thema in der Entwicklung dieser Art von Therapien sind wohl die Kosten im Vergleich zum Wert“ (value). Hohe Kosten für die Forschung treffen auf wenige Erkrankte. Die Folge: „Ein hoher Preis ist für Herstellerfirmen oft erforderlich, um Ertrag aus dem investierten Kapital zu generieren“. Allerdings „argumentieren Herstellerfirmen, dass die anfänglichen Kosten in vielen Fällen die langfristigen Einsparungen wert sind“. Schließlich sind ohne eine Heilung versprechende Gentherapie wiederkehrende Behandlungen, Arzt- und Krankenhausbesuche oder auch Laboruntersuchungen notwendig – wie zum Beispiel bei der seltenen Bluterkrankheit Hämophilie (s. Pharma Fakten).

Gen- und Zelltherapien: Neue Bezahlmodelle?

Trotzdem bringen die Kosten von innovativen Gen- und Zelltherapien Herausforderungen mit sich. Zumal es sich um neuartige Behandlungsansätze handelt, die im medizinischen Alltag erst noch unter Beweis stellen müssen, ob ihr therapeutischer Nutzen wirklich von Dauer ist. Daher „werden Kostenträger vermutlich nach alternativen Finanzierungs- und Bezahlmodellen suchen – anstelle hoher Vorauszahlungen.“ Verschiedene Methoden werden momentan diskutiert. Darunter ist zum Beispiel das „Pay for performance/outcomes“-Modell als eine Art erfolgsabhängige Vergütung. Die Idee dahinter: Bezahlt werden die Herstellerfirmen über festgelegte Zeiträume nach den Behandlungsergebnissen und dem klinischen Erfolg.

Gen-/Zell-Therapien: Der Herstellungsprozess braucht hochspezialisiertes Wissen. 
Foto: ©iStock.com/metamorworks
Gen-/Zell-Therapien: Der Herstellungsprozess braucht hochspezialisiertes Wissen.
Foto: ©iStock.com/metamorworks

Eine entscheidende Frage in Bezug auf die Erstattung ist die nach dem „Wert“ einer Therapie. Reicht es, zu gucken, wie viel eine Innovation im Vergleich zu den momentan verfügbaren Medikamenten einsparen kann? Oder spielen nicht weitere Faktoren eine Rolle? „Kann die Gesellschaft Therapien, die lebensbedrohliche Erkrankungen heilen, einen höheren Wert zusprechen als anderen Behandlungen mit einem signifikant niedrigeren medizinischen Impact“, fragen Brennan und Morris beispielsweise. Inwiefern entsteht ein Nutzen, wenn Menschen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können? Welche Rolle spielt es, wenn die Notwendigkeit für Pflegeleistungen reduziert wird oder die gesellschaftliche Leistungsfähigkeit steigt?

Selbst, wenn derart komplexe Fragen geklärt sind, bleiben weitere Barrieren, die Gen- und Zelltherapien auf dem Weg zu den Patienten und Patientinnen überwinden müssen. Da sind die logistischen Herausforderungen. „Der Herstellungsprozess […] ist ziemlich beschwerlich und braucht viel Investment und Zeit.“ Eine Massenproduktion ist oft nicht möglich, wenn die Therapien auf die Einzelpersonen zugeschnitten werden. Nach der Meinung von Brennan und Morris könnten v.a. Spezialapotheken, die bereits Erfahrung im Umgang mit ähnlich sensiblen und speziellen Präparaten haben, in der Distribution (inkl. Lagerung, Management, Handling, Transport) eine wichtige Rolle spielen.

Gen- und Zelltherapien: Hoffnung für Millionen Menschen

Gen- und Zelltherapien bedeuten einen Paradigmenwechsel. „Diese beeindruckenden Technologien geben Millionen Patienten und Patientinnen Hoffnung […] für die Zukunft.“ Gegenüber Pharma Fakten erklärte etwa der Arzt und Hämophilie-Experte Dr. Georg Goldmann, dass für viele Betroffene „eine Gentherapie schon ein Traum“ wäre. In diesem Sinne gilt es, Barrieren in Sachen Preisgestaltung, Erstattung, Herstellung oder Distribution zu überwinden.

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