Der Access to Medicine Index misst  inwieweit Pharmaunternehmen ihren Beitrag zum weltweiten Zugang zu Medikamenten leisten. Es gibt noch viel zu tun. Foto: CC0 (Stencil)
Der Access to Medicine Index misst inwieweit Pharmaunternehmen ihren Beitrag zum weltweiten Zugang zu Medikamenten leisten. Es gibt noch viel zu tun. Foto: CC0 (Stencil)

Globaler Zugang zu Arzneimitteln und Impfstoffen: Es geht voran

Um die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen bis 2030 zu erreichen, muss der Zugang zu Medikamenten, Impfstoffen und Diagnostik-Tests in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen weiter verbessert werden. Der Access to Medicine Index misst seit über zehn Jahren, inwieweit Pharmaunternehmen ihren Beitrag dazu leisten. Fazit: Es geht voran. Aber es gibt noch viel zu tun.

Es ist mal wieder GlaxoSmithKline (GSK). Das Unternehmen ist seit Jahren Spitzenreiter, wenn es darum geht, die Versorgung von Menschen in den ärmeren Regionen der Welt zu verbessern. GSK „überflügelt die Konkurrenz“; die Access to Medicine Foundation bescheinigt den Briten eine klare Strategie, die in die übergreifende Firmenstrategie eingebettet ist. Ganz vorn ist GSK außerdem bei Forschung und Entwicklung (F&E).

Access to Medicine Foundation: Versorgung von Menschen in ärmeren Regionen der Welt. Foto: ©iStock.com/Avatar_023
Access to Medicine Foundation: Versorgung von Menschen in ärmeren Regionen der Welt. Foto: ©iStock.com/Avatar_023

Doch die Konkurrenz schläft nicht: Novartis liegt fast gleichauf. Unter den Top Five finden sich neben Johnson & Johnson auch Pfizer und Sanofi.

Alle zwei Jahre veröffentlicht die unabhängige Stiftung mit Sitz in Amsterdam den Access to Medicine Index: Er bewertet in einem Ranglistensystem, was die zwanzig führenden pharmazeutischen Unternehmen tun, um den Zugang (Access) zu Medikamenten und Impfstoffen in 106 Ländern zu verbessern. Gemessen wird zum Beispiel, wie sehr sich Unternehmen der F&E widmen oder in welchem Ausmaß sie ihre Produkte weltweit zur Verfügung stellen.

Access: In der Gesamtstrategie gleich mitdenken

Als positiv bewertet die Stiftung, dass mittlerweile acht Firmen schon bei der Entwicklung ihrer Produkte systematisch mitdenken, wie diese für Menschen in ärmeren Ländern verfügbar gemacht werden können. Die Stiftung sieht Luft nach oben, auch was die Entwicklung von Medikamenten für neu aufkommende Infektionskrankheiten („Emerging Infectious Diseases“; EID) betrifft: „Die Pipeline für Medikamente und Impfstoffe für Coronavirus-Betroffene hat sich gefüllt (von 0 auf 63 Projekte), aber in Bezug auf andere Krankheitserreger mit pandemischem Risiko wie Nipah, Zika oder SARS ist sie im Grund leer.“

Die zwanzig Unternehmen, die der Index unter die Lupe nimmt, haben in ihren Pipelines insgesamt 1.073 Forschungsprojekte für jene 82 Krankheiten, die in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die größte Krankheitslast verursachen.

Der Index listet konkrete Projekte, in denen sich die pharmazeutischen Unternehmen engagieren. Einige Beispiele:

Novartis hat 2019 eine Strategie gestartet, die gezielt für Länder in Afrika südlich der Sahara entwickelt wurde. Sie beruht auf einem umfassenden Ansatz, der unter anderem darauf abzielt, die Gesundheitssysteme der Region zu stärken. Afrika trägt ein Viertel der weltweiten Krankheitslast, verfügt aber nur über drei Prozent des Gesundheitspersonals. Der Anteil an den weltweiten Gesundheitsausgaben beträgt nicht einmal ein Prozent. Novartis hat sich in seinen „Access Principles“ dazu verpflichtet, neue Preis- und Access-Modelle zu entwickeln und seine Forschungsprojekte entsprechend der gesellschaftlichen Bedürfnisse neu auszurichten. Was die Bereitstellung ihrer Produkte („Product Delivery“) betrifft, liegt die Firma im Index auf Platz 1. Im Index heißt es, dass die Schweizer das einzige Unternehmen sind, das für alle seine Produkte gerechte Zugangsstrategien in Ländern mit niedrigem Einkommen implementiert hat.

HIV: Bildungsgrad eines Menschen kann sich auf das Infektionsrisiko auswirken. 
Foto: ©iStock.com/Natali_Mis
HIV: Bildungsgrad eines Menschen kann sich auf das Infektionsrisiko auswirken.
Foto: ©iStock.com/Natali_Mis

Gilead Sciences stellt für sein gesamtes Portfolio patentgeschützter HIV- und Hepatitis C-Medikamente nicht-exklusive, freiwillige Lizenzen zur Verfügung, die es Firmen ermöglicht, generische Versionen herzustellen. Das Ziel: mehr Angebot bei deutlich niedrigeren Preisen. Laut Index decken diese Lizenzen „neun von zehn von HIV betroffene Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen“ ab. Mit vierzehn Generika-Herstellern wurden Verträge geschlossen, um das gesamte Hepatitis C-Portfolio in 105 Ländern weltweit anbieten zu können. Das Modell findet auch Anwendung bei dem ersten zur Behandlung zugelassenen antiviralen Medikament gegen COVID-19: Im Mai 2020 unterzeichnete Gilead mit Generika-Firmen in Ägypten, Indien und Pakistan ein Abkommen, das die Herstellung generischer Versionen des patentgeschützten Remdesivir für Menschen in 127 Ländern ermöglicht.

Das britische Unternehmen GSK arbeitet über sein Joint-Venture mit dem HIV-Spezialisten ViiV Healthcare mit supranationalen Beschaffungsabkommen: Teilnahmeberechtigte Länder können sich darüber mit Dolutegravir, laut WHO ein Eckpfeiler im globalen Kampf gegen das HI-Virus, versorgen – teilweise zum Selbstkostenpreis. Für die Versorgung von HIV-infizierten Kindern setzt ViiV auf das Modell der Lizenzvergabe an Generikahersteller. So ist die pädiatrische Formulierung des Medikaments in den Regionen verfügbar, in denen „99 Prozent der Kinder mit HIV“ leben.

Das US-Unternehmen Pfizer hat für zwei seiner Krebsmedikamente Patient*innen-Assistenzprogramme (PAPs) entwickelt. Die Erstattung wird gezielt auf die Einkommen der betroffenen Menschen zugeschnitten. Die Programme haben dazu beigetragen, in einigen Ländern den Zugang zu diesen innovativen Lungen- bzw. Brustkrebsmedikamenten zu erhöhen.

Schlaganfälle: Time is brain. ©iStock.com/peterschreiber.media
Schlaganfälle: Time is brain. ©iStock.com/peterschreiber.media

Boehringer Ingelheim will weltweit die Versorgung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten verbessern, denn 70 Prozent der Schlaganfälle („strokes“) passieren in Ländern mit niedrigerem und mittlerem Einkommen. Boehringer hat die „Angels-Initiative“ gegründet, die u.a. in Armenien, Kambodscha oder Vietnam implementiert ist. Die „Angels“ sind Berater und Beraterinnen, die Krankenhäuser dabei unterstützen, Verzögerungen bei der Behandlung Betroffener zu reduzieren – etwa indem Prozesse standardisiert werden. Das übergeordnete Ziel: ein globales Netzwerk sogenannter „stroke-ready“ Kliniken zu schaffen. In 200 solcher Kliniken ist es dank der Initiative gelungen, die Zeit bis zum Behandlungsbeginn um durchschnittlich 25 Minuten zu verkürzen.

Den Kampf gegen die sogenannten vernachlässigten Tropenerkrankungen unterstützen Pharmaunternehmen wie GSK, MSD oder Merck mit großangelegten Produktspenden. Der Fokus der Programme liegt auf Krankheiten wie Schistosomiasis, Flussblindheit, Lymphatische Filariose und Schlafkrankheit (s. Pharma Fakten). „Die Unternehmen haben sich dazu verpflichtet, Medikamente zu spenden, bis diese Krankheiten eliminiert oder unter Kontrolle sind“, heißt es im Index. „Dadurch versorgen sie Millionen von Menschen, selbst in den entlegensten Regionen, mit dem Zugang zu lebensrettenden Medikamenten.“

Globale Gesundheitsversorgung: Mehr als Medikamente und Impfstoffe

Doch es gibt von Seiten der Stiftung auch Kritik. Ihre Geschäftsführerin Jayasree K. Iyer macht deutlich, dass ihr das alles nicht schnell genug geht. Trotz der „unbestreitbaren“ Fortschritte müssten die Pharmaunternehmen sich mehr als „Katalysator“, denn als „Hindernis“ für eine bessere Versorgung verstehen. Es ist eine Aufgabe mit Dimension: „Fünf Milliarden Menschen haben Zugang zu Arzneimitteln: Zwei Milliarden fehlen noch“, heißt es bei der Access to Medicine Foundation.

Eine bessere medizinische Versorgung ist die Aufgabe der gesamten Weltgemeinschaft. 
Foto: CC0 (Stencil)
Eine bessere medizinische Versorgung ist die Aufgabe der gesamten Weltgemeinschaft.
Foto: CC0 (Stencil)

Die aktuelle Diskussion um die weltweite Versorgung mit COVID-19-Medikamenten und -Impfstoffen wirft wie ein Brennglas die Aufmerksamkeit auf das Thema „Access“. Auch hier waren Pharmaunternehmen nicht untätig: Firmen wie Novartis, GSK, Bayer oder Boehringer Ingelheim stellen u.a. Arzneimittel zur Behandlung von COVID-19-Symptomen kostenfrei oder zum Selbstkostenpreis zur Verfügung. Bei GAVI, der globalen Impfallianz, geht man mittlerweile davon aus, dass in diesem Jahr weltweit rund 2,3 Milliarden COVID-19-Impfstoffdosen über die COVAX-Facility verteilt werden können. Mindestens 1,3 Milliarden davon sollen den ärmsten Ländern kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Die COVAX-Facility wurde von der WHO ins Leben gerufen, damit Länder unabhängig von ihrer Kaufkraft Zugang zu Impfstoffen erhalten.

Dass deren Versorgung über die Bereitstellung von Medikamenten, Impfstoffen und Diagnosetools hinausgehen muss, zeigt dies: UNAIDS, das Programm der Vereinten Nationen zur Bekämpfung von HIV, machte kürzlich darauf aufmerksam, dass Mädchen, die eine weiterführende Schule besuchen, ein um 50 Prozent reduziertes Risiko haben, sich mit dem HI-Virus anzustecken. Doch in Afrika haben fast 34 Millionen Mädchen keinen Zugang zu solchen Schulen. Es ist ein Beispiel für die Tatsache, dass Bildung und Gesundheit eng miteinander verknüpft sind. Und es verdeutlicht, dass eine bessere medizinische Versorgung die Aufgabe der gesamten Weltgemeinschaft ist: Sie reicht über das rein Medizinische weit hinaus.

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