Bernd Rosenbichler war erfolgreicher Auto-Manager und lebte seinen Traum. Als bei seinem Sohn das Alström-Syndrom diagnostiziert wird  schmeißt er alles hin. Er hat jetzt Wichtigeres zu tun. Foto: ©iStock.com/Serhii Bezrukyi
Bernd Rosenbichler war erfolgreicher Auto-Manager und lebte seinen Traum. Als bei seinem Sohn das Alström-Syndrom diagnostiziert wird schmeißt er alles hin. Er hat jetzt Wichtigeres zu tun. Foto: ©iStock.com/Serhii Bezrukyi

Einer seltenen Erkrankung den Kampf ansagen

Bernd Rosenbichler war erfolgreicher Auto-Manager und lebte seinen Traum. Dann kam eine Nachricht, die alles auf den Kopf stellte: Sein Sohn Ben leidet unter dem Alström-Syndrom – einer extrem seltenen genetischen Erkrankung. Rosenbichler war schnell klar: Ein Weiter-so kann es nicht geben. Er warf den Job hin und widmet sich seitdem einer Krankheit, für die es kaum Expert:innen gibt und bei der das Wissen rar ist.
Bernd Rosenbichler: Sein Sohn leidet unter Alström. Foto: privat
Bernd Rosenbichler: Sein Sohn leidet unter Alström. Foto: privat

Ben ist einer von nur rund 1.000 Menschen weltweit; die ASI – Alstroem Syndrome International zählt 1.053 Betroffene in 64 Ländern. In Wirklichkeit dürften es mehr sein, denn die Krankheit ist schwer zu diagnostizieren. Sie entsteht durch eine Genmutation. Die Folgen sind ein ganzes Bündel von Symptomen, die von Lichtscheu über die Erblindung, von Übergewicht zu Diabetes Mellitus, von Blutdruck, Asthma bis hin zu Minderwuchs reichen. Man könnte fast sagen: Es gibt nichts, was es mit dieser Diagnose nicht gibt. Leider gilt das nicht für eine ursächliche Therapie – es gibt keine. Es ist eine Krankheit, die einen aus einer Million Menschen trifft.

Ben war ungefähr ein halbes Jahr alt, als die Eltern erstmals vermuteten, dass ihr Junge krank ist. „Irgendetwas stimmte nicht mit seinen Augen“, erinnert sich Bernd Rosenbichler. Es begann eine jahrelange Reise durch medizinische Einrichtungen, bis endlich feststand: Ein Gentest muss her, um die Ursache für das Augenleiden zu finden. Es war reiner Zufall, dass Alström diagnostiziert wurde. Die Testeinrichtung hatte eigenmächtig entschieden, den Test auszuweiten. Sie hätten die Ursache sonst nicht gefunden.

Es war das erste Mal, dass die Eltern von Alström hörten. „Wir sind auf Wikipedia gegangen. Das war für uns ein maximal hartes Ankommen in der Realität. Wir waren von einem Augenleiden ausgegangen und mussten das lesen.“ Die Liste der Symptome hat 37 Einträge. Eine halbe Stunde später hatte er eine Präsentation im Vorstand seines damaligen Arbeitgebers. „Was ich da gesagt und getan habe? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.“ Ein Vater in Trance. Ben ist damals vier Jahre alt.

Eine frühe Diagnose: Seltener als die Krankheit selbst

Die Diagnose hatte auch etwas Gutes, so der ehemalige Auto-Manager. Endlich war die Irrfahrt zu Ende, endlich gab es eine klare Ursache. „Wir konnten in einen rationalen Modus kommen und planen, was wir als nächstes tun müssen.“ Relativ frühe Diagnosen sind bei Alström noch viel seltener als die Krankheit selbst. Dabei sind sie wichtig, um Komplikationen zu vermeiden oder zumindest aufzuschieben. „Menschen mit Alström haben kein Sättigungsgefühl, leiden unter Insulinresistenz, haben oft Übergewicht und das entsprechende Herzerkrankungspotenzial. Wenn ich aber die Ursache weiß, kann ich damit ganz anders umgehen – über die Ernährung, über die Bewegung.“ Das gilt auch für die Erblindung, die im Krankheitsverlauf jeden trifft. „Wenn ich weiß, dass das unausweichlich kommt, kann ich früh damit beginnen, die Braille-Schrift zu lernen.“

Erblindung bei Alström: Lernen der Braille-Schrift. Foto: ©iStock.com/Nixxphotography
Erblindung bei Alström: Lernen der Braille-Schrift. Foto: ©iStock.com/Nixxphotography

Bernd Rosenbichler muss feststellen: In einer solchen Situation ist man ganz schön einsam – eine zentrale Anlaufstelle sucht er vergebens. „Stellen sie sich vor: Sie fahren mit ihrem Auto zum Service. Die erste Werkstatt checkt die Scheibenwischer, die zweite die Batterie, die dritte die Reifen – aber keiner weiß, ob das Auto in Summe funktioniert.“ So sei das mit Alström. „Keiner hat einen ganzheitlichen Blick auf die Krankheit. Man rennt von Arzt zu Arzt.“ Zentrale Anlaufstellen gibt es – nur nicht in Deutschland. In Birmingham z.B. hat sich das Children’s Hospital als Kompetenzzentrum etabliert. Sie fangen Menschen auf, die am selben Punkt stehen wie die Rosenbichlers.

„Papa, wir sind Glückskinder“

Rosenbichler tut, was er als Manager im Blut hat – er geht in den Problemlösungsmodus. Er beginnt Informationen zu sammeln, Puzzlestücke zusammenzufügen, Expert:innen zu identifizieren, ein Netzwerk aufzubauen. Er erfährt eine große Hilfsbereitschaft – und findet darin Halt. Aber er sieht auch: Es gibt kein koordiniertes Vorgehen – vieles liegt brach, scheitert am Geld und wohl auch an der geringen Aufmerksamkeit für das Thema. „Und gleichzeitig wächst da ein junger Mann heran, der zu mir sagt: ‚Papa, wir sind Glückskinder‘. Ein Junge, der von morgens bis abends gut drauf ist und jede Herausforderung annimmt.“ Und ihm stolz seinen neuen Blindenstock vorführt. Ben ist heute neun Jahre alt.

Für Bernd Rosenbichler ist das Inspiration. Und Wendepunkt. Er kündigt den Job. Er stellt fest: Sein Traumjob ist keiner mehr. Das liegt nicht am Job, aber er hat jetzt Wichtigeres zu tun. Er ist froh, dass sein Arbeitgeber volles Verständnis zeigt. Und ist auch ein bisschen stolz auf sich, dass er den Mut für diesen Schritt findet. Schließlich ist es ein sehr tiefer Sprung in verdammt kaltes Wasser.

Schritt Eins: Die Krankheit bekannt machen

Rosenbichler stellt fest: Es gibt so gut wie keine Forschung zu dem Thema – oder wenn, dann nur zu Einzelaspekten und nicht mit einem holistischen, einem ganzheitlichen Blick auf die Krankheit. Also beschließt er, zunächst für Aufmerksamkeit zu sorgen. Auch das ist eine Herausforderung: „Bisher hatte ich eher einfache Projekte. Einen Siebener verkaufen – das ist emotional. Das ist machbar.“ Aber nun muss er eine Krankheit, die keiner kennt, relevant machen. „Für mich war klar: Das ist die wirkliche Herausforderung.“ Seine Strategie steht schnell: Erst einmal muss die Awareness her, sagt er im besten Marketing-Deutsch, die Aufmerksamkeit. Das ist die Voraussetzung dafür, dass er an Gelder herankommt. Die braucht er. Er will die Forschung ankurbeln.

Seine Webseite steht bereits – der offizielle Launch ist für Anfang September geplant. Es ist ein sehr persönlicher, sehr professioneller Auftritt, auf dem Bernd Rosenbichler die Geschichte von Ben erzählt, aber auch aufzeichnet, wo er hinwill. Mit „Ben´s Art“ möchte er die Bilder, die sein Sohn malt, nutzen, um für weitere Aufmerksamkeit zu sorgen. Wichtig ist ihm: Kein Mitleid, keine Tränendrüse. „Lebensfroh, lebensbejahend, begeisternd“, so ist sein Plan. So wie es Ben auch ist.

To-Do: Den Umgang mit den Alström-Symptomen verbessern. Foto: ©iStock.com/zlikovec
To-Do: Den Umgang mit den Alström-Symptomen verbessern. Foto: ©iStock.com/zlikovec

Schritt Zwei: Das Alström-Kompetenzzentrum

Aber Rosenbichler will mehr. Er möchte ein Center of Excellence aufbauen, ein deutsches Kompetenzzentrum – die zentrale Anlaufstelle. Sie soll das wenige, was es an Wissen gibt, bündeln. Vier Themen hat er sich ganz oben auf die To-do-Liste geschrieben: die Früherkennung, die Diagnose, der Umgang mit den Alström-Symptomen – und die Forschung. „Es gibt mehr Wissen als man denkt, aber es ist nirgendwo gebündelt.“ Und: Er will die internationale Vernetzung vorantreiben. Dabei setzt er große Hoffnungen auf ein globales Patientenregister – eine Datenbank, die die Daten, Erfahrungen, das Wissen zusammenträgt.

Rosenbichler wundert sich, dass Patientenregister bisher fast nur auf nationaler Ebene vorangetrieben werden. „Für mich als Neuankömmling im System ist das ein kompletter ‚Low-brainer‘: Ich habe eine Krankheit, die global auftritt. Ich habe fast keine Fallzahlen. Ich habe Null Empirie. Da gibt’s doch nur eine Lösung: Ein globales Patientenregister.“

Ein globales Patientenregister für Alström-Patient:innen

Gerade für seltene Erkrankungen gilt, dass solche Register Erstaunliches leisten können, weil sie das wenige Wissen, das es weltweit an verschiedenen Orten gibt, zusammenführt und „demokratisiert“; sprich: der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Rosenbichler hat deshalb auf seiner Webseite das Register der britischen Alström UK verlinkt, die dabei ist, das erste globale Register aufzubauen. Bei rund 1.000 Fällen weltweit macht es für ihn Sinn, an ein zentrales, statt an viele nationale Register zu denken: Denn Datenbanken, die nur die Fälle von zwanzig oder dreißig Erkrankten zusammentragen können, sind zwar besser als nichts. Doch für Statistiker sind sie ein Alptraum – zu klein ist die Population.

Groß denken – das ist Rosenbichlers Antwort, denn ein globales Register ist für ihn eine Datenwelt, „die unsere Welt verändern kann.“ In Sachen Datenschutz hat Rosenbichler eine klare Meinung: „Wenn ich eine nicht erforschte, im schlimmsten Fall tödliche Krankheit habe und meine Daten nicht teile, weil ich um sie fürchte, und damit verhindere, dass die Forschung weiterkommt… Sorry, da hört es für mich auf.“

Patientenregister: Wissen, Erfahrungen, Daten teilen. Foto: ©iStock.com / Professor25
Patientenregister: Wissen, Erfahrungen, Daten teilen. Foto: ©iStock.com / Professor25

Dass, was Rosenbichler bewegt und umsetzt, weckt Hoffnungen. Er spürt den Druck der Angehörigen von Alström-Betroffenen, eine Patientenorganisation zu gründen. Doch das ist momentan nicht sein Fokus. Erstens, weil er glaubt, dass er mit einem Kompetenzzentrum zum jetzigen Zeitpunkt mehr erreichen kann. Und zweitens, weil er seine Grenzen kennt: Er kann nicht alles machen. „Ich glaube, dass sich aus dem Zentrum eine Patientenorganisation von selbst ergeben wird.“ Er hofft, dass ihm das nicht als mangelnde Empathie ausgelegt wird. Beeindruckt ist er und dankbar, wieviel Unterstützung ihm von allen Seiten zukommt.

Ein Auto-Manager trifft auf das Gesundheitssystem

Erfahrungen ganz eigener Art sind für Bernd Rosenbichler die ersten Kontakte mit dem System Gesundheit. „Ich mach mir damit wahrscheinlich keine Freunde, aber manchmal frage ich mich, wo in diesem System Wertschöpfung entsteht.“ Der Manager nimmt wahr, dass es „unfassbar viele Kreise und Gremien“ gibt, sieht aber deren Ergebnisorientierung kritisch. „Man spricht ganz viel über den Weg, aber ganz wenig über das Ziel.“ Das kennt er anders: „In der Industrie, aus der ich komme, haben wir immer gesagt, dass wir uns nur auf den Weg machen, wenn wir auch wissen, wo wir hinwollen.“

Bernd Rosenbichler ist auf dem Weg und er hat ein Ziel: Wenn er erreicht hat, was er sich vorgenommen hat, wird die Alström-Forschung einen Sprung nach vorne machen und werden Patient:innen und ihre Angehörigen nicht so ins Leere fallen, wie ihm das mit seiner Frau und Ben passiert ist. Ob ihm das gelingt? Er weiß es nicht. Aber sich mit einem möglichen Scheitern zu beschäftigen, ist sowieso nicht seine Art: Bernd Rosenbichler hat Wichtigeres zu tun.

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