Die WHO hat Meningitis-Erkrankungen den Kampf angesagt. Doch Meningitis-Impfungen fristen in Deutschland ein Nischendasein. Das könnte man ändern. Foto: ©iStock.com/Bernard Chantal
Die WHO hat Meningitis-Erkrankungen den Kampf angesagt. Doch Meningitis-Impfungen fristen in Deutschland ein Nischendasein. Das könnte man ändern. Foto: ©iStock.com/Bernard Chantal

Meningitis-Erkrankungen: Deutschland muss mehr tun

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Meningitis-Erkrankungen den Kampf angesagt: Bis zum Jahr 2030 sollen sie zurückgedrängt sein. Eine wichtige Voraussetzung dafür: hohe Impfquoten. In vielen Ländern Europas wurden deshalb Impfprogramme gestartet. In Deutschland hingegen gibt es für die häufigste Variante bis heute keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO). Die Impfquoten des Meningokokken Typ B-Impfstoffs (MenB) sind entsprechend.

Im Vereinigten Königreich und Irland ist die Impfung gegen MenB Bestandteil der nationalen Impfprogramme. In Italien, Österreich (ohne Erstattung) und Teilen von Spanien auch. San Marino ist dabei, Andorra, Litauen oder Frankreich – sie alle haben Säuglingsimpfprogramme gegen MenB eingeführt. Portugal will es gleich ganz richtig machen: Im Oktober 2020 hat es nicht nur die MenB-Impfung  im ersten Lebensjahr, sondern auch die HPV-Impfung  für Jungen im zehnten Jahr und die Impfung gegen Rotaviren für Risikogruppen in den nationalen Impfplan aufgenommen. Die Begründung: „Impfstoffe retten Leben“.

Invasive Meningokokken-Erkrankungen: Selten, aber hochgefährlich

Meningokokken. Foto: ©iStock.com/Gilnature
Meningokokken. Foto: ©iStock.com/Gilnature

Ein Satz, der gerade bei Meningokokken gilt: Durch Meningokokken ausgelöste Hirnhautentzündungen sind zwar selten – das Robert Koch-Institut geht von einer Inzidenz von maximal zwei Erkrankungen pro 100.000 Einwohner aus. Doch kann daraus sehr schnell ein medizinischer Notfall werden: Innerhalb von 24 bis 48 Stunden wird aus einer Infektion eine Krise, die über Bewusstlosigkeit, Krampfanfälle, septischen Schock und Multiorganversagen zum Tod führen kann. Trotz intensivmedizinischer Intervention schaffen es zehn Prozent der unter einer invasiven Meningokokken-Erkrankung leidenden Patient:innen nicht. Viele, die überleben, kämpfen ihr Leben lang mit den Folgen.

Unter Invasiven Meningokokken-Erkrankungen (IME) versteht man Meningitis und Sepsis (Blutvergiftung, die mit ernsthaften, teils lebenslangen Folgeschäden einhergehen kann). In Deutschland ist es bei den Säuglingen mit einem Anteil von 79 Prozent meist die Serogruppe B, die die Krankheit auslöst. Eine allgemeine Impfempfehlung gibt es in Deutschland bisher nicht. Die STIKO diskutiert das Thema bereits seit Jahren und empfiehlt bisher „die Impfung gegen MenB lediglich Personen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko“, denn die Evidenzlage zur Impfung sei „noch nicht ausreichend“ und die Krankheitslast niedrig. Man benötige für eine Impfempfehlung „umfangreiche Daten zur impfpräventablen Krankheit und zur jeweiligen Impfung.“

Die aber liegen mittlerweile vor:

  • In Italien hat man in zwei Regionen die Wirksamkeit des Vier-Komponenten-Impfstoffes (4CMenB) ausgewertet. In der Toskana war der Rückgang der MenB-Fälle bei den unter Fünfjährigen 68 Prozent; in Venetien hingegen 31 Prozent. Der Unterschied: In der Toskana hatte man die Säuglinge früh geimpft, woraus die Wissenschafter:innen die Empfehlung ableiten, dass frühes Impfen die beste Prävention ist.
  • Drei Jahre nach Einführung des Impfprogramms gegen MenB in Großbritannien ergab sich eine Reduktion der Krankheitsfälle um 75 Prozent. Die Wissenschaftler:innen rechnen in den kommenden Jahren mit weiteren Rückgängen, weil das Impfprogramm fortgesetzt wird und dadurch immer mehr Jahrgänge geschützt sind: Ein Erreger wird zurückgedrängt.
  • Solche Real-World-Daten gibt es auch aus Australien (Rückgang der Krankheitsfälle bei Jugendlichen um 71 Prozent), Kanada (Rückgang bei Säuglingen und Jugendlichen um 96 Prozent) oder Portugal (Wirksamkeit des Impfstoffes bei Kindern und Jugendlichen von 79 Prozent).
Impfstoffe retten Leben. Foto: ©iStock.com/Bernard Chantal
Impfstoffe retten Leben. Foto: ©iStock.com/Bernard Chantal

Dies alles zeigt: Die konsequente Umsetzung von Impfprogrammen ist ein entscheidender Baustein, soll das Ziel der WHO erreicht werden. Diese hat in ihrer „Roadmap“ bis 2030 „visionäre Ziele“ ausgegeben: Elimination der bakteriellen Meningitis, Reduktion der Krankheits- und Todesfälle der impfpräventablen bakteriellen Meningitiden, Vermeidung von Behinderungen als Folge der Infektion und die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen, die die Krankheit durchgemacht haben.

Kostenerstattung: Große regionale Unterschiede

Auch ohne STIKO-Empfehlung gilt: Man kann seine Kinder natürlich auch in Deutschland impfen lassen. Doch ohne die Empfehlung ist der Weg zum Impfschutz in der Regel steiniger, weil komplizierter. Der führt über die so genannten Satzungsleistungen. Das bedeutet, dass Krankenkassen bestimmte Impfungen erstatten können, auch wenn die STIKO ihr Plazet noch nicht gegeben hat. In Deutschland haben zurzeit rund 67 Prozent der Kinder Anspruch auf die Kostenerstattung der Meningitis-B-Impfung; ihre Krankenkasse bezahlt sie, wenn auch der Umfang der Erstattung durchaus variiert. Darüber hinaus sind die regionalen Unterschiede groß: Bayern (39 Prozent) und Baden-Württemberg (36 Prozent) sind Schlusslichter, während in Schleswig-Holstein über 70 Prozent oder in Sachsen mehr als 90 Prozent der Kinder einen Anspruch auf Kostenerstattung haben.

Es gibt zwei Formen der Satzungsleistung: 

  • Als Sachleistung gewährt – das ist noch der einfachste Weg zum Impfschutz, wenn eine STIKO-Empfehlung nicht vorliegt – müssen die Versicherten nur ihre Gesundheitskarte vorlegen und erhalten den Impfstoff auf einem Kassenrezept. Eine Vorfinanzierung von Arzthonorar und Impfstoff entfällt. Dies setzt jedoch eine Vertragsgrundlage der jeweiligen Krankenkasse und z. B. der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) oder eines anderen Vertragspartners voraus.
  • Anders verhält sich das bei der Satzungsleistung als Kostenerstattung: Die Versicherten müssen zunächst das Honorar und die Impfstoffkosten vorstrecken und die Ausgaben zur Erstattung bei ihrer Krankenkasse einreichen.
Hohe Impfquoten durch einfache Wege zur Impfung. 
Foto: ©iStock.com/LightFieldStudios
Hohe Impfquoten durch einfache Wege zur Impfung.
Foto: ©iStock.com/LightFieldStudios

Impfen nach Postleitzahlen?

Das aber ist für viele Versicherte ein Hindernis, was sich an den Impfquoten direkt ablesen lässt: Von den rund 67 Prozent, die theoretisch von der Impfung profitieren könnten, weil ihre Krankenkassen die Kosten zumindest teilweise tragen würden, sind bundesweit knapp neun Prozent geimpft worden. Das ergeben Berechnungen auf Basis anonymisierter Verordnungsdaten. Und auch hier liegen regionale Unterschiede offen. Bayern etwa kommt auf eine Säuglingsimpfquote von rund sechs Prozent, im benachbarten Sachsen hingegen sind es mehr als 30 Prozent. Das aber ist Impfen nach Postleitzahlen.

Expert:innen wissen: Je komplexer der Weg zu einer Impfung, desto schwieriger ist es, hohe Impfquoten zu erreichen. In den Worten der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (dakj) klingt das so: „Solange keine MenB-Standardimpfempfehlung durch die STIKO […] vorliegt und damit die Kostenübernahme durch die Gesetzliche Krankenversicherung nicht gesichert ist, kann das strategische Ziel, die Krankheitslast durch invasive Meningokokken-Infektionen der Serogruppe B zu senken, nicht erreicht werden.“

Am Ende des Tages hat das auch soziale Konsequenzen: Eine Untersuchung aus Frankreich zeigt, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien ein erhöhtes Risiko haben, an einer IME durch Meningokokken der Serogruppe B zu erkranken. Der einfache, der niedrigschwellige Zugang zu Gesundheitsleistungen wie eine Impfung hat auch etwas mit Chancengleichheit zu tun.

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