Leben wir so lange wie wir könnten? Eine Antwort auf diese Frage suchten ein Gesundheitsmanager  ein Onkologe und weitere medizinische Experten bei einer Veranstaltung in München. Foto: CC0 (Stencil)
Leben wir so lange wie wir könnten? Eine Antwort auf diese Frage suchten ein Gesundheitsmanager ein Onkologe und weitere medizinische Experten bei einer Veranstaltung in München. Foto: CC0 (Stencil)

Chronische myeloische Leukämie: Ein Leben ohne Medikamente?

Es ist eine absolute Erfolgsgeschichte: Vor einigen Jahren revolutionierte die Einführung einer bestimmten Wirkstoffklasse die Behandlung der Menschen mit chronischer myeloischer Leukämie (CML). Betroffene können bei frühzeitiger Diagnose mit modernen Medikamenten heute eine nahezu normale Lebenserwartung erreichen. Inzwischen rückt für manche Patienten ein neues Therapieziel in den Fokus: das Absetzen der Arzneimittel.

Bei der CML handelt es sich um eine Form der Leukämie. Bei ihr kommt es zu einer unkontrollierten Vermehrung bestimmter, weißer Blutkörperchen. Sie tritt nur sehr selten auf: Circa 1 bis 2 Fälle pro 100.000 Einwohner werden jedes Jahr neu diagnostiziert. CML ist lebensbedrohlich und kann unbehandelt in wenigen Jahren zum Tode führen. 

Doch die Einführung sogenannter Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) ab dem Jahr 2001 hat die Therapie der Patienten grundlegend verändert. Sie wirken zielgerichtet und setzen genau an dem Eiweiß (BCR-ABL) an, das die unkontrollierte Vermehrung der weißen Blutkörperchen auslöst. „War die CML früher in den meisten Fällen eine tödliche Erkrankung, ist sie heute durch die Fortschritte der Therapie in der Regel zu einer Erkrankung mit chronischem Verlauf geworden“, erklärt Dr. Ingo Abraham, Associate Medical Director Hemato-Oncology bei Bristol-Myers Squibb. Und auch Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), bestätigt: „Bei Patientinnen und Patienten mit CML sehen wir heute eine Lebenserwartung, die nahezu der der Allgemeinbevölkerung entspricht.“

Um Substanzen wie die TKI entwickeln zu können, bedarf es viel Forschung. „Der rapide Erkenntnisgewinn im Bereich der Molekulargenetik hat die Grundlage für die Entwicklung von zielgerichteten Therapien geschaffen“, meint Prof. Dr. med. Andreas Hochhaus vom Universitätsklinikum Jena.

Raum für neue Therapiekonzepte

Die immensen Fortschritte in der Behandlung der Betroffenen haben nun neuen Konzepten und Therapiezielen einen Raum gegeben. Aktuell im Fokus der Forschung: die sogenannte „Therapiefreie Remission“ (TFR) – und damit das Absetzen der Medikamente. 

Durch die TKI kann die Zahl der leukämischen Zellen so weit zurückgehen, dass die Erkrankung unter Kontrolle ist. Umso besser ein Patient auf die Medikamente anspricht, umso niedriger ist der sogenannte BCR-ABL-Wert. Er drückt aus, wie hoch der Anteil der kranken im Vergleich zu den gesunden Zellen ist. Liegt dieser Wert bei unter 0,01 Prozent, spricht man von einer tiefen molekularen Remission.

© Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA
© Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA

Ein niedriger BCR-ABL-Wert ist bei der Frage, ob TKI bei einem Patienten abgesetzt werden können, entscheidend: Die aktuelle Leitlinie der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und medizinische Onkologie für die CML sieht laut Dr. Ingo Abraham u.a. Faktoren „wie das Ansprechen auf die Erstlinientherapie, die Dauer der bisherigen Therapie“ mit den TKI und „die Tiefe des Ansprechens“ als Kriterien vor. „Letztendlich ist es ist aber immer die Entscheidung des behandelnden Arztes im engen Austausch mit dem Patienten.“

Absetzen der Medikamente: ein realistisches Behandlungsziel?

Erst kürzlich haben auf dem Kongress der European Hematology Association (EHA) vorgestellte Studiendaten eines forschenden Pharmaunternehmens gezeigt, dass fast die Hälfte der eingeschlossenen Patienten knapp drei Jahre nach Absetzen des untersuchten TKI in Therapiefreier Remission verblieben; sie erhielten ihr Ansprechen – und somit ihren niedrigen BCR-ABL-Wert – also aufrecht, obwohl sie die Wirkstoffe nicht mehr einnahmen. Änderte sich das, konnten die Betroffenen die Behandlung wieder aufnehmen; fast alle erlangten ihr Ansprechen dadurch wieder zurück. 

Derartige Studienergebnisse zeigen: Für bestimmte CML-Patienten sind längere Phasen ohne Arzneimittel durchaus möglich; für manche könnte sogar ein Leben gänzlich ohne Medikation realistisch sein. Doch „auch bei Patienten, die ihre TKI-Therapie abgesetzt haben, gilt es, den langfristigen Erfolg durch regelmäßige Kontrollen zu sichern“, so Abraham. Engmaschige, medizinische Untersuchungen bleiben somit das A und O.

Die Erfolge in der Behandlung der CML sind groß. Lassen sie sich auf weitere Tumore übertragen? „Auch bei anderen hämatologischen Erkrankungen sind eine Reihe von Fortschritten zu verzeichnen, beispielsweise beim Multiplen Myelom“, erklärt Abraham. „Die Vielzahl an neuen Therapiemöglichkeiten in diesem Bereich lässt mich hoffen, dass auch auf diesem Feld in einigen Jahren die Progression der Erkrankung deutlich zurückgedrängt werden kann. Ob man dann schon von einer Chronifizierung wie im Bereich der CML sprechen kann, ist sicherlich noch zu früh.“

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