Der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast geht zurück. Die Frage ist: Reicht das im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen? Foto: CC0 (Stencil)
Der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast geht zurück. Die Frage ist: Reicht das im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen? Foto: CC0 (Stencil)

Antibiotika: Das Resistenz-Problem

Jedes Jahr sterben in Europa 33.000 Menschen, weil bei ihnen kein Antibiotikum mehr anschlägt – dies haben Berechnungen eines internationalen Forscherteams ergeben, das seine Erkenntnisse im Fachblatt „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlicht hat. Die Zahl der Todesfälle in der Folge von Antibiotika-Resistenzen ist damit nach Angaben der Forscher seit 2007 deutlich gestiegen – vor allem in Griechenland und Italien. Für Deutschland haben die Wissenschaftler rund 2.300 Todesfälle pro Jahr errechnet, die auf Infektionen mit multiresistenten Keimen zurückgehen. Doch es gibt auch gute Nachrichten: So werden heute deutlich weniger Antibiotika in der Landwirtschaft eingesetzt als noch vor zehn Jahren. Und die Bundesregierung verfolgt schon seit 2008 eine „Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie“ (DART) mit dem Ziel „Antibiotika-Resistenzen in Deutschland zu erkennen, zu verhüten und besser bekämpfen zu können.“ Die Frage ist nur: Reicht das?
Heute werden deutlich weniger Antibiotika in der Landwirtschaft eingesetzt als noch vor zehn Jahren, Foto: CC0 (Stencil)
Heute werden deutlich weniger Antibiotika in der Landwirtschaft eingesetzt als noch vor zehn Jahren, Foto: CC0 (Stencil)

„Tierärzte geben weniger Antibiotika an Nutzvieh“, freute sich Spiegel online unlängst über eine Pressemitteilung des Verbraucherschutzministeriums. Darin steht nachzulesen, dass 2017 733 Tonnen Antibiotika an Hühner, Schweine und andere landwirtschaftliche Nutztiere verfüttert wurden – im Jahr 2011 waren es noch über 1.700 Tonnen. Das klingt erst mal ganz gut, DART sei Dank. Allerdings sind auch 733 Tonnen nicht wirklich wenig – die Stahlkonstruktion des Eiffelturms wiegt rund 7.300 Tonnen. Die Tiere auf unseren Tellern haben also in zehn Jahren den kompletten Eiffelturm gefressen – und zwar nur in Form von Antibiotika. Ganz vorne liegt übrigens der Postleitzahlenbereich 49, wo alleine rund 300 Tonnen Antibiotika verfüttert wurden. Und das nicht etwa, weil die Tiere zwischen Osnabrück und holländischer Grenze besonders kränklich wären, sondern weil dort drei der vier größten Tiermastbetriebe in Deutschland stehen – das allerdings wird in der Pressemitteilung des Klöckner-Ministeriums nicht erwähnt.

Antibiotika in der Tiermast – wirklich eine Gefahr?

Aber wie gefährlich ist der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast tatsächlich? Und wie genau kommen Antibiotika-Resistenzen eigentlich zustande?

Einer, der es wissen muss, ist Prof. Holger Rohde, Spezialist für Antibiotikaresistenzen am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Er sagt: „Es gibt grundsätzlich zwei Wege, auf denen Erreger gegen bestimmte Antibiotika resistent werden können: Einmal durch die Übertragung von Resistenzgenen von einem Bakterienstamm zum anderen. Oder durch Selektionsdruck unter Therapie – hier verändert sich zum Beispiel die Bakterien-Zellwand so, dass ein Antibiotikum nicht mehr wirkt.“ In Deutschland spielt nach Rohdes Worten „die Neuentstehung von Resistenzen unter Selektionsdruck, also unter Therapie, eine große Rolle.“ Und das bedeutet: „Als Mediziner, als Kliniker kann ich zum Teil beeinflussen, ob sich eine Resistenz entwickelt – indem ich den Einsatz von Antibiotika kritisch steuere.“

Ein Programm mit guten Erfolgsaussichten

Genau das will das Antibiotic Stewardship Programm (ABS) erreichen, das inzwischen in mehreren Kliniken eingesetzt wird – unter anderem am UKE. Dort gibt es speziell ausgebildete Antibiotika-Experten, die festlegen, welche Antibiotika bei welchem Krankheitsbild gegeben werden. „Dadurch kann man erreichen, dass die Antibiotika nicht mehr wahllos verteilt werden, sondern nur bei strenger Indikationsstellung“, so Prof. Rohde, „außerdem wird die Auswahl der Antibiotika so getroffen, dass ein möglichst geringer Selektionsdruck auf die gesamte Besiedelungsflora des Menschen ausgeübt wird. So lässt sich tatsächlich die Neuentstehung von Resistenzen im Menschen substanziell beeinflussen.“

Positive Effekte hat nach Prof. Rohdes Erfahrungen auch alles, was unter dem Begriff „Krankenhaushygiene“ zusammengefasst wird: „Verbesserung der Händehygiene im Krankenhaus, Identifikation von Infektionsketten, Übertragungswegen und ihre systematische Trockenlegung“, so Holger Rohde. Er hofft, dass sich ABS-Teams an möglichst vielen Kliniken etablieren – denn dies sei die sicherste Methode, um den Antibiotikaverbrauch insgesamt deutlich zu reduzieren.

Was aber ist nun mit Antibiotika in der Tiermast? Alles nur Panikmache? Die Umweltorganisation Germanwatch hat bei einem Test in Discountermärkten herausgefunden, dass jede zweite Fleischprobe mit Antibiotikaresistenten Erregern belastet ist. Jede dritte von insgesamt 59 untersuchten Portionen Hähnchenfleisch war sogar „kontaminiert mit Resistenzen gegen Reserveantibiotika“. Dazu zählt zum Beispiel Colistin – es wird bei schweren Infektionen eingesetzt, bei denen andere Antibiotika nicht mehr helfen. Prof. Rohde warnt vor einer „Überdramatisierung“, betont aber zugleich, man müsse den Einsatz von Colistin und anderen Antibiotika in der Tiermast sehr genau und kritisch betrachten. Bislang entstünden Colistin-Resistenzen zumindest in Deutschland noch nicht durch Übertragung der resistenten Erreger vom Tier auf den Menschen, sondern „die Resistenz entsteht im einzelnen Individuum selbst und verbleibt in der Regel auch dort – denn die Bakterien werden nicht sehr schnell und ohne weiteres auf andere Patienten oder in andere Ökosysteme übertragen.“ Dies könne sich allerdings jederzeit ändern. Wenn Colistin und andere Antibiotika weiter in großem Stil in der Tiermast eingesetzt werden, dann könne es eben doch dazu kommen, „dass multiresistente Bakterien aus der Tiermast auch in der Humanmedizin eine Rolle spielen.“

Germanwatch fordert ein „Verbot der für den Menschen besonders wichtigen Reserveantibiotika in der Tierhaltung.“ Länder wie Dänemark, Großbritannien oder Österreich würden zeigen, dass es sehr wohl möglich sei, den Antibiotikaverbrauch bei Tieren deutlich stärker zu verringern als bislang in Deutschland – in diesen Ländern würden nicht einmal halb so viele „Antibiotika je Kilogramm Nutztier verabreicht.“

Immerhin: Die Bundesregierung hat in Folge ihrer DART-Bemühungen den Einsatz von zwei Reserveantibiotika-Klassen in der Tiermast eingeschränkt – Colistin zählt nicht dazu. Und das EU-Parlament hat im Oktober die Verwendung von Reserveantibiotika in der Tiermast komplett verboten. Umgesetzt werden muss dieses Verbot allerdings erst Ende 2021.

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