Arzneimittel-Resistenzen ist  wenn Medikamente ihre Wirkung verlieren. Ein ganzes Jahrhundert des medizinischen Fortschritts ist in Gefahr  sagt die IACG. Foto: © iStock.com/Halfpoint
Arzneimittel-Resistenzen ist wenn Medikamente ihre Wirkung verlieren. Ein ganzes Jahrhundert des medizinischen Fortschritts ist in Gefahr sagt die IACG. Foto: © iStock.com/Halfpoint

Arzneimittel-Resistenzen: „No Time to Wait“

Sie versuchen gar nicht erst, das Problem herunterzuspielen: Die Interagency Coordination Group on Antimicrobial Resistance (IACG) findet in ihrem neuen Bericht eine klare Sprache: Resistenzen gegen antimikrobielle Medikamente wie Antibiotika sind eine globale Krise – ein ganzes Jahrhundert des medizinischen Fortschritts ist in Gefahr.

Diesen Satz muss man nicht übersetzen: „No Time to Wait“ – so ist der IACG-Bericht überschrieben. Wenn nicht dringend gehandelt wird, werden Resistenzen gegen antimikrobielle Medikamente – wie Antibiotika gegen Bakterien oder z.B. Mittel gegen Viren und Pilze – innerhalb einer Generation verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier haben. Das ist die zentrale Aussage der IACG – einer Koordinierungsstelle, in der die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) und die World Organisation for Animal Health (OIE) zusammenarbeiten. Denn die Treiber für antimikrobielle Resistenzen sind vielfältig (s. Grafik) – um das Problem zu lösen, braucht es eine konzertierte Aktion. Und eine globale Antwort.

Dass antimikrobielle Resistenzen nicht erst morgen ein Problem sein werden, zeigen diese Zahlen:

  • Schon heute sterben laut des Berichts weltweit rund 700.000 Menschen an den Folgen einer Infektion, gegen die verfügbare Medikamente nicht mehr wirken – das ist ungefähr ein halbes München pro Jahr.
  • Davon gehen allein 230.000 Tote auf multiresistente Tuberkulose-Keime zurück. Hätten die alle in Freiburg gelebt, wäre die Stadt nicht mehr bewohnt.
  • Bis 2050 könnten es statt der 700.000 Tote zehn Millionen pro Jahr sein, wenn man ein Worst-Case-Szenario zu Grunde legt.
  • Laut IACG-Bericht könnten Resistenzen gegen Antimikrobiotika ohne nachhaltige Bemühungen in Ländern mit hohem Einkommen (wie Deutschland) im Zeitraum zwischen 2015 und 2050 für 2,4 Millionen Tote verantwortlich sein.

Allerdings sind diese Zahlen, die z.T. schon seit 2014 in der öffentlichen Berichterstattung kursieren, nicht ganz unumstritten. So sind laut Spiegel Online die zugrunde gelegten Kerndaten „dazu, wie häufig und wie tödlich resistente Keime sind, zweifelhaft“. Tatsache aber ist: Die Folgen von Arzneimittel-Resistenzen sind eine globale Herausforderung, die im Übrigen weit über das Gesundheitliche hinausgehen.

Die Weltbank schätzt, dass womöglich bis 2030 bis zu 24 Millionen Menschen durch die Folgen der Resistenz-Problematik in extreme Armut getrieben werden; die wirtschaftlichen Folgen einer globalen Resistenz-Krise könnten mit den Schockwellen der Wirtschaftskrise von 2008/2009 vergleichbar sein.

Antimikrobielle Resistenzen: Wenn Bakterien, Viren und Co. um das nackte Überleben kämpfen

Arzneimittel-Resistenz ist, wenn Medikamente nicht mehr gegen die Krankheitserreger wirken, für die sie entwickelt wurden. Denn auch für Bakterien, Viren oder Pilze gilt das eherne Naturgesetz: Es geht um das nackte Überleben. Die Entwicklung von Resistenzen – als Folge von Mutationen – ist daher ein ganz natürlicher Vorgang: Das Bakterium oder das Virus, das sich am besten an die äußeren Rahmenbedingungen und an eine „Bedrohung“ anpasst, setzt sich in der Evolution durch. Die Folge: Wichtige Medikamente drohen wirkungslos zu werden. So etwa Antibiotika (s. Pharma Fakten): Eine Lungenentzündung, Harnwegsinfektionen oder sexuell übertragbare Erkrankungen werden dann unbehandelbar, Routine-Operationen riskanter.

Die IACG fordert einen ganzhaltigen, sektorübergreifenden „One-Health“-Ansatz, denn schließlich muss – um das Problem in den Griff zu bekommen – an vielen Stellschrauben gedreht werden. Sie empfiehlt den Ländern,

  • ihre nationalen Aktionspläne ganz oben auf die politische Agenda zu setzen und entsprechend finanziell auszustatten;
  • die Regelungs- und Kontrollsysteme zu stärken und Aufklärungsprogramme für den umsichtigen Umgang mit Antimikrobiotika bei Menschen, in der Tierhaltung und der Pflanzengesundheit zu unterstützen;
  • in Forschung und Entwicklung neuer Technologien zu investieren;
  • dringend die Nutzung der für Menschen besonders wichtigen antimikrobiellen Arzneimittel in der Landwirtschaft auslaufen zu lassen.

Die Autoren des IACG-Berichts fordern höhere Investitionen in neue Arzneimittel, Impfstoffe und Diagnostika, um ein größeres Arsenal von Therapieoptionen gegen Arzneimittel-Resistenzen zur Verfügung zu haben. Diese könnten sich schnell auch finanziell rechnen: Die Weltbank schätzt die Kosten der Folgen von Arzneimittel-Resistenzen auf neun Milliarden US-Dollar pro Jahr. Für Länder mit hohen und mittleren Einkommen könnten bereits Investitionen in Höhe von zwei US-Dollar pro Person ausreichen, um die Problematik einzudämmen.

Für viele Ländern mit niedrigerem Einkommen wären hingegen wohl größere, aber laut IACG immer noch „relativ bescheidene“ Investitionen notwendig. Viel Zeit bleibt nicht, so die Experten: „Sollten Investitionen und Maßnahmen verzögert werden, wird die Welt in Zukunft noch viel mehr ausgeben müssen, um die katastrophalen Folgen von Arzneimittel-Resistenzen in den Griff zu bekommen.“

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