Krankheiten  die bisher nicht oder nur symptomatisch behandelt werden konnten  werden therapierbar. Neue Therapien stehen aber auch wegen ihrer Preise unter Druck. Foto: © iStock.com/Design Cells
Krankheiten die bisher nicht oder nur symptomatisch behandelt werden konnten werden therapierbar. Neue Therapien stehen aber auch wegen ihrer Preise unter Druck. Foto: © iStock.com/Design Cells

Warum innovative Medikamente kosten, was sie kosten

Krankheiten, die bisher nicht oder nur symptomatisch behandelt werden konnten, werden therapierbar: Wir sind Zeugen eines außergewöhnlichen Innovationsschubes. Neuartige Wirkprinzipien, wie sie in Immun- oder Gentherapien zum Ausdruck kommen, stehen aber auch wegen ihrer Preise unter Druck.

Es ist eine Krankheit mit verheerenden Folgen – ein Gendefekt raubt Kleinkindern die Chance auf Leben und ihren Eltern jede Hoffnung. Zumindest galt das bis zum Jahr 2017. Seitdem gibt es zur Behandlung der Spinalen Muskelatrophie (SMA) – bisher die häufigste genetisch bedingte Todesursache bei Säuglingen – ein Medikament. Es ist das erste seiner Art. Für die Eltern und ihre Kinder dürfte es schlicht Alles bedeuten, denn die Babys haben nun die Chance, sich normal zu entwickeln. Jahrzehnte der Forschung stecken in dem so genannten Antisense-Oligonukleotid.

Doch nun geht es Schlag auf Schlag. Eine Gentherapie gegen SMA ist in den USA bereits zugelassen und ein weiteres Arzneimittel wird voraussichtlich kommendes Jahr zur Verfügung stehen. Für die Patienten und ihre behandelnden Ärzte bedeutet das: Von „Null“ auf „Therapieoptionen“ in kürzester Zeit. Für das Unternehmen Biogen ist es eine andere Rechnung. Die Exklusivität auf dem SMA-Markt dürfte bald dahin sein – und das hat natürlich Auswirkungen auf die erwarteten Einnahmen.

Neue Medikamente, wo es vorher keine gab: „Eine fantastische Nachricht.“

Dr. Wolfram Schmidt, Foto: @mjfotografie.de / Michael Jäger (Biogen)
Dr. Wolfram Schmidt, Foto: @mjfotografie.de / Michael Jäger (Biogen)

Dr. Wolfram Schmidt, Geschäftsführer bei Biogen Deutschland, nimmt das sportlich: „Zunächst einmal gilt: Dass es für diese seltene Krankheit, für die es vor gerademal zwei Jahren nicht einmal eine zugelassene Therapie gab, nun sogar Therapieoptionen geben wird, ist eine fantastische Nachricht für die Betroffenen und ihre Angehörigen.“ Trotz der ins Haus stehenden Konkurrenz ist er überzeugt von seinem Medikament, auch weil Ergebnisse von Studien bei früh behandelten Säuglingen, die zwar einen nachgewiesenen Gendefekt, aber noch keine Symptome zeigen, selbst SMA-Experten überrascht haben: Die Kinder haben nicht nur alle überlebt. Eine große Mehrheit von ihnen kann ohne Hilfe gehen. Und ja, die Behandlung mit dem Arzneimittel kostet Geld.

Neue Arzneimittel: Was definiert den Preis?

Anders als viele glauben, braucht ein Unternehmen wie Biogen die Einnahmen seiner zugelassenen Arzneimittel aber nicht in erster Linie, um die investierten Gelder der vergangenen Jahre oder Jahrzehnte hereinzubekommen. „Gerade F&E-Kosten eignen sich nicht zur Preissetzung oder zur Rechtfertigung von Preisen“, schreibt der Ökonom Dr. Andreas Jäcker vom Unternehmen Celgene in einem Beitrag für die Zeitschrift Recht und Politik im Gesundheitswesen (RPG). „Es handelt sich nämlich um sogenannte ‚versunkene Kosten‘ (‚Sunk Costs‘) die nicht mehr entscheidungsrelevant sind.“ Das heißt zwar nicht, dass die eingesetzten Forschungsgelder für die Preisfestsetzung gar keine Rolle spielen, aber eben keine entscheidende. Andere Faktoren sind viel wichtiger: Welchen Nutzen haben Patienten von dem neuen Medikament? Was bedeutet es gesamtgesellschaftlich? Auch die Patientenpopulation fließt ein in eine solche Rechnung – das gilt vor allem bei seltenen Erkrankungen, aber nicht nur: Gerade der allgemeine Trend zur Stratifizierung in immer kleinere Patientengruppen hat Auswirkungen auf die Einnahme-Potenziale eines Medikamentes – und damit auch auf den Preis. Ein weiterer Entscheidungsfaktor: Die Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen.

Abenteuer Alzheimer-Forschung, Foto: ©iStock.com/cosmin4000
Abenteuer Alzheimer-Forschung, Foto: ©iStock.com/cosmin4000

Wer auf den Preis einer Arzneimittelinnovation schaut, verdrängt oft, dass hinter jedem zugelassenen Medikament eine ganze Armada von Wirkstoffen zurückgeblieben ist, die es nicht geschafft haben. Auch diese Programme kosten Geld und auch davon kann man bei Biogen ein Lied singen: Gerade erst hat das US-Unternehmen Phase III-Studien zu einem vielversprechenden Präparat einstellen müssen – eine geplatzte Hoffnung für viele Alzheimer-Patienten in der ganzen Welt. Noch einmal Dr. Wolfram Schmidt: „Viele sagen, das hat die Forschung von zwölf Jahren vernichtet. Ich sage: Das stimmt nicht. Wir haben in den Programmen so viel gelernt – und davon werden die fünf Alzheimer-Kandidaten profitieren, die wir in der Pipeline haben.“ Schmidt macht deutlich: „Ich werde oft gefragt: Findet ihr eigentlich noch Investoren, die bereit sind sich finanziell in das Abenteuer Alzheimer zu stürzen?“

Nun, einfacher dürfte es nicht geworden sein, aber es zeigt eines: Nur wirtschaftlich gesunde Unternehmen sind überhaupt in der Lage, die Entscheidung für solche Risiko-Programme zu treffen. Auf das Beispiel von Biogen übertragen bedeutet das: Nur wenn das Unternehmen mit seinen zugelassenen Arzneimitteln erfolgreich ist, kann es Milliarden in die Forschung stecken. Umgekehrt heißt das: Wer die Preise von Arzneimittelinnovationen pauschal verdammt und deshalb nach Kürzungen ruft, der könnte die Innovationsdynamik empfindlich stören. Das wäre nicht nur für Alzheimer-Patienten eine schlechte Nachricht.

Übrigens: Mittlerweile ist Biogen mit seinem Alzheimer-Kandidaten wieder im Rennen. Daten mit höher dosierten Patienten zeigten eine deutliche Verlangsamung des Krankheitsverlaufs. Im Jahr 2020 will das Unternehmen nun die Zulassung einreichen – es wäre die erste Therapie, die die Erkrankung nicht nur an den Symptomen packt. Pharma-Forschung ist manchmal auch eine Achterbahnfahrt [Aktualisierung: 25.11.2019]. 

Mukoviszidose: Erste Arzneimittel, die die Krankheit an der Wurzel packen

In London tagt das Health and Social Care Committee des englischen Parlaments, Foto: CC0 (Stencil)
In London tagt das Health and Social Care Committee des englischen Parlaments, Foto: CC0 (Stencil)

Szenenwechsel. In London tagt das Health and Social Care Committee des englischen Parlaments (zu sehen ist das hier). Geladen ist Dr. Jeffrey Leiden. Der Mediziner ist CEO von Vertex Pharmaceuticals. Er hat eine Mission. Das US-Unternehmen gehört nicht zu den Großen der Branche, aber es hat bereits groß Medizingeschichte geschrieben. Vertex ist das erste und bisher einzige Unternehmen, dem es gelungen ist, Medikamente gegen die Ursachen der Cystischen Fibrose (CF) zu entwickeln, hierzulande als Mukoviszidose bekannt. CF ist die zweithäufigste vererbbare Stoffwechselerkrankung; eine lebensverkürzende Multisystemerkrankung, bei der bis vor wenigen Jahren nur die Symptome behandelt werden konnten. Sie tritt bei einem von rund 2.000 Neugeborenen auf. In Deutschland sind rund 6.500 Menschen betroffen, darunter viele Kinder.

Die Ausschussmitglieder wollen von Leiden wissen, warum seine Medikamente so teuer sind. Das englische Gesundheitssystem hat ihm für eines seiner CF-Medikamente einen Erstattungsbetrag angeboten, der, so Leiden, 90 Prozent unter dem liegt, den er bereits mit 17 anderen Ländern (Stand: März 2019) verhandelt hat. „Das ist der Preis, den das System heute für ein 25 Jahre altes Medikament zu bezahlen bereit ist, das lediglich Symptome der Erkrankung behandelt“, merkt Leiden in dem Hearing an. Nach eigenen Angaben hat er Englands Gesundheitssystem NHS bereits „the best offer in the world“ angeboten, einfach weil dort die Prävalenz für die Erkrankung besonders hoch ist: Zwölf Prozent aller bekannten CF-Patienten der Welt leben hier. In Deutschland ist das Gesundheitssystem bereit in solche Innovationen zu investieren. Drei der neuartigen CF-Therapien stehen Patienten hier inzwischen zur Verfügung, wodurch Kinder – je nach Genmutation – bereits ab einem Alter von einem Jahr behandelt werden können.

Dr. Jeffrey Leiden, Foto: © Michael Prince/The Forbes Collection - Vertex Pharmaceuticals
Dr. Jeffrey Leiden, Foto: © Michael Prince/The Forbes Collection – Vertex Pharmaceuticals

Länder wie England sind noch nicht so weit. Leiden macht folgende Rechnung auf: Sollte sein Unternehmen den 90-prozentigen Abschlag in England akzeptieren, rechnet er damit, dass die Länder, mit denen er bereits Abkommen geschlossen hat, an seine Tür klopfen und sagen: Das wollen wir auch. Weltweit würden die Einnahmen von Vertex schrumpfen: „Unglücklicherweise würde uns das nicht erlauben, die nächste Generation von CF-Medikamenten zu entwickeln. Es würde keine Dreifach-Kombination geben, die künftig dem Großteil der Betroffenen helfen kann und die ich Patienten auf der ganzen Welt versprochen habe. Es würde keine Gentherapie geben, die die Heilung bedeuten könnte. Und es gäbe keine Therapien gegen Krankheiten wie Sichelzellenanämie, an der wir forschen.“ Denn Vertex müsste dann seine Geschäftstätigkeit in den nächsten drei bis fünf Jahren einstellen, sagt er. Zurzeit steckt Vertex pro Jahr über eine Milliarde US-Dollar in seine Forschungsprogramme.

Leidens Sätze sind eine in Worte gesetzte Zusammenfassung des Geschäftsmodells von forschenden Pharma- und Biotech-Unternehmen. „Das ist das Geschäftsmodell. Wir investieren auf Basis von Privatinvestitionen für viele Jahre zu einem hohen Risiko und wenn wir profitabel werden, graben wir uns Stück für Stück aus dem Schuldenloch.“ In der fast dreißigjährigen Geschichte von Vertex hat das Unternehmen nur in den vergangenen drei Jahren Profit gemacht. „Jetzt sind wir endlich in der Situation, Cash akkumulieren zu können“, sagt Leiden. „Cash, das wir einsetzen können, um die Geschichte der CF zu beenden oder um weitere Innovationen gegen genetische Erkrankungen zu entwickeln.“

Erkrankungen, gegen die bisher zumindest kein Kraut gewachsen ist. Dauerhaft und nachhaltig kann er das nur, wenn sein Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich ist und bleibt. Und wenn ihm das gelingt, profitieren Patienten und Gesellschaft.

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