„Prison Health is Public Health“: Suchtmediziner und Vertreter von Suchtfachverbänden haben eine Initiative auf den Weg gebracht  die sich für eine bessere Gesundheitsversorgung von drogenabhängigen Inhaftierten einsetzt. Foto: ©iStock.com/BrilliantEye
„Prison Health is Public Health“: Suchtmediziner und Vertreter von Suchtfachverbänden haben eine Initiative auf den Weg gebracht die sich für eine bessere Gesundheitsversorgung von drogenabhängigen Inhaftierten einsetzt. Foto: ©iStock.com/BrilliantEye

Expertenbündnis: 6 Vorschläge für bessere Gesundheitsversorgung in Haft

Moderne Suchtmedizin muss auch für drogenabhängige Menschen in Haft zugänglich sein. Diese Kernforderung stellt eine Initiative von Suchtexperten in einem 6-Eckpunkte-Papier. Das Besondere daran: Die von Sanofi unterstützten Initiatoren benennen nicht nur Probleme, sondern sie zeigen auch Lösungsansätze auf.
Viele Inhaftierte spritzen Drogen wie Heroin. ©iStock.com/FotoMaximum
Viele Inhaftierte spritzen Drogen wie Heroin. ©iStock.com/FotoMaximum

Es sind alarmierende Zahlen: Zwischen 22 und 30 Prozent der Inhaftierten in Deutschland spritzen Drogen wie Heroin und andere Opioide. Nur 10 Prozent von ihnen erhalten nach Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts eine „angemessene Substitution“, in manchen Bundesländern weitaus weniger. Die Initiative „Gesundheit in Haft“ hat sich vorgenommen, das zu ändern und die gesundheitliche Situation von drogenabhängigen Häftlingen in Deutschland zu verbessern. Ein wichtiger Wegweiser dafür ist das 6-Eckpunkte-Papier „Prison Health is Public Health“, das die wichtigsten Probleme und ihre Lösungen benennt.

Substitution und Psychotherapie

Zu den Unterzeichnern des Papiers zählen Suchtmediziner, Vertreter von wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Suchtfachverbänden und Patientenorganisationen. Einer von ihnen ist Prof. Markus Backmund, Psychotherapeut und Leiter der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS). Er sagt: „Es muss sich etwas tun bei der medizinischen Versorgung von Häftlingen. Das beginnt beim Erstellen einer guten und korrekten Diagnose und darf mit einer adäquaten Substitution noch nicht enden. Bei Suchterkrankungen gehört optimalerweise auch eine Psychotherapie dazu, bei der man den Ursachen einer Suchterkrankung auf den Grund geht. Oft kommen zur Sucht andere Erkrankungen hinzu, die behandelt werden müssen, zum Beispiel Depressionen und Angststörungen.“

© Prof. Markus Backmund, Psychotherapeut und Leiter der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS)
© Prof. Markus Backmund, Psychotherapeut und Leiter der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS)

Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert, dass auch Inhaftierte einen angemessenen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben müssen. Doch die Realität sieht anders aus, insbesondere bei Drogenabhängigen. Ob sie eine medizinisch notwendige Substitutionsbehandlung tatsächlich erhalten hängt vom Bundesland und der Haftanstalt ab. So besagen von der WHO vorgelegte Daten aus den Jahren 2016 und 2017, dass in Nordrhein-Westfalen 1.636 Inhaftierte substituiert wurden, in Berlin gab es 1.068 Substituierte und im kleinsten Bundesland Bremen waren es 100. Bayern dagegen verzeichnete nur 35 Inhaftierte in Substitution, im Saarland und in Mecklenburg-Vorpommern wurden jeweils zwei Personen substituiert und in Sachsen ein einziger Häftling.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fällte 2016 ein wegweisendes Urteil gegen die Bundesrepublik Deutschland. Hintergrund war die Klage eines langjährig heroinabhängigen Mannes, dem in einem bayerischen Gefängnis eine Substitutionsbehandlung verweigert worden war. Die Richter in Straßburg kamen in ihrem Urteil gegen die Bundesrepublik zu dem Schluss: Die Justizvollzugsanstalt und vor allem die Gerichte, vor denen der Mann vergeblich klagte, hätten einen unabhängigen Arzt mit Erfahrung in der Suchtbehandlung hinzuziehen müssen.

Mit Expertenteams in die Haftanstalten

Genau das fordern nun Markus Backmund und die anderen Unterzeichner der 6-Eckpunkte. „Es ist wichtig, in allen Haftanstalten grundsätzlich eine Substitutionsbehandlung anzubieten“, so Backmund, „die Entscheidung darf nicht allein von der jeweiligen Anstaltsleitung abhängen.“ Ein Problem vieler Haftanstalten sei der „Wissensnachteil der dortigen Kollegen“. Doch eine gute Substitutionsbehandlung mit geeigneten Medikamenten lasse sich trainieren: „Ein Expertenteam kann in die Haftanstalten gehen, erklären, wie es gemacht wird – dann läuft das.“

Die Initiative „Gesundheit in Haft“, die von Sanofi unterstützt wird, setzt sich dafür ein, suchtmedizinische Behandlungsangebote zu stärken – im Strafvollzug und nach der Haftentlassung. Eine Opioidsubstitutionstherapie reduziere den Handel und Konsum von Opioiden in Haftanstalten – was dort zu Sicherheit und Ordnung beitrage, aber auch dazu führe, dass es weniger Ansteckungen mit HIV und Hepatitis C durch gemeinsam verwendetes Drogenbesteck gebe. Außerdem könnten so Todesfälle nach der Haftentlassung vermieden werden.

Prof. Backmund: „Es gibt Studien, die belegen: Kurz nach der Haftentlassung ist die Gefahr am größten, zu Tode zu kommen.“ Dies gelte auch und gerade für Menschen, die in Haft einen kalten Entzug durchlaufen und keine Drogen genommen haben, denn: „Die Toleranz ist nicht mehr da. Wenn jemand nach seiner Haftentlassung einen Rückfall bekommt, wird es gefährlich.“ Wenn die Patienten dagegen während der Haft und nach der Entlassung substituiert und medizinisch betreut werden, dann, so Backmund, „müssen sie nicht sofort nach ihrer Entlassung zum Bahnhof laufen.“

Vor zwei Jahren trat eine Änderung der Verschreibungsverordnung für Betäubungsmittel in Kraft, die zumindest erste kleine Verbesserungen gebracht hat: „Heute schaut erstmal die Ärzteschaft, ob eine Verschreibung richtig war und nicht gleich der Staatsanwalt“, so Backmund, „aber trotzdem gibt es bei Substitutionsmedikamenten eine Kluft zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis und dem, was ich behandeln darf.“ Das 6-Eckpunkte-Papier solle dazu beitragen „in Politik und Justiz das Bewusstsein für eine angemessene suchtmedizinische Behandlung in Haft positiv zu verändern.“

Ein erstes Ziel wäre schon erreicht, wenn auch Inhaftierte in Sachsen und Bayern von Ärzten behandelt würden, die sich mit Substitutionsmedikamenten auskennen.

Weiterführende Links:

Initiative Gesundheit in Haft: „PRISON HEALTH IS PUBLIC HEALTH“ – 6 Eckpunkte-Papier Haft

RKI: Große Unterschiede bei TB-, HIV-, HCV-Behandlung und Opioid-Substitutions-Therapie unter Gefangenen in Deutschland

https://www.dbdd.de/fileadmin/user_upload_dbdd/05_Publikationen/PDFs/REITOX_BERICHT_2018/09_WB_Gefaengnis_2018.pdf

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