Seit Kurzem übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland die Kosten einer vorbeugenden Behandlung zum Schutz vor HIV – die Folgen dürften bahnbrechend sein. Foto: ©iStock.com/nito100
Seit Kurzem übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland die Kosten einer vorbeugenden Behandlung zum Schutz vor HIV – die Folgen dürften bahnbrechend sein. Foto: ©iStock.com/nito100

„Mit PrEP sinkt die Zahl der HIV-Neuinfektionen“

HIV-Medikamente vorbeugend einnehmen: Seit dem 1. September werden die Kosten der so genannten Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Wir haben anlässlich des Welt-AIDS-Tages am 1. Dezember mit dem Arzt und Aidsforscher Prof. Jürgen Rockstroh über die Chancen und Auswirkungen der PrEP gesprochen.

Seit einigen Jahren gibt es für Menschen mit erhöhtem HIV-Risiko die Möglichkeit, vorbeugend bestimmte HIV-Medikamente einzunehmen und so eine mögliche Infektion zu verhindern. Welche Erfahrungen wurden bisher mit dieser Prä-Expositions-Prophylaxe, kurz PrEP, gesammelt?

HIV-Experte © Prof. Jürgen Rockstroh
HIV-Experte © Prof. Jürgen Rockstroh

Prof. Dr. Jürgen Rockstroh: Die Prä-Expositions-Prophylaxe ist eine Strategie, die es schon seit längerem in den USA gibt. Seit einigen Jahren ist es dort auch Kassenleistung, was aber nur einen geringen Teil der Menschen betrifft, da es dort ja keine Pflichtversicherung gibt. Eine Auswertung der einzelnen US-Staaten zeigt: Dort, wo PrEP gegeben wird, sinkt die Zahl der HIV-Neuinfektionen. In Staaten, in denen es nicht gegeben wird, etwa weil die Leute nicht versichert sind, gibt es einen weiteren Anstieg. Man hat also gesehen: Mit dem Instrument der PrEP lässt sich tatsächlich die Zahl der Neuinfektionen deutlich nach unten steuern. Ein besonders leuchtendes Beispiel dafür ist San Francisco. Dort wurde durch PrEP tatsächlich ein dramatischer Rückgang der HIV-Zahlen erreicht. Inzwischen verfolgen sie dort das Ziel, überhaupt keine HIV-Neuinfektionen mehr zu haben.

Wie viele tausend Menschen müssen die PrEP anwenden, um eine Neuinfektion zu verhindern?   

Prof. Rockstroh: Es gibt eine englische und eine französische Studie, PROUD und IPERGAY, die zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sind: Einmal mussten 14, einmal 19 Patienten behandelt werden, um eine HIV-Infektion zu verhindern. Die Bandbreite liegt also im Zehnerbereich, nicht im Tausenderbereich. Und es betrifft Menschen mit einem hohen Risiko einer HIV-Infektion, also Menschen mit vielen ungeschützten Sex-Kontakten.

Seit dem 1. September werden die Kosten für PrEP in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Welche Auswirkungen hat das?

Prof. Rockstroh: Es dürfte bahnbrechende Auswirkungen haben, aber es dauert natürlich ein Weilchen, bis wir einen Rückgang der Neuinfektionen tatsächlich statistisch erfassen können. Grundsätzlich waren nicht alle in Deutschland von PrEP und der Kostenübernahme dafür begeistert. Aber der Gesundheitsminister Jens Spahn hat sich sehr stark dafür eingesetzt. Ein erster großer Schritt war die Einführung einer generischen PrEP-Variante – dadurch sanken die Kosten pro Monat von 800 Euro auf 40 bis 60 Euro. Das konnten sich schon mal Besserverdienende leisten. Bis September gab es rund 8.000 Menschen in Deutschland, die das gemacht haben. Mit der Übernahme als Kassenleistung dürfte sich diese Zahl deutlich erhöhen – denn es ergibt sich jetzt auch die Möglichkeit, Menschen mit einem geringen Einkommen zu erreichen, darunter viele junge Leute, die ihr weniges Geld lieber für andere Dinge ausgeben.

Mit der PrEP einer HIV-Infektion vorbeugen.
Mit der PrEP einer HIV-Infektion vorbeugen.

Sie leiten die Infektionsambulanz am Universitätsklinikum Bonn. Welche Erfahrungen haben Sie dort mit der PrEP gemacht?

Prof. Rockstroh: Wir haben in Bonn eine kleine PrEP-Sprechstunde aufgemacht und dieses Angebot wird rege angenommen. Ich glaube, dass die Übernahme als Kassenleistung tatsächlich den Weg für eine breitere Nutzung von PrEP bahnt. Wir haben ja in Deutschland seit vielen Jahren wenig Bewegung, was die Zahl der HIV-Neuinfektionen angeht. Wenn wir hier etwas verändern wollen, müssen wir die neuen Präventionsmaßnahmen flächendeckend für Menschen mit hohem HIV-Infektionsrisiko anbieten.

In Kalifornien wurde vor einigen Wochen ein Gesetz erlassen, wonach PrEP auch ohne ärztliches Rezept erhältlich sein soll. Wäre das ein Vorbild für Deutschland?

Prof. Rockstroh: Nein, denn die PrEP-Einnahme sollte sich schon nach bestimmten Kriterien richten.

Auf der Homepage der Deutschen Aids Gesellschaft gibt es ja genaue Richtlinien, wie so eine PrEP zu verordnen ist und wie sie eingenommen werden soll. Man sollte schon auf mögliche Nebenwirkungen achten und auch mal die Nierenfunktion kontrollieren. Und natürlich sind auch regelmäßige HIV-Tests sinnvoll.

Für wen ist PrEP denn überhaupt geeignet?

Prof. Rockstroh: Für Menschen, die häufig wechselnde Geschlechtspartner haben und dabei aufs Kondom verzichten. Keinen Sinn macht es dagegen für Menschen, die in einer monogamen partnerschaftlichen Beziehung leben.

Wie sieht es mit PrEP in anderen Ländern aus?

Prof. Rockstroh: Es gibt sehr interessante Zahlen aus England, insbesondere aus London: Dort gab es mit einer Ausweitung der PrEP-Programme eine Abnahme der HIV-Neuinfektionen um 50 Prozent. Auch aus Frankreich kam kürzlich die Meldung, dass es in Folge von PrEP einen Rückgang der Neuinfektionen gibt. Wenn sich dieser Trend auch in Deutschland bestätigt, dann wäre das eine großartige Sache, zumal es auch die Kosteneffektivität dieser Maßnahme unterstreichen würde.

© HIV-Experte Prof. Jürgen Rockstroh weiß: „Mit PrEP sinkt die Zahl der HIV-Neuinfektionen“
© HIV-Experte Prof. Jürgen Rockstroh weiß: „Mit PrEP sinkt die Zahl der HIV-Neuinfektionen“

Beschränkt sich das Angebot einer PrEP auf die reicheren Länder? Oder gibt es solche Angebote auch in Afrika oder Osteuropa?

Prof. Rockstroh: Durchaus. Es gibt PrEP-Programme in mehreren afrikanischen Ländern, natürlich mit generischen Medikamenten, damit es auch günstig erhältlich ist. Es gibt PrEP-Programme auch in der Ukraine und einigen anderen osteuropäischen Ländern. Das große Fragezeichen ist allerdings, wie sich Russland positioniert. Dort gibt es standardmäßig noch keine PrEP. Dabei weist Russland die höchste Anzahl an Neuinfektionen aus. Die hatten zuletzt 100.000 Neu-Infektionen pro Jahr, dazu viele HIV-Positive, die noch keine Therapie erhalten. Da gibt es ein richtiges Problem und vieles, was noch verbessert werden könnte.

Gilt das umso mehr, je schwulenfeindlicher ein Land ist?

Prof. Rockstroh: Allerdings. Wenn zum Beispiel in Polen LGBT-freie Zonen in den Städten durchgesetzt werden, dann kann man sich vorstellen, was das bedeutet. Da wird keiner sagen: „Hallo, ich bin schwul und möchte eine PrEP.“ Der muss ja Angst haben, umgebracht zu werden. In Georgien gibt es PrEP-Angebote, aber keine große Nachfrage. Wenn ich sage, ich möchte PrEP, dann sage ich auch, ich gehöre zu einer Risikogruppe – und das hat in vielen Ländern immer noch soziale und gesellschaftliche Konsequenzen.

Es hat in der Aidsforschung in den letzten Jahren immer wieder medizinische Durchbrüche gegeben. Wird das so weitergehen?

Prof. Rockstroh: Ich glaube schon, dass es noch einen Dreh an kleineren Stellschrauben gibt. So wird es in Kürze eine HIV-Therapie geben, die man intramuskulär verabreichen kann – einmal im Monat, in Zukunft vielleicht nur alle 8 Wochen. Das ist eine Alternative für Menschen, die nicht täglich eine Tablette schlucken können oder wollen. Es könnte auch neue Substanzen geben für Patienten, die schon vor längerer Zeit infiziert wurden und Resistenzen gegen die damals verfügbaren Therapien entwickelt haben. Sowas wird kommen, aber die Riesenschwemme an immer neuen noch besseren Medikamenten wird erstmal ausbleiben. Stattdessen geht es eher um neue Verabreichungsformen. Das gilt dann auch für PrEP – da gibt es vielleicht irgendwann die Möglichkeit, ein kleines Implantat unter die Haut zu schieben, das nur alle 6 bis 12 Monate befüllt werden muss.

© www.worldaidsday.org
© www.worldaidsday.org

Es gibt auch Forschungsansätze, die auf eine Heilung hinauslaufen, aber das dürfte noch einige Jahre dauern. Ebenso eine HIV-Impfung. Hier laufen derzeit schon weltweite Phase-III Studien mit vielen tausenden Patienten. Möglicherweise ist da ein Kandidat dabei, der bessere Ergebnisse liefert als der erste HIV-Impfstoff, der in einer Studie einen 33prozentigen Schutz mit sich brachte. 33 Prozent ist natürlich wenig, da ist die PrEP sicherlich viel effizienter.

Wann kann der Welt-Aids-Tag abgeschafft werden, weil es keine HIV-Infektionen mehr gibt?

Prof. Rockstroh: Damit dieser Tag abgeschafft werden kann, ist mehr nötig als tolle Medikamente zu entwickeln oder eine Super-Vakzine. Sondern das würde auch einen stigmafreien Umgang mit Menschen voraussetzen, die andere sexuelle Präferenzen haben. Und das sehe ich nicht in einer Welt, in der schwule Männer und lesbische Frauen umgebracht werden, wie das zum Beispiel in Uganda passiert. Im Moment gibt es eher Rückschritte in Sachen Stigmatisierung – bedingt durch den politischen Kontext einer starken Rechtsbewegung, die für Menschen mit anderen Lebensstilen wenig Platz hat.

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