Welche Fortschritte gibt es in der Alzheimer-Forschung und weshalb ist es so schwierig  spektakuläre Erfolge wie in der Krebsforschung zu erzielen – darüber spricht der Alzheimer-Forscher Prof. Michael Heneka im Interview. Foto: ©istock.com/Piotrekswat
Welche Fortschritte gibt es in der Alzheimer-Forschung und weshalb ist es so schwierig spektakuläre Erfolge wie in der Krebsforschung zu erzielen – darüber spricht der Alzheimer-Forscher Prof. Michael Heneka im Interview. Foto: ©istock.com/Piotrekswat

„Alzheimer ist ein Staffellauf“

Das individuelle Risiko, an Alzheimer zu erkranken, liegt bei rund einem Prozent. Forscher wie Prof. Dr. Michael Heneka aus Bonn gehen aber davon aus, dass sich dieser Wert aufgrund der steigenden Lebenserwartung in den nächsten Jahren auf vier Prozent erhöht. Im Interview gibt der Leiter der Forschungsgruppe „Neuroinflammation“ am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und Direktor der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie am Universitätsklinikum Bonn einen Einblick in die Schwierigkeiten und Erfolge der Alzheimer-Forschung.
Prof. Dr. Michael Heneka. Foto: ©DZNE/Matthias Jung
Prof. Dr. Michael Heneka. Foto: ©DZNE/Matthias Jung

Sie haben kürzlich im Wissenschaftsmagazin „Nature“ die Ergebnisse einer Studie zu Alzheimer veröffentlicht. Worum geht es dabei?

Prof. Dr. Michael Heneka: Vereinfacht gesagt geht es um Entzündungsmechanismen, die bei degenerativen Erkrankungen des Gehirns beteiligt sind. Wir haben untersucht, welche Wirkung diese Mechanismen auf die Nervenzellen haben.

Zu welchem Ergebnis sind Sie dabei gekommen?

Heneka: Wir konnten zeigen: Die Aktivität der Entzündungszellen führt in den Nervenzellen zur so genannten Phosphorylierung des Tau-Proteins. Das ist ein Phänomen, das bei den meisten neurodegenerativen Prozessen auftritt und zur Dysfunktion und zum Zelltod der Nervenzelle führt. Tau-Proteine stabilisieren eigentlich das Gerüst der Nervenzelle. Bei Erkrankungen wie Alzheimer oder der Frontotemporalen Demenz werden sie jedoch chemisch verändert, sie lösen sich dadurch vom Zellskelett und verkleben miteinander.

Inwiefern ergeben sich aus diesen Erkenntnissen neue Ansatzpunkte für künftige Therapien?

Heneka: Wir haben herausgefunden:

Wenn man den Signalweg in den Immunzellen unterbricht, der zur Freisetzung dieser entzündungsfördernden Botenstoffe führt, dann schützt das die Nervenzelle vor dem Zelltod. In weiterführenden Untersuchungen konnten wir zeigen, dass in einem Tiermodell Lern- und Gedächtnisdefizite nicht mehr auftraten. Das heißt, es ist nicht die Veränderung in der Nervenzelle selbst, sondern die Aktivität der Entzündungszellen, die dafür verantwortlich ist, dass die Nervenzellen absterben. Wir müssen also Medikamente entwickeln, die auf die Mikrogliazellen einwirken und nicht, wie wir bislang gedacht haben, am Neuron selbst aktiv sind.

Mikrogliazellen…

Heneka: …sind das Bindeglied zwischen Nerven- und Immunsystem. Sie beseitigen Abfallstoffe und Zellreste im Gehirn, tragen aber bei den erwähnten neurodegenerativen Erkrankungen zu chronischen Entzündungen bei.

Sie schreiben in einem weiteren Nature-Artikel, dass es bald neue und verbesserte Möglichkeiten geben könnte, die Alzheimer-Krankheit in einem frühen Stadium zu erkennen. Weshalb wäre eine frühzeitige Diagnose so wichtig?

Heneka: Die Alzheimer-Erkrankung ist, vereinfacht ausgedrückt, so etwas wie ein Staffellauf: Es gibt verschiedene Mechanismen, die ineinandergreifen und den Staffelstab weiterreichen. Amyloid-Beta-Ablagerungen im Gehirn könnten beispielsweise als Startläufer fungieren. Diese Eiweißstoffe führen zur Aktivierung der Immunzellen – das wäre der zweite Läufer. Der dritte Läufer wäre dann eine mitochondriale Erschöpfung und der vierte wäre die Ansammlung von Tau-Proteinen in der Nervenzelle. Wenn der erste Läufer einmal seine Runde im Stadion vollendet hat, dann können Sie diesem die Beine brechen, es wird das Rennen nicht mehr beeinflussen. Man muss ihn erwischen, bevor er den Staffelstab weitergibt. Bisher kommen wir, wie es aussieht, mit den Anti-Amyloid-Therapien zu spät. Hinzu kommt: Es läuft nicht nur ein Team im Stadion, sondern mehrere Teams in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Man stelle sich vor, dass jedes Team eine Hirnregion repräsentiert. Die beschriebenen Mechanismen beeinflussen die Hirnregionen unterschiedlich stark, was dazu führt, dass diese sich nicht alle notwendigerweise im gleichen Stadium der Erkrankung befinden. Wir finden in einer Hirnhälfte kaum zwei Regionen, die sich genau im gleichen Stadium befinden.

Und das bedeutet?

Alzheimer: so etwas wie ein Staffellauf. ©iStock.com/cosmin4000
Alzheimer: so etwas wie ein Staffellauf. ©iStock.com/cosmin4000

Heneka: Wir benötigen nicht nur ein therapeutisches Angriffsziel, sondern mehrere. Und wir müssen bei jedem einzelnen Patienten wissen, welches Stadium in welcher Hirnregion sich gerade abspielt und welcher Mechanismus in diesem Moment am meisten Schaden verursacht. Dementsprechend müssten wir dann den Patienten mit hochpersonalisierten Medikamenten versorgen. Deren Zusammensetzung kann sich im Verlauf der Erkrankung auch ändern. Je nach Krankheitsstadium müsste man unterschiedliche Medikamente kombinieren, um eine optimale Wirkung zu erzielen. Die Voraussetzung für so eine Strategie ist aber, dass präzise Informationen über den Verlauf der Erkrankung und die einzelnen Krankheitsmechanismen vorliegen.

Wie bekommen Sie diese Informationen?

Heneka: Wir suchen nach Biomarkern, zum Beispiel aus dem Nervenwasser oder aus dem Blut des Patienten, die uns darüber informieren, in welchem Stadium der Erkrankung sich der Patient gerade befindet. Das ist nicht ganz so einfach, weil Patienten natürlich nur Patienten werden, wenn sie kognitive Defizite empfinden, etwa Gedächtnisstörungen, und erst dann zum Arzt gehen. Wir wissen aber, dass die ersten Krankheitsprozesse, also der Start des ersten Staffelläufers, lange vorher beginnen – 20, wenn nicht sogar 30 Jahre vor den ersten Gedächtniseinschränkungen. Dasselbe gilt wahrscheinlich für die Parkinson-Erkrankung und vielleicht für die meisten neurodegenerativen Erkrankungen. Das wird so lange nicht bemerkt, weil das Nervensystem hervorragende Konzepte entwickelt hat, um schädigende Prozesse zu kompensieren – darum entstehen Defizite dann relativ spät.

Man bräuchte also einen Früherkennungstest für Alzheimer? Am besten schon für alle 20-Jährigen?

Heneka: Das ist vielleicht noch ein bisschen zu früh. Im Moment ist es auch gar nicht so einfach, Biomarker im Nervenwasser zu finden. Bislang gelingt uns das erst in vorangeschrittenen Stadien der Alzheimer Krankheit. Außerdem können wir nicht alle 20-Jährigen liquorpunktieren, so viele Neurologen haben wir wahrscheinlich gar nicht in Deutschland. Darüber hinaus fehlt uns bislang noch jede Idee, was wir zu so einem frühen Zeitpunkt messen wollen und messen könnten. Aber ich bin sicher, dass es irgendwann so einen Test geben wird. Wann das sein wird, weiß ich nicht.

Wann wird es denn in der Alzheimer-Forschung ähnliche Erfolge geben wie sie heute schon in der Krebsforschung zu verzeichnen sind?

Herausforderung für die Forschung: neurodegenerative Erkrankungen. Foto: ©istock.com/sudok1
Herausforderung für die Forschung: neurodegenerative Erkrankungen. Foto: ©istock.com/sudok1

Heneka: In die Tumorforschung werden wesentlich mehr Mittel investiert als in die Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern in praktisch jedem europäischen Staat. Tumorforscher haben zudem den Vorteil, dass sie wachsende und metastasierende Gewebe haben. Sie können im Prinzip jeden Tag an jedem Patienten mit neuem Gewebe neue Untersuchungen durchführen. Bei neurodegenerativen Erkrankungen kommen Patienten zum Arzt, die eine Abnahme vom Gehirnvolumen zeigen – der Mediziner muss dann etwas beurteilen, was vor Jahren mal da war, aber heute nicht mehr aufzufinden ist. Das ist eine ganz andere Situation als in der Tumorforschung. Wenn dann auch noch wesentlich weniger Mittel zur Verfügung stehen, dann braucht das viel mehr Zeit. 

Gibt es neben dem Antikörper Aducanumab, für den in diesem Jahr noch eine Zulassung in den USA beantragt werden soll, noch weitere Kandidaten für ein mögliches Alzheimer-Medikament?

Heneka: Es gibt eine ganze Reihe von Kandidaten, die geprüft werden und sich in der Vorbereitung befinden. Zwei große Klassen kann man da hervorheben: Das eine sind Antikörper, die sich gegen die veränderten Tau-Eiweiße richten. Man hofft, dass diese Antikörper das Absterben der Nervenzelle verhindern können. Und das zweite große therapeutische Ziel sind die erwähnten Mikrogliazellen. Da haben ganz unterschiedliche Arbeitsgruppen Medikamente entwickelt, die diese Zellen so beeinflussen sollen, dass sie eben nur die für unser Nervensystem sinnvollen Dinge tun – und alles unterlassen, was die Nervenzellen schädigt.

©istock.com/2009Creatista(Scott Griessel)
©istock.com/2009Creatista(Scott Griessel)

Was müsste die Gesundheitspolitik tun, um den Kampf gegen Alzheimer zu unterstützen?

Heneka: Ich will nicht einfach mehr Finanzmittel fordern, aber wir brauchen eine kollektive Anstrengung, um diese Erkrankungen hinter uns zu lassen. Die derzeitigen Finanzmittel reichen dafür einfach nicht aus. Unser Gesundheitssystem reagiert zwar sehr schnell und sehr sensibel auf Ereignisse wie beispielsweise den Ausbruch der Coronavirus-Pneumonie. Chronische Erkrankungen, die nicht ganz so spektakulär daherkommen, unter denen aber wesentlich mehr Menschen leiden, werden schneller akzeptiert.

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