Erstattung digitaler Gesundheitsanwendungen  Einführung von E-Patientenakte und E-Rezept: Wird Deutschlands Gesundheitssystem nun digitaler? Foto: © iStock.com/LeoWolfert
Erstattung digitaler Gesundheitsanwendungen Einführung von E-Patientenakte und E-Rezept: Wird Deutschlands Gesundheitssystem nun digitaler? Foto: © iStock.com/LeoWolfert

Es kommt „Schwung in digitale Gesundheitsangebote“

Menschen sind anpassungsfähig. Aus einer Not können sie auch mal eine Tugend machen – wie die Corona-Pandemie zeigt. Wo ein Virus persönlichen Treffen den Riegel vorschiebt, eröffnen sich plötzlich andere, digitale Möglichkeiten. Bei immer mehr Patienten findet zum Beispiel die ärztliche Videosprechstunde Zuspruch. Aber auch unabhängig von COVID-19 scheint es, als würde nun „Schwung in digitale Gesundheitsangebote“ kommen, wie Dr. Bernhard Rohleder vom Digitalverband Bitkom sagt. Die Erstattungsfähigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen wie Apps, die E-Patientenakte und das E-Rezept stehen an.

Ein Plus von 1.370 Prozent ist eine Hausnummer: Wie der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) bereits Ende April berichtete, stellen die Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder seit Beginn der Pandemie einen deutlichen Zuwachs bei den Videosprechstunden fest. „Schätzungen der KBV [Kassenärztliche Bundesvereinigung] zufolge nutzen derzeit rund 25.000 Arztpraxen die Videosprechstunde und damit etwa ein Viertel aller Praxen. […] Noch bis Ende Februar dieses Jahres hätten lediglich 1.700 Praxen Videosprechstunden angeboten“, so der MDR. 

Coronakrise: Hürden für digitale Angebote abgebaut

Videosprechstunde beim Arzt. Foto: © iStock.com/ijeab
Videosprechstunde beim Arzt. Foto: © iStock.com/ijeab

„Der Durchschnittsdeutsche kommt auf zehn Arztbesuche im Jahr. Seit Beginn der COVID-19 Pandemie erfolgten sechs bis acht dieser Beratungen digital. Langfristig wird sich die Zahl der Vor-Ort-Arztbesuche bei vier bis fünf pro Jahr einpendeln“, meint David Meinertz, CEO von Telemedizin-Anbieter Zava. „Die Digitalisierung setzt sich durch im Patienten- und Arzt-Alltag: Telemedizinische Beratung und Behandlung sind nicht nur bequemer und zeitsparender, sondern auch sicherer.“ In einem aktuellen „Telemedizin-Report“ erklärt das Unternehmen, die KBV habe aufgrund der Coronakrise „Hürden für Arztpraxen ad hoc ausgesetzt.“ Dadurch war es für Ärzte einfacher geworden in das Thema Videosprechstunden einzusteigen.

So wurde etwa die Regelung, nach der Therapeuten maximal zwanzig Prozent ihrer Behandlungen als Videosprechstunde abrechnen dürfen, zeitweise (bis zum Ende des dritten Quartals) ausgesetzt.

Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder fügt hinzu: „Während der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie leicht sich bürokratische Vorgaben abbauen lassen: Ärzte und Therapeuten müssen derzeit keinen komplizierten Antrag für Video-Sprechstunden stellen, es genügt eine einfache Information an die zuständige Stelle.“ Er möchte daher nicht „zum Vorkrisenmodus zurückkehren“ – es gilt, die Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung voranzutreiben.

2020: „App auf Rezept“

Laut den Ergebnissen zweier repräsentativer Befragungen mit jeweils über 1.000 Teilnehmern im Auftrag des Digitalverbands findet übrigens auch die Mehrheit der Bundesbürger (65 %), dass mehr Tempo beim Ausbau digitaler Gesundheitsangebote nötig ist. 

Einen Schritt nach vorne macht Deutschland nun in diesem August. Von da an kann die erste digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) über die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) verordnet werden (s. Ärzteblatt). Das Beratungsunternehmen IQVIA erklärt: „DiGA sind zertifizierte Medizinprodukte niedriger Risikoklassen […], die im Wesentlichen auf digitalen Technologien basieren. So können die Anwendungen beispielsweise als Smartphone- oder Web-App, aber auch als Apps in Kombination mit Hardware oder Dienstleistungen gestaltet werden.“ 

Viele Patienten nutzen schon jetzt Gesundheits-Apps. Bild: © iStock.com/Feodora Chiosea
Viele Patienten nutzen schon jetzt Gesundheits-Apps. Bild: © iStock.com/Feodora Chiosea

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) schreibt dazu: „Viele Patienten nutzen schon jetzt Gesundheits-Apps, die sie zum Beispiel dabei unterstützen, ihre Arzneimittel regelmäßig einzunehmen oder ihre Blutzuckerwerte zu dokumentieren“. Solche Apps sollen nun von dem Arzt verschrieben und der Krankenkasse erstattet werden können. Damit das Ganze möglichst unbürokratisch abläuft und die Patienten zeitnah davon profitieren können, wurde ein Fast-Track-Verfahren für DiGA eingerichtet: „Nachdem die App vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datensicherheit und Datenschutz geprüft wurde, wird sie ein Jahr lang vorläufig von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. In dieser Zeit muss der Hersteller beim BfArM nachweisen, dass seine App die Versorgung der Patienten verbessert“, so das BMG.

Großes Interesse an „App auf Rezept“

Die Offenheit für vom Arzt verordnete Gesundheits-Apps – zum Beispiel in Form eines Diabetes-Tagesbuchs – ist groß. Laut Bitkom-Umfragen kann sich die Mehrheit der Bundesbürger (59 %) vorstellen, eine solche App zu nutzen. „4 von 10 Patienten (40 Prozent) wollen ihren Arzt sogar aktiv nach einer App auf Rezept fragen“, so ein weiteres Ergebnis.

IQVIA weist darauf hin, dass – ähnlich wie bei der Zulassung von Medikamenten – auch bei DiGA „ein genaues Konzept und geeignetes Studiendesign zur Evidenzgenerierung für eine erfolgreiche Antragsstellung unerlässlich“ sind. Sogenannte randomisierte klinische Studien (RCTs) sind „Mittel der Wahl, um einen tatsächlichen Zusatznutzen der Apps im Vergleich zur Standardtherapie zu zeigen.“ Eine „Verblindung“ ist allerdings schwierig: „Es ist nicht praktikabel, eine App bspw. als ‚Placebo‘ zu einer nutzlosen Gesundheitsanwendung umzufunktionieren, ohne dass dies durch den Arzt und den Patienten bemerkt wird. So sollten auch alternative oder erweiterte Studiendesigns in Betracht gezogen werden, in jedem Fall werden aber quantitative Studien gefordert“.

Digitale Gesundheitsdienstleistungen im Kommen

Wie Bitkom-Geschäftsführer Rohleder erwartet auch IQVIA „einen enormen Schub für den Markt digitaler Gesundheitsanwendungen.“ So sei nach Berechnungen des IQVIA Institute for Human Data Science schon vor drei Jahren „die Schallmauer von 300.000 weltweit verfügbaren Gesundheits-Apps durchbrochen“ worden. „Seitdem kommen schätzungsweise 200 Apps tagtäglich hinzu“. 

Noch ist das Feld gekennzeichnet von Start-Ups, „Gratisökonomie“ und wenig Profitabilität. Es „bleibt abzuwarten, wie sich die langfristige Markt- und Anbieterstruktur entwickeln wird. Dies wird nicht zuletzt auch vom Verhalten der etablierten Player in der Gesundheitsversorgung, allen voran den großen Pharmaunternehmen, abhängen“.

2021 E-Patientenakte, 2022 Pflicht zum E-Rezept

Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer, Bitkom e.V. Foto: © Bitkom / Till Budde
Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer, Bitkom e.V. Foto: © Bitkom / Till Budde

Nach den DiGA steht als nächstes die elektronische Patientenakte (ePa) im Januar 2021 an. Laut Bitkom wird sie „aller Voraussicht nach auf großes Interesse stoßen“. Die Umfragen im Auftrag des Digitalverbandes ergaben, dass 73 Prozent der Bundesbürger die ePa nutzen würden. Wichtig ist vielen dabei, dass die Datenhoheit beim Versicherten liegt und Datenschutz sowie -sicherheit gewährleistet sind. „Die elektronische Patientenakte ist das Kernstück der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Mit ihr erhalten die Versicherten einen schnellen Zugriff auf ihre medizinischen Daten, ihre Diagnosen oder ihren Impfpass“, betont Rohleder.

Ab 2022 soll dann das E-Rezept verpflichtend werden (s. BMG). „Für das E-Rezept soll es eine App geben, mit der sich das E-Rezept direkt auf dem Smartphone anzeigen lässt. Der Patient kann es dann in einer Apotheke seiner Wahl einlösen“, erklärt das BMG. Zwei Drittel (66 %) der Teilnehmer der Bitkom-Umfragen können sich die Nutzung vorstellen. 

Demografischer Wandel, zu wenig Personal, steigende Kosten: Die Herausforderungen für das deutsche Gesundheitssystem sind groß – ebenso groß sind die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet. ZAVA berichtet beispielsweise von potenziell „30 Prozent weniger Klinikeinweisungen durch Telemedizin“. 

Rohleder kritisiert, dass „andere Länder beim Ausbau digitaler Gesundheitsangebote sehr viel fortschrittlicher“ sind. Man müsse in Deutschland „dringend nachziehen. Ob alternde Gesellschaft oder Ärztemangel: Ohne Digitalisierung wird unser Gesundheitssystem die kommenden Herausforderungen nicht bewältigen können.“

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