Mit der Prävention ist es nicht so einfach. Denn wenn sie erfolgreich ist  verlieren wir Menschen das Gefühl für die Gefahren. Über die Folgen machen sich die wenigsten Gedanken.
Mit der Prävention ist es nicht so einfach. Denn wenn sie erfolgreich ist verlieren wir Menschen das Gefühl für die Gefahren. Über die Folgen machen sich die wenigsten Gedanken.

Das Präventionsparadox

Mit der Prävention ist es nicht so einfach. Denn wenn sie erfolgreich ist, verlieren wir Menschen das Gefühl für die Gefahren. Darunter leidet die Akzeptanz von Impfstoffen. Oder von Maßnahmen gegen die Ausbreitung von SARS-CoV-2. Über die Folgen machen sich die wenigsten Gedanken. Ein Kommentar von Florian Martius.

Es gibt sie immer noch – die Menschen, die glauben, dass das Virus entweder nicht existiert oder eben nur eine „kleine Grippe“ ist. Als „Argument“ gern genommen: Bei den großen Grippewellen 2012/2013 und 2017/2018 seien jeweils auch 20.000 Menschen und mehr gestorben. Als ob das irgendetwas besser machen würde. Als ob 20.000 Tote ein Grund wären, nichts zu tun.

Florian Martius. Foto: © Pharma Fakten
Florian Martius. Foto: © Pharma Fakten

Am Imperial College in London, eine der forschungsstärksten und renommiertesten Universitäten der Welt, haben sich Wissenschaftler*innen die Daten von über 85.000 Coronapatientinnen und -patienten mit einem schweren Verlauf angeschaut. Das Ergebnis: Im Durchschnitt verloren sie 8,5 IQ-Punkte. Das Gehirn altert um zehn Jahre. Und: Selbst bei milden Verläufen konnte das Team kognitive Defizite messen. Tatsache ist: Dieses Virus braucht kein Mensch. Und es ist alles – nur nicht harmlos.

Trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte und Erkenntnisgewinne der vergangenen Wochen und Monate gilt: Wir wissen noch sehr wenig über die Spätfolgen (woher auch?). Deshalb gibt es in dieser Situation nur eine wirklich zielführende Strategie: Jede Infektion sollte vermieden werden. Jede Infektion ist eine zu viel.

Das ist für manche schwer zu verstehen. Sie sind Opfer des Präventionsparadoxons. Das entfaltet sich auf zwei Ebenen:

  • Präventionsmaßnahmen, die der ganzen Gesellschaft einen hohen Nutzen bringen, bringen dem Einzelnen oder der Einzelnen nur wenig. Ergo: Wer meint, dass SARS-CoV-2 ihm oder ihr nichts anhaben kann, findet dementsprechend wenig Sinnhaftes in Kontaktbeschränkungen oder gar dem Tragen einer Mund- und Nasenbedeckung, um andere zu schützen.
  • Präventionsmaßnahmen, die erfolgreich greifen, lassen das Problem kleiner erscheinen als es ist. Wir kennen das vom Impfen: Vor der Einführung der Masernimpfung in den 1960er-Jahren starben jährlich durchschnittlich 2,6 Millionen Menschen an den Masern (Zahlen der WHO; Pharma Fakten berichtete). Das haben viele vergessen. Und glauben deshalb, das Virus könne man auf die leichte Schulter nehmen. Und vergessen, dass wir nur wegen der Masernimpfung nicht jedes Jahr mehr als zwei Millionen Menschen beerdigen müssen (heute wären es wahrscheinlich wesentlich viel mehr – Stichwort: Bevölkerungswachstum).
Foto: ©iStock.com/Julien Viry
Foto: ©iStock.com/Julien Viry

Auch bei der Coronavirus-Pandemie schlägt das Paradox unerbittlich zu. Trotz der zweiten Welle gilt: Deutschland kommt weiterhin ganz gut durch die Pandemie. Warum das so ist, dafür gibt es viele Gründe. Einer davon ist: Die Mehrheit der Bevölkerung steht laut Umfragen (s. ARD-Deutschland-Trend) klar hinter den Schutzmaßnahmen und viele wünschen sich sogar strengere Auflagen. Es ist die Vernunft der Mehrheit, die dafür sorgt, dass das Virus kleiner aussieht, als es in Wirklichkeit ist.

Daraus abzuleiten, dass die Pandemie-bedingten Einschränkungen völlig überzogen sind, ist deshalb schlicht falsch. Genauso falsch wie das Ausleben eines Egoismus, dem letztlich egal ist, dass in Deutschland momentan fast 500 Menschen – täglich – an den Folgen von COVID-19 sterben (Stand: 2.12.2020).

Daraus abzuleiten, dass die Pandemie-bedingten Einschränkungen völlig überzogen sind, ist deshalb schlicht falsch. Genauso falsch wie das Ausleben eines Egoismus, dem letztlich egal ist, dass in Deutschland momentan fast 500 Menschen – täglich – an den Folgen von COVID-19 sterben (Stand: 2.12.2020).

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