Digitalisierung als Hilfsmittel bei der Prävention und Behandlung von Diabetes – wie das funktioniert  erklärt der Diabetologe Dr. Tobias Ohde. Foto: ©iStock.com/Pornpak Khunatorn
Digitalisierung als Hilfsmittel bei der Prävention und Behandlung von Diabetes – wie das funktioniert erklärt der Diabetologe Dr. Tobias Ohde. Foto: ©iStock.com/Pornpak Khunatorn

„Apps auf Rezept werden medizinischer Alltag sein“

Digitale Innovationen werden das Gesundheitswesen in den kommenden Jahren entscheidend voranbringen – davon ist Oliver Kirst überzeugt, Geschäftsleiter bei Servier Deutschland. Wir haben mit ihm über die Vorzüge digitaler Gesundheitsanwendungen gesprochen – und über den „i-care-Award“, den das forschende Pharmaunternehmen seit dem Jahr 2020 für digitale Innovationen in der Pflege vergibt.

Servier vergibt seit 2020 einen Award für junge Unternehmen, die digitale Innovationen für den Pflegebereich entwickeln. Weshalb engagieren Sie sich als Pharmaunternehmen in der Pflege?

Oliver Kirst: Wir verstehen uns als kompetenter Partner im Gesundheitswesen, dazu zählt auch die Pflege. Daher unterstützen wir bereits seit mehreren Jahren den deutschen Pflegetag. Aus einem einfachen Grund: Wir stellen nicht nur einzelne Produkte in den Mittelpunkt unserer Aktivitäten, sondern die Patient:innen als Ganzes – und damit auch Innovationen außerhalb des Arzneimittelbereiches, sofern sie den Patient:innen nützen.

Aber käme es in der Pflege nicht viel mehr auf menschliche Zuwendung an als darauf, noch bessere und raffiniertere Technik einzusetzen?

Oliver Kirst, Geschäftsleiter bei Servier Deutschland. Foto: ©Servier Deutschland
Oliver Kirst, Geschäftsleiter bei Servier Deutschland. Foto: ©Servier Deutschland

Kirst: Absolut. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil: Digitale Gesundheitsanwendungen geben den Pflegekräften die Chance, mehr Zeit für das Wesentliche zu haben, nämlich für die zu pflegenden Menschen. Die Pflegekräfte werden entlastet, sie gewinnen Zeit und im besten Fall verbessert sich auch die Qualität ihrer Arbeit. Kurzum: Die gesamte Pflege wird menschlicher gestaltet – und das wollen wir mit unserem „i-care-Award“ unterstützen.

Wie groß war die Resonanz auf die Ausschreibung des „i-care-Awards“ und wer bekommt ihn?

Kirst: Zunächst: Wir hatten diesen Award erstmalig für 2020 ausgeschrieben, konnten ihn aber wegen der Corona-Pandemie nicht wie geplant beim Deutschen Pflegetag 2020 vergeben, der ja im vergangenen Jahr digital stattfand. Beim nächsten Pflegetag im Oktober 2021 wollen wir die i-care-Awards für 2020 und für 2021 verleihen. Und wie schon im vorigen Jahr gibt es auch diesmal eine zweistellige Zahl an Bewerbungen – das sind erfreulich viele, wenn man bedenkt, dass es sich hier um ein technologisches Spezialgebiet handelt. Für den diesjährigen Award war am 31. März Bewerbungsschluss – demnächst tritt die interdisziplinär zusammengesetzte Jury zusammen, die den Preis letztlich vergibt. Wer ihn bekommt, wird erst beim Pflegetag 2021 bekannt gegeben.

Wie setzt sich die Jury zusammen?

Kirst: Es handelt sich um eine Jury mit renommierten Fachleuten aus unterschiedlichen Bereichen. Hierbei handelt es sich um Vertreter des Pflegetags, hochkarätige Expert:innen aus technologischen und medizinischen Fachrichtungen sowie ich selbst als Vertreter von Servier.

Digitale Gesundheitsanwendungen gibt es nicht nur in der Pflege, sondern in vielen Gesundheitsbereichen, etwa für Diabetiker:innen oder in der Psychotherapie. Engagiert sich Servier auch außerhalb des Pflegebereiches für die so genannten „Apps auf Rezept“?

Kirst: Allerdings, denn Digitale Gesundheitsanwendungen bieten die große Chance, die Gesundheitsversorgung zu verbessern und in manchen Bereichen sogar Versorgungslücken zu schließen. Wir selbst bieten für Menschen mit Depressionen zum Beispiel ein Online-Therapieprogramm an, das durch Ärzte und Psychotherapeuten verschrieben wird.

Wie gut wurde dieses Programm in Corona-Zeiten angenommen und welche Erfahrungen haben Patient:innen und Ärzt:innen damit gesammelt?

deprexis: Notwendige Hilfe ortsunabhängig auf digitalem Wege. Foto: ©deprexis / Servier Deutschland GmbH
deprexis: Notwendige Hilfe ortsunabhängig auf digitalem Wege. Foto: ©deprexis / Servier Deutschland GmbH

Kirst: deprexis, so heißt das Programm, gab es schon lange vor der Coronapandemie, aber während der Pandemie hat es sich als noch hilfreicher erwiesen. In diesen zurückliegenden Monaten haben psychische Erkrankungen deutlich zugenommen, zugleich wurde es schwieriger, therapeutische Face-to-Face-Sitzungen in den Praxen anzubieten. Zudem dauert es in Deutschland oft bis zu mehrere Monate, bis Patient:innen einen geeigneten Psychotherapie-Platz bekommen. Dementsprechend wurde dieses Programm während der Pandemie noch stärker eingesetzt als zuvor. deprexis bietet die Chance, Patient:innen, die keine Praxis aufsuchen können, die notwendige Hilfe ortsunabhängig auf digitalem Wege 24/7 zukommen zu lassen.

Weshalb ist ein solches Programm nicht nur in Lockdown-Zeiten wichtig?

Kirst: Grundsätzlich ist die Psychotherapie ein wesentlicher Baustein in der Behandlung depressiver Patienten. Allerdings beträgt die Wartezeit auf eine Psychotherapie ungefähr fünf Monate, oft auch länger – und nur rund 20 Prozent der Menschen mit psychischen Problemen bekommen tatsächlich eine Psychotherapie. Der Bedarf ist also groß. Zudem sind Depressionen eine schwerwiegende Erkrankung mit einem oft sehr langwierigen Krankheitsbild, für welches Patient:innen eine intensive Betreuung benötigen. Mag es in den Städten noch eine vergleichsweise gute Abdeckung mit Psychotherapeuten geben, so sieht dies in ländlichen Gebieten leider meist anders aus. Aber auch dort verursacht jeder Tag, den Menschen auf ihre Therapie warten müssen, einen enormen Leidensdruck.

Welche digitale Gesundheitsanwendung, die in den vergangenen Jahren auf den Markt kam, hat Sie persönlich besonders beeindruckt?

Kirst: Mich hat die Fülle der unterschiedlichen digitalen Gesundheitsanwendungen beeindruckt. Wir haben heute 15 so genannte „DiGA“, die beim BfARM, also dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dauerhaft oder vorläufig gelistet sind – sie können somit von den Ärzten verordnet und von den gesetzlichen Krankenkassen voll erstattet werden. Diese „DiGA“ helfen bei der Behandlung unterschiedlichster Krankheiten, von der Depression über Migräne, Schlafstörungen, Angststörungen, Übergewicht bis hin zu ischämischen Erkrankungen. Und genau das finde ich so faszinierend: Wir sind mit digitalen Gesundheitsanwendungen in der Lage, verschiedenste Krankheitsbilder und -bereiche zu therapieren. Ich glaube, wir werden in Zukunft noch viel mehr sehen. Digitale Gesundheitsanwendungen werden – zukünftig auch mit der Unterstützung von Künstlicher Intelligenz – von der Diagnose über die Therapie bis hin zur Nachversorgung reichen.

Digitalisierung im Gesundheitssystem: Bald Normalität? ©iStock.com/Pornpak Khunatorn
Digitalisierung im Gesundheitssystem: Bald Normalität? ©iStock.com/Pornpak Khunatorn

Es wird allgemein kritisiert, dass die Digitalisierung zu langsam vorankommt. Sehen Sie auf dem Gesundheitsmarkt schon etwas Licht am Horizont?

Kirst: Durchaus. Die Pandemie hat uns deutlich gezeigt, dass wir in Deutschland generell, aber auch im Gesundheitssystem, weit hinter dem zurückgeblieben sind, was digital möglich gewesen wäre. Wir sehen den Handlungsbedarf heute viel klarer als vor der Pandemie. Gleichzeitig hat Corona sich auch als Beschleuniger für das Thema Digitalisierung erwiesen. Davon werden wir alle in Zukunft profitieren, da bin ich absolut sicher.

Zum Schluss ein Blick in die Kristallkugel: Wie wird sich der digitale Gesundheitsmarkt in den kommenden fünf Jahren entwickeln?

Kirst: Die Digitalisierung wird sich bis dahin im deutschen Gesundheitssystem etabliert haben. Es wird digitale Rezepte geben, digitale Gesundheitsakten, digitale Plattformen und eine deutlich bessere digitale Vernetzung als heute. Telemedizin und „Apps auf Rezept“ werden dann zum medizinischen Alltag gehören. Anders ausgedrückt: Ich bin davon überzeugt, dass in fünf Jahren die Digitalisierung im Gesundheitssystem absolute Normalität sein wird, so, wie heute ein Online-Einkauf.

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