Im Rahmen der Initiative change4RARE sprachen sieben Fachleute über Herausforderungen in der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen. Foto: ©iStock.com/alphaspirit
Im Rahmen der Initiative change4RARE sprachen sieben Fachleute über Herausforderungen in der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen. Foto: ©iStock.com/alphaspirit

Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen: Verknüpfung ist das A und O

„Patienten mit seltenen Krankheiten warten noch immer zu lange auf ihre Diagnose und können dann oft nicht therapiert werden“, so Rechtsanwalt und Arzt Prof. Dr. Dr. Christian Dierks auf einem virtuellen Round Table, den er im Rahmen der Initiative change4RARE vom forschenden Pharma-Unternehmen Alexion moderierte. Mehrere Fachleute diskutierten dort darüber, wie sich die Versorgung der Betroffenen verbessern ließe. Deutlich wurde vor allem eines: Es braucht mehr Verknüpfung – von Wissen, von Expertise, von Daten.

Für Wissenschaftlerin Dr. Karin Berger-Thürmel, Ludwig-Maximilians-Universität Klinikum München, ist klar: „Eine optimale Versorgung von Patienten mit seltenen Krankheiten kann nur gemeinschaftlich erfolgen.“ Ziel des Projektes TARGET, an dem sie mitarbeitet, ist dementsprechend die „Implementation einer transsektoral verknüpften Versorgung“. Dazu werden Menschen mit seltenen und fortgeschrittenen Tumoren von einem ganzen Team bestehend aus medizinischem Personal unterschiedlicher Fachrichtungen begleitet (mehr dazu hier). Die Expert:innen arbeiten dabei auch digital zusammen, um relevante Informationen über die Betroffenen auszutauschen. „Sodass keine Doppeluntersuchungen stattfinden; dass A genau weiß, was B gemacht hat […]; dass man den Patienten und die Familienangehörigen mehr in die Therapieentscheidung einbindet; dass alle am Behandlungsprozess Beteiligten alle Informationen haben und dass die Kommunikation verbessert ist“, erklärte Berger-Thürmel. Letztlich geht es darum, Prozesse zu optimieren – und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Enge Zusammenarbeit: Kommunikation verbessern. 
Foto: ©iStock.com/IvanMikhaylov
Enge Zusammenarbeit: Kommunikation verbessern.
Foto: ©iStock.com/IvanMikhaylov

Eine intensivere Zusammenarbeit von Profis ist auch im Fokus des Projektes „TRANSLATE-NAMSE“, von dem Dr. Gerhard Schillinger, Leiter des Stabs Medizin im AOK-Bundesverband, berichtete. In „Expertenpanels“ werden hier diejenigen Fälle – von Diagnose bis hin zur Behandlung – besprochen, „die sonst nicht lösbar sind.“ So soll die Expertise von verschiedenen Fachleuten gebündelt werden. Schließlich ist eine seltene Erkrankung nicht nur rar – oftmals ist sie auch noch gar nicht lange bekannt. „Man braucht Wissenschaftler, die auf dem aktuellen Stand der Forschung sind“, so Schillinger. Und es braucht „besondere Strukturen“, die „sicherstellen, dass das Wissen schnell genug von der Wissenschaft zum Patienten gelangt“. In allen Bereichen der Medizin sei der Wissenstransfer langsam: Das könne man nur über Vernetzung überwinden.

Daten für eine bessere medizinische Versorgung

Wenn die Rede von „Vernetzung“ ist, ist das Thema „Digitalisierung“ und „Datenverarbeitung“ nicht weit. Onkologe Prof. Dr. Christof von Kalle, Berlin Institute of Health (BIH), Charité – Universitätsmedizin Berlin, sieht da im deutschen Gesundheitssystem noch viel Luft nach oben: „Wir haben in der Pandemie gesehen, dass unsere Fähigkeit, Daten zu prozessieren – schon allein komplexe Daten von Patienten […] entgegenzunehmen und weiterzuverarbeiten – doch deutlich hinter den Wünschen zurückbleibt.“

Das treffe auch auf den Bereich der seltenen Erkrankungen zu: „Viele Patienten haben eine lange Odyssee an Untersuchungen […] hinter sich, bis ihre Diagnose gestellt wird.“ Darüber hinaus gebe es eine hohe Dunkelziffer an Betroffenen, bei denen die richtige Erkrankung (noch) nicht festgestellt wurde. Doch eine „Infrastruktur für die systematische Prozessierung von Patientendaten in digitaler Form“ gebe es in Deutschland noch nicht, kritisiert von Kalle. „Wir müssen uns überlegen, wie wir flächendeckend erreichen können, dass wir Daten besser verstehen sowie prozessieren – und wie wir in all diesen Bereichen einen fließenden Übergang schaffen zwischen dem, was wir aus der Versorgung an Daten herleiten, wie wir sie erforschen und wie wir letzten Endes den Rückfluss der daraus erzielten Ergebnisse an die betroffenen Patienten sicherstellen.“ Kurz gesagt: Es geht nicht nur darum, Daten zu sammeln – sondern aus ihnen auch konkret anwendbares Wissen zu machen.

Aus Daten konkret anwendbares Wissen machen. Foto: ©istock.com/shmeljov
Aus Daten konkret anwendbares Wissen machen. Foto: ©istock.com/shmeljov

Ärztin und Humangenetikerin Dr. Dr. Saskia Biskup sieht ebenfalls „ein großes Problem in der Datenverfügbarkeit“. Ihr Unternehmen, die CeGaT GmbH, bietet genetische Diagnostik an – und möchte dabei unterstützen, die genetische Ursache einer seltenen Erkrankung zu finden. Inzwischen seien die diagnostischen Verfahren sehr viel schneller durchführbar als noch vor ein paar Jahren. „Da ist es wirklich wichtig, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen und die Daten für jeden, der im System arbeitet, verfügbar machen.“

Diagnostik: Standardisierung und Qualitätssicherung

Trotz immer komplexer werdender Prozesse und interdisziplinärer Teams forderte Biskup weiterhin die Betroffenen im Fokus zu haben. Es gelte, die „Patienten zu navigieren“; auch müsse „die Familie beraten werden“: Was passiert gerade, welchen Status hat die Diagnostik, wer übermittelt den Befund?

Außerdem ist es laut Biskup wichtig, dass „wir eine Standardisierung in der Diagnostik und eine Qualitätssicherung hinbekommen“. Je nachdem, an welchem Ort in Deutschland eine genetische Diagnostik durchgeführt wird, würden ganz unterschiedliche Methoden angewendet und „völlig unterschiedliche Gene angeschaut“.

Medizinische Versorgung: Luft nach oben

Insgesamt deckte die Diskussionsrunde so „einige Lücken“ in der Versorgung auf – mit „erheblichem Verbesserungsbedarf, aber eben auch Gestaltungspotenzial“, resümierte Moderator Dierks. So wünschte sich etwa Joachim Sproß von der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke in allen Prozessen einen intensiveren Dialog mit den Patient:innen. Und Politikerin Kordula Schulz-Asche von Bündnis 90/Die Grünen verwies auf die Herausforderungen in Sachen Fachkräftemangel – gerade im Bereich Pflege. Es sei zudem sinnvoll, dort in den Aus- sowie Fort-/Weiterbildungen seltene Erkrankungen mehr in den Fokus nehmen.

Damit solche „Key Messages“ aus den Gesprächen nicht in Vergessenheit geraten, werden sie nun, so Dierks, verschriftlicht und in einem Weißbuch abgebildet. Dies sei ein „Beitrag zur Diskussion“ und „Merkposten für die kontinuierliche Transformation des Gesundheitswesens.“

Veranstalter des virtuellen Round Table „CARE – zwischen Anspruch und Realität“ am 29. September 2021 war das Unternehmen Alexion Pharma Germany GmbH: https://change4rare.com/care/.

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