© Pharma Fakten e.V.
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Eine Anleitung zum „Pharma-Blues“

Jedes Jahr aufs Neue soll der Arzneiverordnungs-Report (AVR) beweisen, wie viele Milliarden Euro bei Arzneien eingespart werden könnten. Doch die Autoren begehen methodische Fehler.

Es ist ein gesundheitspolitisches Ritual: Jedes Jahr im Frühherbst präsentieren sich die Autoren des vom Wissenschaftlichen Institut der AOK finanzierten Arzneiverordnungs-Reports (AVR) der Hauptstadtpresse. Darin rechnen sie der Republik vor, wie viele Milliarden eingespart werden könnten, würden die Deutschen doch endlich nur so wenig Geld für Medikamente ausgeben, wie es andere Länder auch tun. Mitte September ist es wieder so weit. Im vergangenen Jahr hat der AVR ein für die Arzneimittelausgaben „konservativ geschätztes“ Einsparvolumen (ESP) von 3,7 Milliarden Euro errechnet.

Zum Ritual gehört es inzwischen auch, dass der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) am Vortag zur Pressekonferenz einlädt, um auf die Defizite des AVR aus dem Vorjahr aufmerksam zu machen. Denn was den Herbst-Blues eines Pharmamanagers besonders befördert, ist allein schon die Tatsache, wie die AVR-Autoren zu Milliarden-Einsparungen kommen.

Methodischer „Wilder Westen“

 

Seit Jahren sehen sich die AVR-Autoren dem Vorwurf von Wissenschaftlern ausgesetzt, ihre Methodik sei intransparent oder teils sogar schlicht falsch. Gesundheitsökonomen bescheinigen ihnen einen methodischen „Wilden Westen“. Allein im AVR 2010 zählten sie 20 methodische Mängel.

Der AVR hat bislang nur zögerlich auf die Kritik reagiert und einige Anpassungen an seiner Systematik vorgenommen. Seine Vorgehensweise bleibt aber insgesamt nebulös und widerspricht damit allen gängigen wissenschaftlichen Standards. Aber der Streit um den AVR ist mehr als ein Streit um die richtige Methode.

Aus AVR-Daten werden Gesetze gemacht

Aus AVR-Berechnungen entstehen Gesetze – so berief sich der Gesetzgeber bei der Formulierung des 14. SGB-V-Änderungsgesetzes auf den AVR: Der Wert pro Arzneimittelverordnung habe sich von 1993 bis 2012 in etwa verdreifacht – eine Steigerung um 200 Prozent. Kostete eine Verordnung 1993 durchschnittlich noch 15,98 Euro, waren es 2012 48,05 Euro. Wer sollte auch anders dafür verantwortlich sein als die Hersteller? Konsequenterweise legte das Gesetz den Herstellerzwangsrabatt auf 7 Prozent fest (Generika: 6%) und verlängerte das Preismoratorium bis Ende 2017.

Was plausibel klingt, hält einer Gegenrechnung nicht stand:

  • Schaut man nicht nach Arzneimittelverordnung, sondern nach Umsatz (Gesamtmarkt GKV brutto) liegt nicht eine Verdreifachung, sondern eine Verdopplung vor. Dabei wurde „vergessen“, Rabattverträge und Zwangsrabatte gegenzurechnen. Dann wäre der Faktor nicht mehr 2, sondern nur noch 1,65. Dies allein nimmt der Wertsteigerung über einen Zeitraum von 20 Jahren einen Großteil der Dramatik.
  • Das GKV-Modernisierungsgesetz von 2004 hatte zur Folge, dass rund 300 Millionen Verordnungen pro Jahr aus dem GKV-System fielen – denn verschreibungsfreie Medikamente wurden nicht mehr erstattet. Der Wert pro Verordnung stieg dadurch erheblich. Allein das macht rund ein Viertel des Wertes des vom AVR errechneten Verordnungszuwachses aus: Der Wert der Verordnung stieg durch gesetzgeberischen Eingriff.
  • Zwischen 1993 und 2012 stieg die Mehrwertsteuer von 15 auf 16, dann auf 19 Prozent. Der AVR rechnet aber mit Apothekenverkaufspreisen (AVP) – und berücksichtigt damit alle Handelsstufen inkl. der Mehrwertsteuer. Es ist ein Dauerbrenner unter den Vorwürfen, dass die AVR-Autoren nicht netto rechnen. Für den Hersteller ist der AVP irrelevant – er erhält im Durchschnitt lediglich knapp über die Hälfte davon. Für die GKV auch – denn sie zahlt nur Teile davon.
  • Die jährliche, durchschnittliche Inflation im Betrachtungszeitraum ist 1,75 Prozent. Die Frage ist also: Um wie viel müsste die durchschnittliche Verordnung im Wert steigen, um einen Kaufkraftausgleich zu realisieren? Der BPI hat errechnet, dass dieser Kaufkrafteffekt 26,1 % des Wachstums erklärt.
  • Auch die anderen Akteure – Großhandel, Apotheken – verzeichneten einen Anstieg ihrer Pauschalen und Honorierungen. Immerhin sprechen wir hier über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten.

Aus 200 Prozent werden 40 Prozent plus – in 20 Jahren

Da reibt sich nicht nur der Pharmamanager verwundert die Augen: Die Steigerung nach Korrektur der Inflationsrate, gesetzlicher Eingriffe und gesunkener Packungszahlen beträgt in 20 Jahren tatsächlich 39,3 Prozent oder 1,96 Prozent pro Jahr – für Hersteller, Großhandel und Apotheken zusammen. Für den Hersteller bleibt eine jährliche Steigerung von 1,1% pro Jahr. Deshalb bleibt der Anteil  der Arzneimittelausgaben an den gesamten Gesundheitsausgaben weitgehend stabil.

Aber das klingt natürlich wenig dramatisch. Und um Spargesetze zu initiieren, taugt es sicher gar nicht.

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