Onkologen fürchten Innovationsblockade

Das AMNOG-Verfahren muss vier Jahre nach seiner Einführung deutlich nachgebessert werden – fordert die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) heute in Berlin. Deren Ärzte begrüßten in einer Bilanz das Gesetz grundsätzlich, kritisierten jedoch methodische Fehler. Sie fordern Änderungen bei der Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie und bei der Bewertung von patientenrelevanten Endpunkten.

Gerade die Einführung von neuen Krebsmedikamenten mache einen Großteil der AMNOG-Verfahren aus, hieß es bei der Vorstellung der Studie “Frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel in Deutschland 2011-2014”. Wissenschaftler haben dafür rund 100 Bewertungsverfahren unter die Lupe genommen. Ein Fazit: Von den Medikamenten, die einen “beträchtlichen Zusatznutzen” erhalten haben, stammen die meisten aus der Krebs- und Infektionsforschung. In dieser Bewertungskategorie machen sie drei Viertel der Arzneien aus.

Langzeittherapien fallen durch

Für die Mediziner ist das aber kein Grund zum Jubel. Denn das AMNOG hat klare Grenzen. Faktoren wie längere Überlebenszeit, lassen sich bei Langzeittherapien wie bei Medikamenten gegen Diabetes oder Infektiologika mit Vergleichstherapien nicht beweisen. “Da müssten Studien ja bis zu 40 Jahre dauern”, betonte Prof. Dr. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der DGHO, auf der Pressekonferenz. Er fordert daher Anpassungen bei der Festlegung der patientenrelevanten Endpunkte. Eine solches Ungleichgewicht in der frühen Nutzenbewertung von Medikamenten verschiedener Indikationen hatte vor kurzem auch Dr. Josef Hecken festgestellt, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), in dem das finale Urteil zur Nutzenbewertung gefällt wird.

“Ohne späte Nutzenbewertung ist das AMNOG-Verfahren meist nicht geeignet, um den Zusatznutzen neuer Arzneimittel in der Onkologie zu bewerten und für sie einen angemessenen Preis festzusetzen”, erklärte Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), heute. Nach Auffassung des Onkologen ließe sich der therapeutische Stellenwert von neuen onkologischen Arzneimitteln im Rahmen des AMNOG häufig nur begrenzt bestimmen. “Es fehlt uns die Erfahrung bei der Anwendung im klinischen Alltag”, erklärte Ludwig. Er machte sich für eine nachträgliche Bewertung zwei bis drei Jahre nach der Markteinführung stark, um ein fundiertes Urteil über den Nutzen fällen zu können.

Durchbruchsinnovation – aber kein Zusatznutzen

Die DGHO-Studie zeigt auf, welche Unstimmigkeiten im AMNOG-Verfahren stecken. So wichen im untersuchten Zeitraum die Bewertungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und das finale Urteil des G-BA voneinander ab. Auch würden laut Studie Faktoren wie Therapiedauer und Verträglichkeit bei der frühen Nutzenbewertung keine Rolle spielen. “Es besteht die berechtigte Sorge der medizinischen Fachgesellschaften, dass therapeutische Innovationen aufgrund formaler Kriterien in der Methodologie der Zusatznutzenbewertung nicht ausreichend gewürdigt und berücksichtigt werden”, unterstreicht Prof. Dr. Thomas Berg, Leiter der Sektion Hepatologie an der Klinik für Gastroenterologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig. Dies hätten die Erfahrungen mit den neuen Wirkstoffen zur Behandlung von Hepatitis C gezeigt: Von den Ärzten als Durchbruch gefeiert, hatten sie vom IQWiG keinen Zusatznutzen bescheinigt bekommen.

Berg fordert, künftig bessere Abstimmungen zwischen Zulassungsbehörden, den medizinischen Fachgesellschaften und Patientenorganisationen. Prof Dr. Mathias Freund, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO, will erreichen, dass die Nutzenbewertung nicht allein einer Kostenreduzierung bei neuen Arzneimitteln diene. Er möchte das Verfahren weiterentwickeln. “Dies hilft dabei, langfristig den Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels möglichst präzise zu bestimmen, Innovationen zu unterstützen und einen angemessenen Preis zu erzielen.”

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