Die Methodik der AVR-Autoren im Visier

Mangelnde Kreativität ist das Letzte, was man den Autoren des Arzneiverordnungsreports, kurz: AVR, vorwerfen kann. Wenn es um das Errechnen von Einsparpotenzialen (ESP) bei den Arzneimittelausgaben geht, scheint Zahlenakrobatik eine Mindestanforderung zu sein.

Allein für den AVR 2010 zählten die Ökonomen Dieter Cassel und Volker Ulrich 20 methodische Mängel: Seit Jahren schon sehen sich die Autoren des AVR dem Vorwurf von Wissenschaftlern ausgesetzt, ihre Methodik sei  intransparent oder teils sogar schlicht falsch. Die Gesundheitsökonomen bescheinigen dem AVR denn auch mehr „Irrlicht als Leuchtfeuer“ 1 zu sein. Oder um es mit William Shakespeare zu sagen: „Ist es schon Tollheit, so hat es doch Methode“.

Und der AVR? Er hat diese Kritik immer als interessengeleitet und sachlich falsch zurückgewiesen. Das gehört zum Ritual; es treten gegeneinander an: Der AVR – finanziert von den Krankenkassen – gegen die Ökonomen Cassel und Ulrich – hier im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) unterwegs. Aber wer hat nun Recht?

Je weniger methodische Mängel, desto kleiner die Einsparungen

Es ist zumindest erwähnenswert, dass die AVR-Autoren, wenn auch sehr zögerlich, auf die Kritik reagiert haben und einige Anpassungen an ihrer Methodik vorgenommen haben. Im AVR 2013 zählten die beiden Professoren denn auch “nur noch” 15 Mängel.

20 gelistete Mängel brachten ein ESP von 9,4 Milliarden Euro. Bei 15 Mängeln waren es nur noch 3,8 Milliarden – ein Schelm, der sich dabei etwas denkt. Es wäre interessant zu wissen, welche Werte sich ergäben, wenn alle methodischen Fehler beseitigt wären.

Der AVR 2013 ergab nach Aussagen seiner Autoren ein für die Arzneimittelausgaben „konservativ geschätztes“ Einsparvolumen (ESP) von 3,7 Milliarden Euro. 2 Dabei werden nationale (z.B. Ersatz durch in Deutschland erhältliche Generika) und internationale Potenziale (Preisdifferenz bei patentierten Arzneimitteln) miteinander addiert. Aber ist das zulässig?

Doppelt hält besser: Einsparungen künstlich hochgerechnet

Das Rezept ist einfach, aber nicht einfach zu durchschauen. Die Autoren greifen sich ein Arzneimittel, das die GKV relativ viel Geld kostet – auch, weil es viel verschrieben wird. Sie behaupten dann, dieses patentgeschützte Original mit dem Wirkstoff „A“ ließe sich gleichwertig durch ein Generikum mit dem Wirkstoff „B“  ersetzen und errechnen daraus ein nationales ESP. Dann schauen sie über die Grenze – im AVR 2013 nach Frankreich. Dort finden sie einen günstigeren Preis für das Originalprodukt mit Wirkstoff „A“ vor. Flugs ist ausgerechnet, was die GKV sparen würde, müsste sie nur den französischen Preis bezahlen. Und nun kommt es: Der AVR addiert beide Zahlen, obwohl nur eines von beiden Szenarien möglich ist. Denn wenn der deutsche Markt das Original gegen ein Generikum ausgetauscht hat, gibt es im Vergleich zum französischen Preis keine ESP mehr.3
 
Der AVR zählt also doppelt. Interessant dabei: Doppelzählungen gab es im AVR 2012 nicht – dafür aber im AVR 2010, 2011 und 2013. Wird da die Methodik gewürfelt?
 
Übrigens: Die Doppelzählungen fallen deshalb kaum auf, weil der AVR die Addition der nationalen und internationalen ESP nicht auf Produktebene vornimmt – da würde sofort auffallen, dass da etwas nicht stimmen kann – sondern nur auf der Gesamtebene.

Quellen:

1 Dieter Cassel, Volker Ulrich, Einsparpotentiale durch Arzneimittelsubstitution; in: Pharm Ind. 75, Nr. 5,. 743-746 (2013). S. 745.
2 S. Pressemitteilung vom 12.9.2013: http://www.wido.de/fileadmin/wido/downloads/pdf_arzneimittel/wido_arz_avr2013_pk_0913.pdf
3 Beispiel: Ausgaben der GKV für das Original-Arzneimittel mit dem Wirkstoff Pregabilin laut AVR in 2012: 281 Mill. €. Nationales ESP durch Ersatz durch Generikum: 233,2 Mill. €. Internationales ESP durch Berücksichtigung des in Frankreich geltenden Preises: 105,5 Mill. €. Daraus errechnet der AVR ein gesamtes ESP von 338,7 Mill. € – im Übrigen mehr, als die aktuellen Ausgaben. Damit werden Einsparungen doppelt gerechnet (Berechnungen des BPI).

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