Millionen-Klagen gegen deutsche Firmen wegen Gerinnungshemmern

Sammelklagen mit teilweise astronomisch hohen Schadensersatzforderungen – für unser Rechtsempfinden ist die US-amerikanische Justiz manchmal eine echte Herausforderung. Auch deutsche Unternehmen sind vor diesen Klagen nicht sicher. Meist einigen sich die Parteien auf einen Vergleich. Der ist zwar oft teuer, vermeidet aber jahrelange Rechtsstreitigkeiten. Der Nachteil: Hierzulande werden Vergleiche oft mit einem Schuldeingeständnis gleichgesetzt.

Für einen Europäer wirkt es merkwürdig, wenn Anwälte in Werbespots im TV-Programm und auf Youtube für Sammelklagen werben. In vielen US-Bundesstaaten ist das seit Jahren gängige Praxis und gleichzeitig ein lohnendes Geschäft für die Rechtsbeistände. Denn die Juristen verdienen kräftig an erfolgreichen Schadensersatzprozessen mit. Laut P. Matthew Roy vom Lehrstuhl für US-amerikanisches Recht an der Universität zu Köln erhalten sie zwischen 20 und 30 Prozent der Schadensersatzsumme. Scheitert eine Klage, gehen sie leer aus. „Anwälte übernehmen die Fälle meistens nur, wenn sie glauben, gute Erfolgsaussichten zu haben“, erklärt Roy. Es ist ein von hohen Profiten getriebenes Geschäft: Die Kanzlei, die im Oktober die Firma Red Bull zu einem 10-Millionen-Euro-Vergleich zwang, kann sich demnach über einen Ertrag von zwei bis drei Millionen Euro freuen.

97 Prozent der Verfahren enden mit Vergleichen

Im Gegensatz zur hierzulande gängigen Rechtspraxis enden die meisten Verfahren in den USA mit einem Vergleich. „Bei circa 97 Prozent der Fälle ist das so“, sagt Roy. Nur ein kleiner Prozentsatz der Rechtsstreitstreitigkeiten werde bis zum Ende durchgefochten. Beklagte Konzerne und Firmen willigten meist in den Vergleich ein, um die Zeit und den Aufwand für einen noch längeren und kostspieligeren Rechtsstreit zu vermeiden. Als Schuldeingeständnis sei dies jedoch nicht zu werten, betont der Jurist.

Zu einem ordentlichen Hauptverfahren komme es in nur seltenen Fällen. Entscheidender, so Roy, sei der vorher stattfindende „Discovery Process“. Dabei legen Kläger und Verteidiger ihre Argumente auf den Tisch. Danach erfolgt die Abwägung, mit welcher Geldsumme der Konflikt beigelegt werden kann. Eine Praxis, die eher an einen Kuhhandel als ein Rechtsverfahren denken lässt.

Vergleiche in den USA führen zu Imageschäden in Deutschland

Aber die Begriffe Recht und Unrecht scheinen bei vielen Klagen in den USA ohnehin fehl am Platz. So sehen sich Firmen oft Klagen ausgesetzt, weil Werbebotschaften nicht genau das einhalten, was sie versprechen. So willigte der österreichische Getränkekonzern Red Bull in einen Vergleich ein, weil die Wirkung seines Energy Drinks keinen stärkeren Effekt hatte als eine durchschnittliche Tasse Kaffee und das körperliche Leistungsvermögen nicht steigert. Die Brause verleiht doch keine Flügel – das zumindest wissen jetzt alle.

Der finanzielle Schaden für die Unternehmen ist eine Sache. Noch schwerer kann der Imageschaden wiegen. Denn hierzulande wird ein Vergleich häufig als Beleg für ein Schuldeingeständnis und ein Fehlverhalten gesehen und immer wieder hervorgezogen. Als Boehringer Ingelheim im Mai 2014 einen Vergleich im Rechtsstreit um das Arzneimittel Pradaxa schloss, betonte das Unternehmen in einer Pressemitteilung daher: „Wir waren und sind überzeugt, dass die Ansprüche der Kläger unbegründet sind und wir dies auch in den Prozessen hätten zeigen können. Ungeachtet dessen vermeidet dieser Vergleich einen langwierigen Rechtsstreit, der naturgemäß mit vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten verbunden gewesen wäre“. Hinzu komme, dass die rechtliche Entscheidung über wissenschaftlich komplexe Sachverhalte bei diesen Gerichtsverfahren in den Händen einer Jury liege, die aus medizinischen Laien besteht, erläutert Andreas Neumann, globaler Leiter der Rechtsabteilung von Boehringer Ingelheim weiter.

Strafe um 99 Prozent reduziert

Ebenfalls kennzeichnend für US-Prozesse sind die teilweise astronomischen Summen, die verhängt werden – faktisch werden sie selten ausgezahlt. So hat jetzt zum Beispiel in zweiter Instanz ein US-Bezirksgericht eine im August an die Pharmaunternehmen Eli Lilly und Takeda verhängte Strafe in Höhe von neun Milliarden Dollar um 99 Prozent abgesenkt. Die ursprüngliche Summe sei „unverhältnismäßig“ gewesen, begründete die Richterin die Entscheidung. Dafür gibt es viele weitere Beispiele. Nur wird darüber kaum berichtet.

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