© Pharma Fakten e.V.
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„Das käme einem Preisdiktat gleich“

Mondpreise, Bestandsmarktreport, rückwirkende Anpassung, Fehlentscheidungen – beim Thema Arzneimittelpreise kommt momentan mächtig Druck auf den Kessel. Dabei waren sich doch alle einig: Je besser ein Medikament ist, desto mehr darf es kosten. Das ist sehr vereinfacht der Kern des im Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) festgelegten Kompromisses. Der wird jetzt von fast allen Seiten angegriffen. Weil er schlecht ist? Oder weil Krankenkassen, Gremien, Pharmaunternehmen, Patienten und Politik uneinsichtig sind?

Hintergrund: Was ist der AMNOG-Kompromiss?

Bringt ein Arzneimittelhersteller ein neues Medikament auf den Markt, kann er den Preis für das erste Jahr selbst festlegen. Gleichzeitig obliegt es dem Hersteller, in einem umfangreichen Dossier den Nachweis eines zusätzlichen Nutzens seines Präparates erbringen. Die Vergleichstherapie dafür legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fest, die Überprüfung und Quantifizierung des Zusatznutzens übernimmt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)1. Es folgen auf Basis der IQWiG-Bewertung ein Stellungnahmeverfahren und eine Anhörung unter Leitung des G-BA. Der fällt schließlich das endgültige Urteil über den Zusatznutzen des neuen Medikamentes und kann dabei auch von der IQWiG-Bewertung abweichen. Das Ergebnis dieser Prozedur bildet die Basis für entweder die Einordnung des Medikamentes in eine Festbetragsgruppe (wenn kein Zusatznutzen gesehen wird) oder für Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband der Krankenkassen (wenn ein Zusatznutzen zuerkannt wurde oder keine Einordnung in eine Festbetragsgruppe erfolgen kann). Auch diese Ausführungen sind noch sehr vereinfacht, denn das AMNOG-Verfahren ist äußerst vertrackt.

Unruhe von allen Seiten

Die Unruhe der vergangenen Wochen begann mit den Beschwerden des AOK-Chefs Dr. Jürgen Peter in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung über den Erfolg des neuen Hepatitis C Medikamentes Sovaldi, das im Januar dieses Jahres auf den Markt gekommen war. Tatsächlich ist der Preis pro Tablette um ein Vielfaches höher als bei der Vorgängertherapie. Die Kosten pro Heilung eines Patienten allerdings ist in etwa gleich. Die sehr hohe Erfolgsquote der Therapie führt nur zu mehr Patienten, die sich behandeln lassen. Das führt kurzfristig zu hohen Kosten bei den Krankenkassen – langfristig verringert es die Ausgaben für die Behandlung von Folgeerkrankungen oder Lebertransplantationen.

In der Folge forderte der Verband der Ersatzkassen, die Erstattungsbeträge für Medikamente nach dem Durchlaufen des AMNOG-Prozesses rückwirkend bis zum ersten Verkaufstag anzupassen. Gleichzeitig hat die Deutsche Diabetes Gesellschaft eine Entscheidung des G-BA, einem neuen Kombinationspräparat keinen Zusatznutzen zu bescheinigen, als „komplette Fehleinschätzung“ bezeichnet. Das Pharmaunternehmen Eisai hat ebenfalls eine aktuelle Einschätzung des IQWiG zu einem neuen Antiepileptikum als Fehlentscheidung bezeichnet. IQWiG-Chef Jürgen Windeler hat sich in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung für die Nutzenbewertung des Bestandsmarktes – der Medikamente, die vor Einführung des AMNOG zugelassen wurden – ausgesprochen. Die Techniker Krankenkasse (TK) hat in ihrem Bestandsmarktreport eine eigene Nutzenbewertung von 17 Präparaten des Bestandsmarktes vorgenommen.

Rückwirkende Anpassung könnte fatale Folgen haben

Die rückwirkende Anpassung der Erstattungsbeträge wurde von der Bundesregierung nicht eingeführt, die Bewertung des Bestandsmarktes Ende 2013 gestoppt. „Der Verzicht auf diese beiden Punkte ist ein wichtiger Teil des Kompromisses zwischen Pharmaindustrie, Krankenkassen und Politik“, sagt Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Dierks in einem Gespräch mit Pharma Fakten. Diesen Kompromiss aufzukündigen könne fatale Folgen haben, wie der Experte für das Thema Nutzenbewertung betont: „Eine rückwirkende Anpassung der Erstattungsbeträge käme einem Preisdiktat durch die Krankenkassen gleich. Da weit über 20 Länder auf den deutschen Preis referenzieren, wären die Auswirkungen für die Unternehmen groß.“

IQWiG-Entscheidungen bergen Sprengstoff

Der Streit, der schon jetzt um die IQWiG-Bewertungen herrscht, zeigt, wie viel Sprengstoff in diesem Thema liegt. Zumal keine Rechtsmittel gegen IQWiG-Bewertungen oder Beschlüsse des G-BA möglich sind. Was ist, wenn Krankenkassen und Kassenärzte, die gemeinsam im G-BA eine Mehrheit hätten, der Versuchung erliegen, aus wirtschaftlichen Gründen einem medizinisch bahnbrechenden Medikament den Zusatznutzen abzusprechen, um den Preis niedrig zu halten? „Die Folge könnte sein, dass Firmen eher erwägen, ein Medikament in Deutschland nicht auf den Markt zu bringen, um kein Risiko einzugehen“, sagt Prof. Dierks. Das System in Deutschland sei grundlegend innovationsskeptisch. „Skepsis ist auch in Ordnung, wenn Innovationen Kosten verursachen.“ Aber wer schützt das System davor, innovationsfeindlich zu werden?

Die Aufarbeitung des Bestandsmarktes ist die andere Seite des Streits. Zwei Milliarden Euro pro Jahr ließen sich so einsparen, bilanziert die TK in ihrem Bestandsmarktreport. In dieser Rechnung fehlt allerdings eine Komponente: „Zu Medikamenten, die schon lange im Gebrauch sind, gibt es zahlreiche Studien. Der Aufwand und die Kosten, die alle auszuwerten, wären immens“, sagt Prof. Dierks. Für Medikamente, deren Patentschutz  ohnehin bald auslaufe, rechne sich dieser Aufwand nicht.

Anmerkungen:
1: Eine Ausnahme hierzu bilden die so genannten Orphan Drugs.

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