Prof. Thomas A. Bayer von der Universitätsmedizin Göttingen sieht viele Ratgebertipps zu Alzheimer und Demenz als wissenschaftlich nicht eindeutig belegt an. Foto: © Universitätsmedizin Göttingen
Prof. Thomas A. Bayer von der Universitätsmedizin Göttingen sieht viele Ratgebertipps zu Alzheimer und Demenz als wissenschaftlich nicht eindeutig belegt an. Foto: © Universitätsmedizin Göttingen

Dürftige Beweise für Risikofaktoren bei Alzheimer und Demenz

Wenn Patienten im Internet nach Erkrankungen googeln, laufen sie Gefahr, sich durch diverse Ratgeber und Halbwahrheiten verunsichern zu lassen. Gerade zur Volkskrankheit Alzheimer häufen sich Informationsquellen mit unbewiesenen Behauptungen. Prof. Thomas A. Bayer, Schwerpunktprofessor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen, räumt im Interview mit Pharma Fakten auf mit Halbwahrheiten rund um Krankheiten, die das Gedächtnis beeinflussen.

Im Internet finden sich viele Informationen zu Alzheimer und Demenz. Dabei geht es auch um angebliche Auslöser wie zum Beispiel um Diabetes, mentale und physische Inaktivität oder soziale Isolierung – Singles etwa sollen ein höheres Alzheimer-Risiko haben. Die Bandbreite reicht noch weiter: Depressionen, Bluthochdruck, ungesunde Ernährung oder Alkoholkonsum gelten ebenso als Auslöser wie auch ein zu hoher Cholesterinspiegel. Raucher haben angeblich ein doppelt so großes Alzheimer-Risiko. Vermutungen gibt es auch zu Schlafstörungen, weil im Schlaf gesundheitsschädliche Stoffwechselprodukte, die Alzheimer begünstigen sollen, abgebaut werden.

Herr Prof. Bayer, welche von diesen Vermutungen sind belegbar?

Prof. Thomas Bayer: All diese Risikofaktoren werden in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur diskutiert. Meiner Einschätzung nach sind aber die wissenschaftlich-experimentellen Beweise dafür mangelhaft und nur zum Teil klar belegt.

Eindeutig ist, dass es genetische Formen der Alzheimer-Demenz gibt. Bei den allermeisten Patienten jedoch handelt es sich um eine erworbene und nicht genetisch verursachte sporadische Krankheit. Der wichtigste Risikofaktor hierbei ist das Altern. Häufig geht einer solchen Erkrankung eine Depression voraus. Das bedeutet aber nicht, dass Patienten mit einer Depression automatisch eine Demenz entwickeln. Die anderen Faktoren sind nicht spezifisch für Alzheimer, sondern allgemein für alle Volkskrankheiten.

Mit welchen Maßnahmen lässt sich dem Gedächtnisverlust vorbeugen?

Prof. Bayer: Wenn Sie mich nun nach einer Interventionsstrategie fragen würden, wie etwa 10.000 Schritte pro Tag zu gehen oder täglich Zeitung zu lesen, bin ich skeptisch. Studien dazu geben lediglich mögliche Hinweise, bleiben den Beweis für die Aussage aber schuldig. Meist handelt es sich nur um Beobachtungen einer bestimmten Population.

Wie lässt sich Alzheimer künftig behandeln? Und wo muss die Forschung dafür ansetzen?

Prof. Bayer: Meiner Einschätzung nach ist Alzheimer eine schleichende, aber sehr aggressive Erkrankung des Gehirns, die nur durch Medikamente steuerbar sein wird. Die vergangenen Jahre haben eine Reihe von Fortschritten zum Verständnis gebracht. Dazu gehört zum Beispiel die passive Immunisierung mit Antikörpern gegen lösliche Abeta-Aggregate, die sehr wahrscheinlich die Ursache des Nervenzellverlustes sind.

Mit ihrem Forscherteam haben Sie einen Antikörper entwickelt. Welches Wirkprinzip steckt dahinter und was sind die nächsten Schritte?

Prof. Bayer: Die Universitätsmedizin Göttingen, die MBM ScienceBridge GmbH und das Medical Research Council Technology (MRCT) haben eine Lizenzvereinbarung für die Entwicklung einer neuen Therapie gegen die Alzheimer-Demenz unterzeichnet. Der Therapieansatz setzt auf Antikörper gegen die beiden schädlichsten Abeta Peptide, die bei der Alzheimer-Pathologie eine wichtige Rolle spielen. Die Zusammenarbeit mit der britischen Forschungsorganisation MRCT gewährt der UMG Zugang zu einer professionellen Expertise für die „Humanisierung“ von Antikörpern: Der bislang nur in Tierversuchen erprobte monoklonale Antikörper NT4X wird für die Anwendung bei Menschen weiterentwickelt. Das MRCT erhält die weltweite Lizenz für die Erfinderrechte der UMG in Bezug auf die neuartige Therapie für die Behandlung von sporadischer und familiärer Alzheimer-Demenz, die auf dem Antikörper NT4X beruht.

Der monoklonale Antikörper NT4X ist der weltweit einzige, der spezifisch die beiden schädlichsten bisher bekannten Abeta-Peptide erkennt, nämlich Abeta4-42 und Pyroglutamat-Abeta3-42. Er neutralisiert deren toxische Wirkung. Entwickelt wurde der Antikörper von Prof. Dr. Thomas Bayer, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG. Für seine Erfindung wurde er bereits mit dem Innovationspreis des Landkreises Göttingen und im Jahr 2014 durch die „Alzheimer Forschung Initiative e.V.“ ausgezeichnet.
 

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