Im Interview erklärt die biomedizinische Forscherin Prof. Dr. Dorothee von Laer  was onkolytische Viren sind und wie sie Tumoren zerstören können. Foto: CC0 (Stencil)
Im Interview erklärt die biomedizinische Forscherin Prof. Dr. Dorothee von Laer was onkolytische Viren sind und wie sie Tumoren zerstören können. Foto: CC0 (Stencil)

Europäisches Forschungsprojekt verbessert die Behandlung von Patienten

Kolorektale Karzinome (Darmkrebs) sind für die Medizin eine große Herausforderung: Die Tumore sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich – und sprechen unterschiedlich gut auf Medikamente an. Ein europäisches Forschungsprojekt hat daher über hundert Tumorproben von Patienten auf ihre genetische Zusammensetzung untersucht. Die Erkenntnisse helfen nun den Ärzten, das passende Medikament zu wählen – und der Forschung, innovative Arzneimittel zu entwickeln.

Darmkrebs gehört zu den häufigsten Tumorerkrankungen weltweit. 95 Prozent von ihnen sind sogenannte kolorektale Karzinome, bei denen Kolon oder Rektum – zwei Abschnitte im Dickdarm – betroffen sind. Im fortgeschrittenen Stadium führen sie häufig zum Tod. „Aus Sicht der pharmazeutischen Industrie ist schon seit vielen Jahren klar, dass eine der größten Herausforderungen in der Krebsbehandlung darin besteht, dass nicht alle Tumore auf dieselbe Therapie ansprechen. Uns fehlt es an detaillierten Informationen […], um sagen zu können: Das richtige Medikament für diesen Patienten ist Medikament A und nicht Medikament B“ , erklärt David Henderson in einem Interview*. Er ist Wissenschaftler beim Pharmaunternehmen Bayer – und Projektkoordinator von „OncoTrack“.

Acht Pharmaunternehmen, einige akademische Einrichtungen sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) haben sich in dem von der Innovative Medicines Initiative (IMI) geförderten Forschungsprojekt zusammengetan, um mehr über die sehr heterogene Tumorgruppe der kolorektalen Karzinome zu erfahren – und letztendlich die Behandlung der Patienten zu verbessern.

Der „Fingerabdruck“ eines Tumors

Dazu haben sie Tumorproben von über hundert Patienten mit dieser Form von Krebs in unterschiedlichen Stadien gesammelt, in Petrischalen sowie bestimmten Mausmodellen gezüchtet und ihre genetische Zusammensetzung im Labor genau unter die Lupe genommen. Sie suchten dabei insbesondere nach sogenannten Biomarkern, also Moleküle, die typisch für eine Krebsuntergruppe sind. Auf dieser Basis war es den Wissenschaftlern möglich, eine Art molekularen „Fingerabdruck“ von allen untersuchten Tumoren zu erstellen. Sie testeten, wie diese auf verschiedene Wirkstoffe ansprachen – und wie der Fingerabdruck eines Krebses mit dessen Reaktion auf eine Behandlung zusammenhing. „Wir wissen nun alles über die genetischen Veränderungen bei diesen Tumoren“, so Henderson.

Wie die Patienten davon profitieren? Zum einen steht die Analyse der Tumorproben der Patienten den behandelnden Ärzten zur Verfügung. „Die Ärzte wissen nun also, welche Mutationen ihre Patienten konkret in sich tragen”, erklärt der Bayer-Wissenschaftler. Bei manchen Medikamenten, die in Kliniken eingesetzt werden, würden derartige Analysen außerdem bereits zur Routine. „Dies hilft den Ärzten, das richtige Medikament für den richtigen Patienten zu wählen.“

Umfangreiche Daten zu Darmkrebs

Eine weitere große Errungenschaft von OncoTrack: Die Wissenschaftler entdeckten zwei neue Biomarker, die die Wirksamkeit von zwei bestimmten in der Darmkrebstherapie gängigen Medikamenten bei einem Patienten vorhersagen können. „Durch unsere Analysen haben wir viel über den Darmkrebstyp gelernt, der auf diese beiden Medikamente reagiert“, so Forscherin Marie-Laure Yaspo vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin.

Auf der Webseite der Max-Planck-Gesellschaft erklärt sie weiter: „Die Analyse hat die detailliertesten Daten zu kolorektalen Karzinomen geliefert, die wir bislang haben. […] Auf Basis dieser Ergebnisse lassen sich Diagnoseinstrumente entwickeln, die die Wirksamkeit von Medikamenten besser vorhersagen. Auf diese Weise könnte es künftig möglich sein, Darmkrebspatienten individuell je nach Tumortyp zu behandeln.“

Neue 3D-Modelle für die Forschung

Und nicht nur das: Die Ergebnisse des Projektes könnte in Zukunft auch dabei helfen, noch wirksamere Medikamente zu erforschen und zu entwickeln. Denn die Maus- und Zellkulturmodelle, die zur Züchtung der Tumore genutzt wurden, entwickelten die OncoTrack-Wissenschaftler neu: Sie erlauben es den Forschern künftig besser und genauer die Wirkung von Medikamenten auf verschiedene Darmkrebstypen vorherzusagen. 

Das gilt insbesondere für die Zellkulturmodelle, aus denen sogenannte „Organoide“ gezüchtet wurden. „Organoide sind eine kleine Gruppe an Zellen, die die Biologie des ganzen Tumors nachahmen“, erklärt Henderson. „Hergestellt aus Tumorgewebe wachsen sie in der Petrischale und bleiben relativ klein. Sie sind wie Mikrotumore“, so die Erklärung. Im Modell kann man also zum Beispiel sogar sehen, wie sich die Tumore aus den Stammzellen heraus entwickeln. Dies könnte gerade für die pharmazeutische Forschung interessant sein, denn: „Diese Zellen neigen dazu, gegen viele der Medikamente, die im Kampf gegen große Tumore genutzt werden, resistent zu sein.“ Könnte man mit einem Wirkstoff genau diese Zellen angreifen, hätte man vielleicht eine bessere Chance, den Krebs auszulöschen. Manche Pharmaunternehmen nutzen die Modelle von OncoTrack bereits für ihre Forschung.

Forschen in öffentlich-privater Partnerschaft

In einer Projektlaufzeit von 2011 bis 2016 hat OncoTrack viel erreicht. „Die Informationen und Modelle, die wir geschaffen haben, werden zukünftigen Forschungsprojekten zur Verfügung stehen“, erklärt David Henderson. Er ist sich sicher: Ohne einer öffentlich-privaten Partnerschaft wäre das alles nicht möglich gewesen. „Um in so einem komplexen Feld erfolgreich zu sein, braucht man viel Knowhow und tiefergehendes Wissen – und all das kann man nie an ein und denselben Ort finden.“ OncoTrack hat daher die Expertise aus Industrie, KMUs und akademischen Einrichtungen zusammengebracht – um gemeinsam die Forschung voranzutreiben.

* Das Interview mit David Henderson (und Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut) findet sich in englischer Version auf der Webseite der Innovative Medicines Initiative. Die Aussagen wurden sinngemäß übersetzt.

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