Im Pharma Fakten-Interview erklärt Dr. Franz Böhme  Leiter Medical Affairs Onkologie/Hämatologie bei Bayer Vital  wie Radioaktivität in der Therapie von Krankheiten zum Einsatz kommt. Foto: © Gorodenkoff Productions - iStock
Im Pharma Fakten-Interview erklärt Dr. Franz Böhme Leiter Medical Affairs Onkologie/Hämatologie bei Bayer Vital wie Radioaktivität in der Therapie von Krankheiten zum Einsatz kommt. Foto: © Gorodenkoff Productions - iStock

RNA-Therapien: Früher in den Krankheitsprozess eingreifen

Oft zielen Arzneimittel auf ganz bestimmte Proteine ab, die im jeweiligen Krankheitsprozess eine entscheidende Rolle spielen. Doch Therapeutika, die auf Ribonukleinsäure (RNA) basieren, können bereits auf RNA-Ebene in die fehlerhaften Vorgänge eingreifen – das heißt, noch bevor die Eiweiße überhaupt entstanden sind. Dadurch könnten sie in Zukunft die Behandlung vieler Erkrankungen revolutionieren.

Ein menschlicher Körper ohne Proteine? Das ist undenkbar. Denn Eiweiß spielt in vielen wichtigen Prozessen eine große Rolle. Es ist der Grundbaustein all unserer Zellen. Muskeln, Organe oder auch Haare bestehen zu einem großen Teil daraus. Eiweiß ist notwendig, damit der Mensch Stoffe wie Eisen speichern oder z.B. Sauerstoff transportieren kann.

Gebildet wird jedes Protein nach seinem „Bauplan“, der in der DNA gespeichert ist. Die Ribonukleinsäure (RNA) dient hier quasi als Mittler: Sie trägt zur Übersetzung der rein genetischen Information in reale Proteine bei. Das funktioniert zum einen mittels der Messenger-RNAs (mRNA): Sie transportieren die Bauanleitung an den Ort im Körper, an dem die Eiweiße produziert werden. Zum anderen liefern die sogenannten Transfer-RNAs (tRNA) die notwendigen Bausteine (Aminosäuren).

Therapiedurchbrüche durch RNA-Therapeutika?

Nusinersen ist ein Antisense-Oligonukleotid (ASO). Das klingt kompliziert – ist es auch. Das ASO setzt nicht an dem defekten SMN1 an, aber an dem fast identischen SMN2-Gen. Auf RNA-Ebene verändert es das SMN2-Gen so, dass es funktionsfähiges SMN-Protein herstellen kann – und somit die Aufgabe des defekten Gens quasi übernimmt. In klinischen Studien zeigte sich, dass sich dadurch die motorischen Fähigkeiten verbesserten und die Überlebenschancen der Betroffenen erhöhten. 

Weitere Antisense-Medikamente sind bei forschenden Pharmaunternehmen in der Entwicklung – beispielsweise gegen Morbus Huntington, eine erblich bedingte, degenerative Funktionsstörung des Gehirns. Eine Phase-I/II-Studie hatte hier positive Daten hervorgebracht. 

RNA: viele verschiedene Funktionen

Derartige RNA-basierte Therapien greifen auf einer Ebene an, noch bevor der aus der DNA abgelesene „Bauplan“ in ein Protein umgewandelt worden ist. Doch RNA kann ganz verschiedene Funktionen im Körper übernehmen; sie nur auf ihre Mittlertätigkeit zwischen DNA und Eiweißproduktion zu reduzieren, wäre zu kurzgefasst. 

In den 1990ern entdeckten Wissenschaftler zum Beispiel die RNA-Interferenz (RNAi) – 2006 wurde dies mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Demnach sind besondere Formen der RNA (sog. siRNA) dazu fähig, die Herstellung von Proteinen ganz zu verhindern oder zu unterdrücken. Dieses Prinzip machen sich forschende Pharmaunternehmen nun für die Medikamentenentwicklung zu Nutze. Die Idee dahinter ist, dass sich dadurch bestimmte Eiweiße, die mit einer Krankheit in Verbindung stehen, gezielt „abschalten“ lassen. Erst kürzlich hat der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA ein Mittel, das diesem Wirkmechanismus folgt, zur Zulassung empfohlen. Es richtet sich gegen die familiäre Amyloid-Polyneuropathie – eine seltene, lebensbedrohliche Erbkrankheit –, indem es die Produktion desjenigen Proteins verhindert, das für die Krankheit ursächlich ist. 

Die Herausforderungen bei der Entwicklung derartiger Medikamente sind groß: So ist RNA z.B. von Natur aus sehr instabil. Das heißt: Sie wird im Körper schnell abgebaut. Eine optimale Voraussetzung für einen Wirkstoff, der lange wirken soll, ist das nicht. Viele Entwicklungsprojekte mussten in diesem Bereich bereits Rückschläge hinnehmen oder auf Eis gelegt werden. Doch laut der Recherchen der Ärzte Zeitung sind momentan über 100 verschiedene Wirkstoffe, die in irgendeiner Weise auf RNA basieren, in ersten klinischen Studien. Sie zielen auf seltene Erbkrankheiten ab, aber auch auf z.B. Krebs, Diabetes oder Alzheimer. Erfolge wie Nusinersen machen Mut – für viele Indikationen.

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