Fünfzehn Jahre liegt die letzte Zulassung eines Alzheimer-Medikamentes zurück. Ein Konsortium will das ändern. Mit dabei: 15 forschende Pharmaunternehmen. Foto: © iStock.com/utah778
Fünfzehn Jahre liegt die letzte Zulassung eines Alzheimer-Medikamentes zurück. Ein Konsortium will das ändern. Mit dabei: 15 forschende Pharmaunternehmen. Foto: © iStock.com/utah778

Europäisches Konsortium sagt Alzheimer den Kampf an

Alzheimer ist die häufigste Form unter den Demenzerkrankungen. Bis zum Jahr 2050 sollen sich die weltweit diagnostizierten Fälle im Vergleich zu heute auf 132,5 Millionen fast verdreifachen – eine Begleiterscheinung einer auf dem Kopf stehenden Alterspyramide. Neue Medikamente gab es in den vergangenen Jahren nicht; die letzte Zulassung liegt fünfzehn Jahre zurück. Das European Prevention of Alzheimer´s Dementia Consortium (EPAD) will das ändern. Unter seinem Dach tummeln sich 38 Organisationen. Neben Universitäten und Patientenorganisationen sind auch 15 forschende Biotech- und Pharmaunternehmen als Partner dabei.

Wenn alles fehlgeschlagen ist, muss man sich halt neue Wege suchen. So oder ähnlich scheint das Credo der Macher hinter EPAD zu sein, der nach eigenen Angaben größten öffentlich-privaten Partnerschaft in der Erforschung der Demenzerkrankung. Das Konsortium vereint Europas Expertise in Sachen Alzheimer und definiert ein unbescheidenes Ziel: „Changing the future of clinical trials in Alzheimer’s disease“. Das Motto könnte lauten: Lernen aus den Fehlschlägen von gestern. Mit dem Scheitern soll es bald vorbei sein.

Muss es auch. Denn eine Lösung gegen Alzheimer, die Verlangsamung der Krankheit oder gar ihre Heilung, wird es nur in Form neuer Medikamente oder Impfstoffe geben. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Es dürfte kaum eine Erkrankung geben, in der medizinischer Bedarf und die Lösung desselben so weit auseinanderliegen. Deshalb hat das EPAD-Team eine Plattform entwickelt mit dem Ziel, die Entwicklung von effektiven und sicheren Arzneimitteln zu beschleunigen. Es geht schlicht um Effizienz – und dazu haben sie sich bei EPAD ein besonderes Instrument ausgedacht: die „adaptive clinical trials“.

Adaptive trials: Klinische Studien neu gedacht

Kern von EPAD ist ein pan-europäisches Register mit den Daten von mehr als einer halben Million Menschen in einem Alter jenseits der 50 Jahre, die verschiedene Demenz-Risiken in sich tragen. Sie sind die EPAD-Kohorte. Hier werden Menschen aufgenommen, die noch keine Demenz entwickelt haben. Sie willigen ein, sich standardisierten Tests und Gehirnscans zu unterziehen und werden regelmäßig über Jahre hinweg medizinisch untersucht. Die Forscher erhoffen, dass sie aus den Daten ein besseres Verständnis für die Grundlagen und Entstehungsprozesse von Alzheimer im menschlichen Gehirn gewinnen können. Das Ziel: So früh wie möglich die Veränderungen erkennen – und das Jahrzehnte bevor sich Alzheimer manifestiert. Finden die Ärzte bei den Teilnehmern Hinweise auf Faktoren, die mit der Entwicklung der Krankheit in Verbindung gebracht werden, können diese an klinischen Studien teilnehmen – den so genannten „adaptive clinical trials“. Mit diesem Vorgehen soll die Entwicklung von Medikamenten deutlich beschleunigt werden.

Typischerweise müssen neue Wirkstoffe ihre Sicherheit und Wirksamkeit in klinischen Studien belegen, in denen der zu testende Wirkstoff gegen ein Scheinmedikament (Placebo) antreten muss (s. Grafik). In den Adaptive Trials hingegen können sich mehrere verschiedenen Kandidaten mit einem gemeinsamen Scheinmedikament vergleichen. Auf diese Weise erhoffen sich die Wissenschaftler schnellere Erkenntnisse darüber, welcher Ansatz funktioniert und welcher nicht. Ein weiterer Vorteil: Bei den klassischen Studien ist die Chance eines Patienten, nur ein Scheinmedikament zu erhalten, exakt 50 Prozent. Bei den EPAD-Studien ist diese Chance deutlich kleiner, denn es gibt einen Placebo-Arm, aber mehrere Wirkstoffarme. Außerdem können jederzeit neue Wirkstoffe oder deren Kombinationen aufgenommen werden – das System ist flexibler.

Herausforderung Alzheimer: Patienten finden, die noch gar keine sind

EPAD ist Ausdruck eines Strategiewechsels im Kampf gegen Alzheimer und beruht auf der Erkenntnis, dass die Voraussetzungen für die Entwicklung dieser Demenz-Erkrankung bereits Jahrzehnte vor dem Auftreten der ersten Symptome vorliegen. Vielleicht ist das die größte Herausforderung: Dass man Patienten finden muss, die noch gar keine sind. Und das bei einer Erkrankung, bei der die Bezeichnung „komplex“ letztlich euphemistisch ist: „Therapien zu entwickeln, mit denen man ursächlich den der Erkrankung zu Grunde liegenden biologischen Prozess beeinflussen will, ist methodisch unglaublich schwierig. Denn es handelt sich bei der Erkrankung um ein recht heterogenes Geschehen – mit großen individuellen Unterschieden bei den Patientengruppen hinsichtlich der Progression der Erkrankung, der Ausgangsintelligenz, Begleiterkrankungen und so weiter“, sagt Prof. Dr. Georg Adler, Vorstandsvorsitzender der Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz gegenüber Pharma Fakten. 

Ende September hat das EPAD-Konsortium einen Meilenstein erreicht und die Tausendermarke geknackt: Aktuell sind über 1.077 Teilnehmer (Stand: 17.10.2018) in der Kohorten-Studie aufgenommen – und jede Woche kommen neue hinzu. Sie sind die Grundlage für die klinischen Studien, die folgen sollen: „Die Rekrutierung aus der EPAD-Kohorte ermöglicht es uns, die richtigen Personen für die Medikamentenstudien auszuwählen, nämlich diejenigen, die am ehesten davon profitieren werden”, sagt einer der beiden EPAD-Koordinatoren Prof. Craig Ritchie von der Universität Edinburgh. Er hofft, dass das Projekt einen „fundamentalen Unterschied im Verständnis und dem Management der Alzheimer-Erkrankung machen wird: Dies könnte ein ´Game Changer` sein.“ Und damit ein Impulsgeber für eine künftig effizientere Arzneimittelentwicklung. Ritchie gilt als einer der führenden Experten auf seinem Gebiet: In über 50 klinischen Studien war er bereits leitender Prüfarzt. 

Die Hoffnung der EPADistas

Den Unterschied zwischen dem klassischen und dem EPAD-Ansatz erklärt Serge Van der Geyten vom forschenden Pharmaunternehmen Janssen, neben  Ritchie der andere Projektleiter: „Sagen wir, Du möchtest eine Studie mit 300 Menschen durchführen. Die kommen in die Klinik, Du testest ihre kognitiven Fähigkeiten und ihren Amyloid-Status – aber 90 Prozent passen nicht. Also musst Du 3.000 Menschen screenen, um 300 Studienteilnehmer zu bekommen.“ Doch diese Vorarbeit, so erhoffen es sich die EPAD-Verantwortlichen, ist bereits durch die Vorselektion in der EPAD-Kohorte abgedeckt – zumindest zu großen Teilen. Schließlich sind ihre Risikofaktoren bereits erfasst. Die EPADistas, wie sie sich nennen, hoffen, dass sie durch den neuen Ansatz die Rate der Fehlscreenings von 90 auf rund 20 Prozent reduzieren können.

EPAD ist ein 60-Millionen Euro-Projekt – finanziert in erster Linie durch die Innovative Medicines Initiative (IMI) und den Verband der europäischen Pharmaindustrie und ihrer Verbände (EFPIA). 38 Institutionen, 20 klinische Zentren in sieben europäischen Ländern sind mit dabei und machen aus dem Konsortium ein europäisches Projekt per exellence: Während das politische Europa immer wieder (selbst-)zerstörerischen Ziehkräften ausgesetzt ist, finden sich bei EPAD europäische Forscher unter einem Dach zusammen, um dem Kampf gegen eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen entscheidende Impulse zu geben. 

Weiterführende Links:

EPAD Introduction (Youtube)

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