Das COMPACT-Forschungsprojekt hatte ein Ziel: Hürden bei der Entwicklung von Biopharmazeutika abbauen. Wurde das Ziel erreicht? Foto: CC0 (Stencil)
Das COMPACT-Forschungsprojekt hatte ein Ziel: Hürden bei der Entwicklung von Biopharmazeutika abbauen. Wurde das Ziel erreicht? Foto: CC0 (Stencil)

Das Potenzial biopharmazeutischer Medikamente weiter ausschöpfen

Sei es Multiple Sklerose, Asthma oder Rheuma: Biopharmazeutika haben die Behandlung vieler Patienten grundlegend verändert. Doch die Forschung hat noch einige Barrieren zu überwinden, bis ein breiterer Einsatz dieser Medikamente möglich wird. Im Jahr 2012 schlossen sich daher 14 akademische Einrichtungen, zwei Biotech- und sieben Pharmaunternehmen zusammen – mit einem Ziel: Gemeinsam wollten sie die Hürden, die der Entwicklung innovativer Biopharmazeutika im Weg stehen, reduzieren. Was haben sie erreicht?

„Biologische Medikamente werden entwickelt, weil sie viel effizienter wirken als herkömmliche Arzneimittel, die kleine, synthetische Moleküle sind. Die biologischen Moleküle sind biologischen Ursprungs: zum Beispiel Proteine und Nukleinsäuren“, erklärt Ekkehard Leberer vom Pharmaunternehmen Sanofi-Aventis. Biopharmazeutika können besonders gezielt in Krankheitsprozesse eingreifen – auch an solchen Stellen, die traditionelle Medikamente nicht erreichen. Für einige Patienten – wie etwa jene, die von einer schweren Form von Asthma betroffen sind – stellen sie daher eine Revolution dar. 

„Allerdings hat unser Körper im Zuge der Evolution Mechanismen entwickelt, um uns vor solchen Molekülen zu schützen, denn diese Moleküle können genauso gut Viren und andere Krankheitserreger sein“, führt Leberer weiter aus. „Diese Barrieren müssen wir nun überwinden. Das ist eine große Herausforderung.“ Ein Beispiel: Weil die Moleküle oft von sehr komplexer und empfindlicher Natur sind, müssen die meisten Biopharmazeutika injiziert werden. Bei einer oralen Einnahme würde der menschliche Magen sie auf ihrem Weg zum Ziel zerstören. Und überhaupt: Durch ihre Größe ist es gar nicht so einfach, dass sie an den Ort im Körper gelangen, an dem sie wirken sollen.

„COMPACT“: Biopharmazeutika im Fokus

Biopharmazeutika: Neue Therapieoptionen für Menschen mit komplexen Erkrankungen.
Biopharmazeutika: Neue Therapieoptionen für Menschen mit komplexen Erkrankungen.

Im Jahr 2012 hat die Innovative Medicines Initiative (IMI, s. Infokasten) daher das Projekt „COMPACT (Collaboration on the optimisation of macromolecular pharmaceutical access to cellular targets)“ ins Leben gerufen. Akademische Einrichtungen, Biotechs und Pharmaunternehmen wie Sanofi-Aventis, Boehringer Ingelheim, GlaxoSmithKline und Pfizer haben darin bis 2017 zusammengearbeitet, um die Hürden in der Biopharmazeutika-Entwicklung gemeinsam zu erforschen und zu überwinden. „Hauptziel unseres Projektes war es, Systeme zu entwickeln, die die Medikamente an die Stellen im Körper bringen, wo sie gebraucht werden“, meint Projektkoordinator Leberer im IMI-Interview.

Dazu war viel Forschung notwendig – so nahmen die Wissenschaftler etwa den Prozess, der Biopharmazeutika von der Injektionsstelle an den Zielort im Körper bringt, genauer unter die Lupe. Wissenschaftler nutzen dafür Nanotransporter, die an ihrer Oberfläche so modifiziert sind, dass sie an spezifische Zellen binden und den Wirkstoff dort gezielt „abladen“ können. Das COMPACT-Team fand heraus, warum das in manchen Fällen funktioniert und in manchen nicht. „Dadurch haben wir einen grundlegenderen Einblick darin gewonnen, wie Nanomedikamente […] funktionieren“, so Enrico Mastrobattista, Professor für pharmazeutische Biotechnologie an der Universität Utrecht. Im Rahmen des Projektes wurde außerdem ein Nanopartikel entwickelt, der ein neuartiges therapeutisches Oligonukleotid – ein bestimmter Wirkstoff – per Inhalation in die Lunge bringen soll.

Biopharmazeutika patientenfreundlicher machen

Wichtige Erkenntnisse gab es laut Mastrobattista auch in Bezug auf die Insulin-Therapie bei Diabetes. „Insulin funktioniert gut, aber es muss per Injektion verabreicht werden. Das ist bis zu einem gewissen Grad in Ordnung, aber wenn man es den Patienten in Form einer Tablette […] zuführen könnte, wäre das sehr viel patientenfreundlicher“, erklärt er. Die gute Nachricht ist: Die COMPACT-Wissenschaftler haben herausgefunden, dass spezielle Moleküle – genauer gesagt: Peptide, die fähig sind Zellmembranen zu durchdringen – dabei helfen können, dass das Insulin über die Darmwand ins Blut gelangt. Dieses Wissen ist ein erster Schritt, um derartige Biopharmazeutika eines Tages oral verabreichen zu können, weiß Mastrobattista. 

Zusätzlich wurden im Rahmen des Projektes spezielle Mikronadeln entwickelt, welche Peptide direkt in die Haut abgeben können. Diese Mikronadeln sind so fein, dass sie sich auflösen, nachdem sie in die Haut eingeführt wurden. Im Vergleich zu einer gewöhnlichen Spritze ist auch das: patientenfreundlicher.

COMPACT: Und was kommt nun?

Und noch eine Schranke, die Medikamenten den Weg zu ihrem Ziel verschließt, hat sich das COMPACT-Team vorgenommen: die Blut-Hirn-Schranke (s. Pharma Fakten). „Das Gehirn ist ein sehr isoliertes Organ – es gibt eine Schranke zwischen dem Blut und den Gehirnzellen. Diese zu überwinden stellt eine große Herausforderung in der Wirkstoffabgabe dar“, erklärt Mastrobattista. Doch auf der Suche nach Möglichkeiten, Arzneimittel ins Gehirn zu transportieren, haben die Wissenschaftler neue Ansatzpunkte gefunden. Noch ist die Forschung im Anfangsstadium, aber es wurde bereits ein weiteres IMI-Projekt ins Leben gerufen, das sich näher damit auseinandersetzen wird.

COMPACT hat wichtige Grundlagenarbeit geleistet – die zu einer neuen Generation von Biopharmazeutika führen kann. So kam es nicht nur zu über 65 wissenschaftlichen Publikationen, sondern es wurden auch Patente auf gewisse Technologien oder Rezepturen eingereicht, die während des Projektes entwickelt worden waren. Zudem ist die Ausgründung eines Biotechunternehmens, das auf den gemachten Erkenntnissen aufbauen möchte, Ergebnis von COMPACT. Und: Auch Unternehmen, die nicht Teil des Konsortiums waren, zeigen Interesse in den neuentwickelten Systemen der Wirkstoffabgabe. So arbeiten manche von ihnen bereits mit COMPACT-Partnern zusammen, um herauszufinden, ob diese Systeme von Nutzen für ihre eigenen Medikamente sein könnten. „Auf lange Sicht könnte das zu einer neuen Reihe an Therapeutika führen“, sagt der Experte von der Universität Utrecht.

Industrie, Akademiker und Patienten profitieren von COMPACT

„Was ich gelernt habe, ist, dass die Industrie und die akademische Welt die selben Ziele haben. Die Art und Weise, wie wir die Dinge angehen, mag unterschiedlich sein, aber zusammen können wir es weit bringen“, ist sich Mastrobattiasta sicher. Und auch Leberer bestätigt: „So viele Partner und die Möglichkeit zu haben mit 130 Wissenschaftlern aus ganz Europa in einem Projekt zusammenzuarbeiten: Das war einzigartig […].“

Davon profitieren letztlich die Patienten. IMI schreibt dazu auf ihrer Webseite: „Biopharmazeutika haben das Potential das Leben von vielen Patienten mit Erkrankungen […], die aktuell schwierig oder unmöglich zu behandeln sind, zu verbessern.“ COMPACT hat effektivere Wege gefunden, um solche Medikamente zu verabreichen und sie durch den Körper zu transportieren. Hinzukommen womöglich patientenfreundlichere Anwendungsformen (z.B. Tablette statt Spritze), die die Lebensqualität und Therapietreue erhöhen können.  

Derartige Erfolge passieren in Netzwerken: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das nur ein einziges Unternehmen oder ein einziges Institut hätte tun können“, meint Leberer. IMI hat Experten aus ganz Europa auf einem Gebiet zusammengebracht, in dem viele unterschiedliche Kompetenzen und Fachkenntnisse gefragt sind.

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