Fakten bei die Fische

Es hat Tradition: Immer im Herbst erscheinen von einigen Playern im Gesundheitswesen verschiedene Analysen über Arzneimittel, Arzneimittelpreise, und steigende Ausgaben – nicht selten in alarmistischen Tönen. Hier und da lohnt sich aber ein genauer Blick auf die Fakten, um festzustellen: Es gibt wenig Grund zur Aufregung.

Er ist noch einmal zurückgegangen, wenn auch nur um 0,1 Prozentpunkte. Der Anteil der Arzneimittelausgaben an der Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegt zur Jahreshälfte 2019 bei 16,8 Prozent (2018 gesamt: 16,9 %; s. Grafik). Die Zahl enthält nicht nur die von der GKV bezahlten Arzneimittel für rund 73 Millionen Menschen, sondern auch die viele Milliarden Euro schwere Mehrwertsteuer, die dem Staat in die Tasche fließt. Außerdem enthalten sind die Kosten für die Arzneimitteldistribution; soll heißen: für den pharmazeutischen Großhandel und die rund 20.000 Apotheken im ganzen Land. Der Kostenanteil an den Gesamtkosten der GKV, der bei der pharmazeutischen Industrie landet, dürfte bei rund 10 Prozent liegen.

Die GKV hat das erste Halbjahr mit einem leichten Minus abgeschlossen, wie das Bundesgesundheitsministerium (BMG) schreibt: „Um ihre Rücklagen abzubauen, haben die gesetzlichen Krankenkassen im ersten Halbjahr 2019 mehr ausgegeben, als sie durch Beitragszahlungen eingenommen haben. Trotzdem liegen ihre Finanzreserven immer noch bei rund 20,8 Milliarden Euro.“ Und Jens Spahn, der Chef des Hauses, erklärte: „Die aktuellen Kassenzahlen zeigen in die richtige Richtung: Notwendige Leistungsverbesserungen kommen jetzt bei den Versicherten an. Und Krankenkassen mit übermäßig hohen Finanzreserven haben endlich begonnen, ihre Mitglieder über geringere Zusatzbeiträge zu entlasten.“

Insgesamt sind die Gesamteinnahmen der Krankenkassen um 3,6 Prozent gestiegen. „Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten verzeichneten bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von rund 0,5 Prozent einen Zuwachs von 4,7 Prozent“, heißt es beim BMG. Ein halbes Prozent Zuwachs bei den Versicherten bedeutet immerhin, dass über 350.000 Menschen mehr von der GKV versorgt werden als im Vorjahr.

Gute Nachricht: Deutlich mehr Impfstoffdosen

Die GKV versorgt rund 73 Millionen Versicherte mit Medikamenten. Foto: ©iStock.com/fizkes
Die GKV versorgt rund 73 Millionen Versicherte mit Medikamenten. Foto: ©iStock.com/fizkes

Die Arzneimittelausgaben sind im ersten Quartal 2019 um 4,9 Prozent gestiegen. Das BMG macht darauf aufmerksam, dass die Krankenkassen „nach wie vor durch deutliche Zuwächse (+8,3 Prozent) bei Rabattvereinbarungen mit pharmazeutischen Unternehmern entlastet“ werden. Hohe Zuwachsraten gab es auch bei den Ausgaben für Schutzimpfungen. Sie stiegen im ersten Halbjahr um 13,8 Prozent. Eine gute Nachricht, wenn man den Nachholbedarf betrachtet, den Deutschland in Sachen Krankheitsvermeidung vor sich herschiebt: Bereits im Mai diesen Jahres hatte das Beratungsunternehmen IQVIA einen deutlichen Anstieg vermeldet. Im ersten Quartal hatten die abgegebenen Impfdosen gegenüber dem Vorjahr um rund 17 Prozent zugenommen (s. Pharma Fakten).

Und noch eine Zahl von IQVIA ist diesem Kontext interessant: In der ersten Jahreshälfte 2019 haben die so genannten AMNOG-Produkte – also Arzneimittelinnovationen, die sich im ersten Jahr nach Einführung dem Verfahren einer Nutzenbewertung einschließlich einer Preisfindung unterziehen müssen – bereits Einsparungen in Höhe von fast 1,5 Milliarden Euro erzielt. Das ist fast schon so viel, wie im Gesamtjahr 2017. Die durch Erstattungsbeträge generierten Einsparungen steigen jährlich im zweistelligen Prozentbereich, stellt das Beratungsunternehmen fest.

Bei der Präsentation des Arzneiverordnungs-Reports (AVR) 2018 im vergangenen Jahr – Pharma Fakten berichtete – hatten die Autoren einen Anstieg bei den Arzneimittelausgaben in Höhe von 1,4 Milliarden Euro errechnet und auch gleich die patentgeschützten Arzneimittel als Hauptverantwortliche auserkoren.

Der Arzneimittelanteil an den GKV-Gesamtausgaben ist seit Jahrzehnten unverändert. Foto: ©iStock.com/Halfpoint
Der Arzneimittelanteil an den GKV-Gesamtausgaben ist seit Jahrzehnten unverändert. Foto: ©iStock.com/Halfpoint

Eine mutige Interpretation, wie sich beim Blick in das 900-Seiten-Werk zeigt. Denn im AVR selbst war nachzulesen, dass das Umsatzwachstum der patentgeschützten Arzneimittel zwischen 2016 und 2017 bei rund 200 Mio. Euro lag. Innovative Medikamente waren also nur zu rund einem Sechstel (14 %) für den Ausgabenanstieg der Medikamente verantwortlich. Deshalb stellt der AVR 2018 auf S. 7 richtig fest: „Allerdings sind die Umsätze patentgeschützter Arzneimittel 2017 nur geringfügig angestiegen.“ Auch über eine längere Zeitschiene zeigt sich, dass der Anteil des Umsatzes patentgeschützter Arzneimittel zwischen 2002 (44,6 %) und 2017 (44,6 %) stabil ist und nur leicht mal nach oben, mal nach unten schwankt: Wenn also je die patengeschützten Arzneimittel der „Hauptverursacher“ von Kostensteigerungen gewesen sein sollten, so liegt dies mindestens 16 Jahre zurück.

Prinzipiell stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, Kostensteigerungen patentgeschützter Arzneimittel per se zu skandalisieren. Denn rein durch die Kostenbrille betrachtet, wäre es natürlich besser, weniger neue Therapien zu haben.

Aber wer will das?

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