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Den Tumor an der Achillesferse angreifen

Professor Stefan Pfister vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg leitet das Projekt „Individualisierte Therapie für Rückfälle von bösartigen Tumoren bei Kindern“ (INFORM). Das Projekt wird vom Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), von der Deutschen Krebshilfe und von der Kinderkrebsstiftung gefördert. Mit personalisierten Therapieansätzen versuchen die Heidelberger Forscher Kindern, die einen Krebsrückfall erlitten haben, eine zweite Chance zu geben.

Wie häufig bekommen Kinder Krebs?

Prof. Stefan Pfister: Krebs gilt bei Kindern immer noch als die zweithäufigste. In Deutschland gibt es rund 2.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Zwar sind die Heilungschancen mit fast 80 Prozent grundsätzlich gut. Die Aussichten für Patienten, die einen Rückfall erleiden, sind jedoch deutlich schlechter. Die Heilungsquote liegt hier bisher bei lediglich etwa zehn Prozent.

Wie kam es zur Konzeption und Umsetzung des INFORM-Projekts?

Pfister: Wir haben nach Wegen gesucht, wie wir den jährlich circa 500 Rückfallpatienten in Zukunft besser helfen können. Diese sind in einer äußerst verzweifelten Situation. Man kann sagen, dass wir bei der Behandlung der Ursprungstumoren fast all unser Pulver verschossen haben. Weitere operative Maßnahmen werden häufig gar nicht mehr in Erwägung gezogen. Stattdessen werden relativ gut verträgliche Therapien durchgeführt, die häufig lediglich auf eine Verlängerung des Lebens und eine Linderung der Symptome abzielen. Außerdem wollten wir wissen, was die resistenten Tumoren der Rückfallpatienten von den Ursprungstumoren unterscheidet.

Was unterscheidet die Idee des Projektes von bisherigen Ansätzen der Kinder-Krebstherapie?

Pfister: Uns war klar, dass sich resistent gewordene Tumoren biologisch von den Ursprungstumoren unterscheiden. Demnach muss die Therapie anders aussehen als bei der ersten Therapie. Weiß man, um was für einen Tumor es sich handelt, gibt es vermutlich öfter Möglichkeiten, den Tumor gezielt an seiner „Achillesverse“ anzugreifen. Dies ist jedoch längst nicht gängige Praxis, unter anderem weil man von den meisten Rückfallpatienten gar keine Proben des Tumors mehr nimmt. Hier setzt unser Projekt an. Wir führen eine Genanalyse des Tumormaterials durch und leiten daraus gezielte, individuelle Therapieempfehlungen ab.

Wer beteiligt sich am Projekt?

Pfister: INFORM ist bundesweit angelegt. Wegen der verhältnismäßig geringen Zahl an Rückfallpatienten wäre die sinnvolle Auswertung einer solchen Untersuchung sonst nicht möglich. Dem Projekt sind etwa 55 verschiedene Zentren in ganz Deutschland angeschlossen. Für die Teilnahme kommen potenziell alle Rückfallpatienten der häufigsten zehn Krebsarten in Frage. Ihre Ärzte müssen uns lediglich das Tumormaterial zur Analyse einschicken.

Die zehnmonatige Pilotphase steht kurz vor dem Abschluss. Etwa 45 Patienten haben das Projekt in den zehn Monaten durchlaufen. Dabei ging es besonders auch darum, die notwendige Infrastruktur für das Projekt aufzubauen. In der nächsten Phase des Projektes planen wir eine Machbarkeitsstudie für 130 bis 150 Patienten pro Jahr.  Dann werden die Analysedaten den Onkologen über eine zentrale Datenbank bereitgestellt. In dieser Phase werden noch keine verbindlichen Therapieempfehlungen ausgesprochen, aber die Kollegen können die Information potenziell für individuelle Therapieentscheidungen nutzen.

Welche Erfolge sind bisher zu verzeichnen?

Pfister: Die Projektdauer ist zu kurz, um bereits von handfesten Erfolgen sprechen zu können. Immerhin konnten wir bei zahlreichen Patienten alternative Therapieoptionen identifizieren. Einige von ihnen, die vorher auf keine Therapie ansprachen, reagieren nun auf die zielgerichtete Behandlung. Bei anderen Patienten muss erst noch etwas Zeit verstreichen, bevor Fortschritte messbar werden.

Gibt es besondere Hindernisse bei der Projektarbeit?

Pfister: Natürlich ist es extrem schwierig, ein nationales Projekt mit so vielen beteiligten Zentren aufzuziehen und zu koordinieren. Dazu kommt der große Zeitdruck. Alle Prozesse müssen einwandfrei funktionieren, denn für jeden Patienten ist Zeit kostbar. Ein großes Problem sind außerdem die immensen Kosten. Allein die genetische Analyse des Tumormaterials kostet bis zu 7.000 Euro. Dazu kommen je 5.000 bis 10.000 Euro für die Medikamente. Da es in vielen Fällen keinen Nachweis über die Wirksamkeit der Alternativtherapie bei dieser Tumorart gibt, werden die Kosten nicht immer von den Krankenkassen übernommen.

Wie gehen Sie mit dieser finanziellen Herausforderung um?

Pfister: Neben der Förderung durch DKTK, die Krebshilfe und die Kinderkrebsstiftung ist unser Projekt weiterhin auf die Unterstützung Dritter angewiesen. Um Mittel aufzubringen, haben mein Kollege Prof. Stefaan van Gool und ich gemeinsam mit unseren Ensembles Ende September ein Benefizkonzert in der Heidelberger Stadthalle gespielt – er an der Geige, ich am Saxophon. Mit der Resonanz sind wir sehr zufrieden. Vor allem freut es uns, dass wir jetzt im Nachhinein immer noch Anfragen von Firmen und Mäzenen bekommen, die größere Spenden tätigen wollen. Man kann sagen, da ist ein Schneeball ins Rollen gekommen. Einem breiteren Publikum stellen wir INFORM bei der ZDF-Gala „Ein Herz für Kinder“ am Samstag, den 6. Dezember, vor.

Rechnen Sie damit, zukünftig alle 500 Neuerkrankten pro Jahr ins Projekt aufnehmen zu können?

Pfister: Diese Perspektive scheint derzeit doch noch ein Stück entfernt, aber nicht unrealistisch. Es werden wohl kontinuierlich mehr Patienten werden. In den letzten Jahren sehen wir einen eindeutigen Trend in Richtung der personalisierten Medizin. Deshalb besteht die berechtigte Hoffnung auf weitere Förderung und Unterstützung, auch aus dem Bereich der Politik. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka, hat bereits großes Interesse an unseren Ansätzen bekundet.

Könnte sich Ihr Projekt als Musterbeispiel für die erfolgreiche Anwendung von personalisierter Medizin auch auf andere Krankheitsgebiete übertragen lassen?

Pfister: Letztlich verhält es sich bei Kindertumoren genauso wie bei Erwachsenentumoren: Es gibt unterschiedliche Arten, die unterschiedlich behandelt werden müssen. Der Vorteil bei den Kindertumoren ist, dass sie in der Regel genetisch gesprochen wesentlich weniger komplex sind. Es ist daher vermutlich einfacher, die Achillesferse des Tumors zu identifizieren. Außerdem arbeiten wir in der Kinderonkologie traditionell sehr kooperativ zusammen. Nachdem es in verschiedenen anderen europäischen Ländern ähnliche Initiativen gibt, wird uns diese Kultur helfen, in gar nicht so ferner Zukunft in einem europaweiten Projekt zusammenzuarbeiten.

Was war der schönste Moment für Sie in der bisherigen Projektphase?

Pfister: Ganz am Anfang der Pilotphase hatten wir einen Patienten mit einem inoperablen Tumor im Halsbereich. Diese Tumoren können aber nur duch komplette operative Entfernung geheilt werden. Nach der Analyse des Tumors konnten wir eine zielgerichtete Therapie ausmachen. Tatsächlich bildete sich der Tumor so weit zurück, dass der Patient letztlich doch operiert werden konnte. Heute dürfen wir hoffen, dass dieser Patient geheilt ist.

Besonders erfreulich ist, dass wir solch positive Erfahrungen bereits in einem so frühen Stadium des Projektes machen konnten. In der Pilotphase ging es uns schließlich vor allem erst mal um die Etablierung der Projektinfrastruktur. In Zukunft möchten wir natürlich noch viele weitere solcher Erfolge erzielen.

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