In den vergangenen Jahren sind viele zielgerichtete Therapien gegen Lungenkrebs in die Versorgung gekommen. Aber ein Drittel der Patient:innen, für die die Therapien in Frage kommen, erhält sie nicht. Ein Interview mit Professor Dr. Jürgen Wolf. Foto: ©iStock.com/peterschreiber.media
In den vergangenen Jahren sind viele zielgerichtete Therapien gegen Lungenkrebs in die Versorgung gekommen. Aber ein Drittel der Patient:innen, für die die Therapien in Frage kommen, erhält sie nicht. Ein Interview mit Professor Dr. Jürgen Wolf. Foto: ©iStock.com/peterschreiber.media

Lungenkrebs: Halbierung der Sterblichkeit in Sicht

Kaum eine andere Krebsart verbreitete über Jahrzehnte hinweg so viel Schrecken wie der Lungenkrebs: Er zählte zu den häufigsten und tödlichsten Krebsarten. In den vergangenen zehn Jahren gab es allerdings dramatische positive Veränderungen. Welche das sind, wie sie zustande kamen und was in den kommenden Jahren getan werden muss, darüber sprach eine Expertenrunde zum Thema „Lungenkrebs“ bei „Vision Zero 2020“, einem interdisziplinären Symposium, das jährlich in Berlin stattfindet – diesmal coronabedingt in virtueller Form.

„Bis vor zehn Jahren hatten wir nur schlechte Nachrichten zu Lungenkrebs“, berichtete Prof. Reinhard Büttner, Direktor des Pathologischen Instituts an der Universitätsklinik Köln. „Doch das hat sich in den letzten Jahren geändert.“ Statt auf „unselektive Chemotherapien“ zu setzen, die sich als nicht sehr effektiv erwiesen hätten, habe man begonnen, Lungenkrebs nicht nur in groß- und kleinzellig einzuteilen, sondern in einen „ganzen Korb von Erkrankungen“. Man habe mehr als tausend Krebsgenome entdeckt, die sich als „Treibermutationen bei Lungenkrebs“ erwiesen hätten. „Es wurden Moleküle entwickelt, die gezielt in der Krebszelle angreifen können“, erklärte Büttner. „Jede Mutation erlaubt verschiedene Therapien, die in der Summe dazu führen, dass eine Halbierung der Mortalität in Sicht ist.“ Die Sterblichkeit bei Lungenkrebs sei in den vergangenen Jahren bereits von jährlich 53 auf unter 40 pro 100.000 Einwohner gesunken und dieser Trend könne sich fortsetzen.

Netzwerk ermöglicht Zugang zu modernen Krebs-Therapien

„Es gibt kaum ein Therapiefeld, das in den letzten Jahren so innovativ vorangegangen ist wie die Therapie von Lungenkrebs“, so Büttner weiter, „ich kenne Patienten, die in einem sehr fortgeschrittenen Stadium mittlerweile zwölf Jahre Überlebenszeit erreicht haben.“

Lungenkrebs: Fortschritte in Therapien zeigen Erfolg. Foto: ©iStock.com/peterschreiber.media
Lungenkrebs: Fortschritte in Therapien zeigen Erfolg. Foto: ©iStock.com/peterschreiber.media

Damit die neuen, maßgeschneiderten Therapien möglichst viele Patienten erreichen können, wurde im April 2018 das „nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs“ gegründet, eine Weiterentwicklung des Kölner Netzwerkes Genomische Medizin (NGM). In diesem Netzwerk haben sich die onkologischen Spitzenzentren in Deutschland zusammengeschlossen mit dem Ziel, möglichst vielen Lungenkrebs-Patienten den Zugang zu moderner molekularer Diagnostik und neuesten Therapien zu ermöglichen. Die Rate an molekularen Testungen soll erhöht und dadurch die Prognose von Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs verbessert werden. „Dieses Netzwerk erreicht rund die Hälfte der Lungenkrebs-Patienten“, weiß Büttner. Damit es noch mehr werden, gelte es, möglichst viele lokale Onkologen zu erreichen und gemeinsam mit ihnen eine heimatnahe und zugleich hochmoderne Therapie zu ermöglichen.

Lungenkrebs: Der vergessene Tumor

Prof. Martin Reck, Chefarzt der LungenClinic Großhansdorf, erklärte, Lungenkrebs sei lange „der vergessene Tumor“ gewesen. Doch inzwischen gebe es „zwei Felder, die einen Paradigmenwechsel eingeleitet haben: Die zielgerichtete Therapie und die Immuntherapie.“ Zielgerichtete Therapien hemmen mit Hilfe von Wirkstoffen, die auf die biologischen Eigenschaften des Tumors ausgerichtet sind, das Wachstum von Krebszellen. „Wir können 30 bis 40 Prozent der Patienten mit zielgerichteten Therapien behandeln“, berichtete Reck, „aber dazu wird eine molekulare Testung der Patienten immer wichtiger – denn nur so finden wir die Mutationen, an denen wir ansetzen können.“

Die Immuntherapie ist nach Recks Aussage „geradezu ein medizinisches Wunder.“ Viele Krebszellen senden Signale, die die Immunabwehr ausbremsen. Doch so genannte Checkpoint-Inhibitoren sind in der Lage, diese Signale zu blockieren und die Immunabwehr zu aktivieren. Martin Reck: „Die Immuntherapie ist mittlerweile Standard in der Erstlinientherapie und konnte die Fünf-Jahres-Überlebensrate verdoppeln – von 16 Prozent auf 32 Prozent.“

Thomas Illmer, stellvertretender Vorsitzender des Berufsverbandes der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO) betonte, wie wichtig „die Kommunikation komplexer Befunde zwischen Präzisionsdiagnostiker und Behandler“ sei. Er selbst habe einen 67-Jährigen mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom behandelt, bei dem Mutationen in zwei unterschiedlichen Genen vorgelegen hätten. In solchen Fällen seien Netzwerke enorm hilfreich, in denen sich unterschiedliche Experten austauschen. Das nNGM sei ein solches Netzwerk und zugleich sei es „das Dach, unter dem Präzisionsdiagnostik stattfinden kann.“ Sein eigener Berufsverband, so Illmer, setze sich für „wissensgenerierende Flächenversorgung“ ein – also letztlich dafür, dass möglichst viele niedergelassene Onkologen ihre Patienten optimal und nach dem neuesten Stand der Wissenschaft versorgen können.

Lungenkrebs und Rauchen: Ein Euro Präventionsabgabe

Einig waren sich die Experten darüber, welches Ziel in den kommenden Jahren in Sachen Lungenkrebs erreicht werden soll – nämlich eine signifikante Reduzierung von Neuerkrankungen.

Rauchen: Die wichtigste Zielgruppe bei der Prävention sind Jugendliche. CC0 (Stencil)
Rauchen: Die wichtigste Zielgruppe bei der Prävention sind Jugendliche. CC0 (Stencil)

Auch wenn sich die Therapiemöglichkeiten enorm verbessert haben, so geht „dennoch der größte Anteil an Sterblichkeit durch Krebs immer noch auf den Lungenkrebs zurück“, erklärte Reinhard Büttner. Deshalb sei es notwendig, so bald wie möglich „eine Präventionsabgabe von einem Euro auf jede Schachtel Zigaretten zu erheben“. Das Geld solle dazu beitragen, „gezielte Präventionsmaßnahmen und Früherkennungskonzepte“ zu finanzieren. Daneben müsse es ein komplettes Verbot von Tabakwerbung geben, auch für E-Zigaretten. „Die wichtigste Zielgruppe bei der Prävention sind Jugendliche“, so Büttner, „sie müssen wir vom Rauchen abhalten – denn die Chance, dass sie später noch Nichtraucher werden, ist zwar vorhanden, aber gering.“

Büttner betonte in seinem Schlusswort allerdings auch, dass Prävention und Früherkennung zwar viele, aber keineswegs alle Krebserkrankungen verhindern können. „Etwa 30 bis 40 Prozent der Krebserkrankungen sind schicksalhaft, das Alter ist dabei der wichtigste Faktor. Alternde Gesellschaften haben eine höhere Krebslast, denn es kommt im Alter zu mehr Fehlern bei der Zellteilung.“ Für Büttner ergibt sich daraus die Erkenntnis: „Hohe Krebsraten können auch ein Zeichen für eine älter werdende Bevölkerung sein.“

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