Mit Zelltherapien Diabetes Typ 1 bekämpfen? Dahinter steht die Hoffnung  die Erkrankung endlich an den Ursachen angreifen zu können. Foto: ©iStock.com/designer491
Mit Zelltherapien Diabetes Typ 1 bekämpfen? Dahinter steht die Hoffnung die Erkrankung endlich an den Ursachen angreifen zu können. Foto: ©iStock.com/designer491

Diabetes Typ 1: Arzneimittelforschung auf der Suche nach dem Durchbruch

Patient:innen mit Diabetes Typ 1 sind lebenslang darauf angewiesen, ihre Krankheit mit Insulin in Schach zu halten. Die Forschung mit Zelltherapien könnte das vielleicht eines Tages ändern. Die Vision ist, die durch das Immunsystem zerstörten Zellen durch transplantierte Zellen zu ersetzen, die in der Lage sind, den Blutzuckerspiegel zu überwachen und darauf zu reagieren, indem sie Insulin produzieren. Das wäre ein Durchbruch – erste klinische Studien sind angelaufen. Ein Gespräch mit Dr. Felicia Pagliuca, Harvard-Absolventin und Leiterin des Forschungsprogramms „Typ 1-Diabetes“ beim US-Unternehmen Vertex Pharmaceuticals.

Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 werden mit Insulin behandelt. Was treibt Sie an, neue Behandlungen zu erforschen? Wie würden Sie den medizinischen Bedarf definieren?

Dr. Felicia Pagliuca: Ich habe meine gesamte berufliche Laufbahn mit der Erforschung innovativer Behandlungsmethoden für Diabetes mellitus Typ 1 verbracht. Dabei werden mein Team und ich von den Betroffenen und ihren Familien motiviert, die mit dieser Krankheit leben und tagtäglich mit ihr zurechtkommen müssen. Ihre Erfahrungen und Geschichten waren und sind unser Antrieb, härter und schneller zu arbeiten. Unser grundlegender Ansatz in Forschung und Entwicklung ist es, Behandlungsmöglichkeiten für die zugrundeliegende Ursache einer Krankheit zu finden. Und das ist genau das, was wir im Hinblick auf Diabetes Typ 1 tun. Die zugrundeliegende Biologie von Diabetes mellitus Typ 1 ist gut erforscht: Die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse, die normalerweise Insulin zur Kontrolle des Blutzuckerspiegels produzieren, sind zerstört. Deshalb benötigen Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 eine lebenslange Insulintherapie. Es ist eine ständige und heikle Balance zwischen zu viel und zu wenig Insulin, die sowohl kurz- als auch langfristige Risiken für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten birgt. Für sie und ihre Familien bedeutet diese ständige Behandlung eine physische und psychische Belastung.

Sie forschen an einer „allogenen, aus menschlichen Stammzellen gewonnenen Inselzellentherapie”. Was bedeutet das konkret? Wie soll sie funktionieren?

Dr. Felicia Pagliuca, Vertex Pharmaceuticals. Foto: Vertex Pharmaceuticals
Dr. Felicia Pagliuca, Vertex Pharmaceuticals. Foto: Vertex Pharmaceuticals

Pagliuca: Zelltherapien zielen darauf ab, geschädigtes Gewebe im Körper einer Person durch gesunde Zellen zu ersetzen oder diese zu reparieren, um eine Krankheit oder Störung zu behandeln. Einige Zelltherapien lassen sich aus Stammzellen entwickeln, einer Zellart, die sich in viele verschiedene Zelltypen des Körpers differenzieren bzw. verwandeln kann. Stammzellbasierte Therapien können aus einer von zwei Quellen stammen: autologen oder allogenen Zellen. Autologe Zellen stammen aus dem eigenen Körper der Patientin oder des Patienten. Allogene Zellen stammen aus einer anderen Quelle und müssen daher vor der körpereigenen Immunreaktion geschützt werden. Unser Forschungsansatz bei Vertex Pharmaceuticals zielt auf die zugrundeliegende Ursache von Diabetes Typ 1 ab. Wir untersuchen eine allogene, aus menschlichen Stammzellen gewonnene Inselzelltherapie, um die insulinproduzierenden Zellen zu ersetzen, die bei Menschen mit Diabetes Typ 1 zerstört sind. Wir untersuchen Ansätze für die Übertragung insulinproduzierender Zellen. Dazu gehören ein Transplantationsansatz, der ähnlich wie bei einer Organtransplantation eine Immunsuppression vorsieht, und ein apparativer Ansatz, der die transplantierten Zellen direkt vor dem Immunsystem schützt, ohne dass Medikamente zur Immunsuppression benötigt werden. Die von uns hergestellten Zellen sind allogen und werden in Chargen von Stammzellbanken produziert. Deshalb sind wir nicht mit den gleichen logistischen und technischen Herausforderungen konfrontiert wie bei autologen Zelltherapien.

Handelt es sich um ein potenzielles Heilmittel?

Pagliuca: Unser Ansatz hat das Potenzial, eine Veränderung für Betroffene herbeizuführen. Wir ersetzen die bei Diabetes Typ 1 durch das Immunsystem zerstörten durch transplantierte Zellen, die in der Lage sind, den Blutzuckerspiegel zu überwachen und darauf zu reagieren, indem sie Insulin produzieren und so den Blutzuckerspiegel in normale physiologische Bereiche bringen.  

Würden Sie dies als eine Revolution in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 1 einschätzen?

Pagliuca: In diesem Jahr jährt sich die Entdeckung des Insulins zum 100. Mal, und im Laufe des letzten Jahrhunderts wurden kontinuierlich Fortschritte gemacht, um den Einsatz von Insulin in der Behandlung von Diabetes Typ 1 zu verbessern. Für das nächste Jahrhundert erhoffen wir uns jedoch etwas noch Besseres – eine mögliche Therapie, die an der Ursache der Krankheit ansetzt und die fehlenden Zellen ersetzt. Eine kleine Anzahl von Patientinnen und Patienten konnte während klinischer Studien durch eine Transplantation Insulin-produzierender Zellen (Pankreasinseln) von Organspendern von der Insulintherapie befreit werden. Dieses experimentelle Verfahren steht in den USA nur einigen Dutzend Menschen pro Jahr zur Verfügung und erfordert eine lebenslange Behandlung, um die Abstoßung des Spendergewebes zu verhindern. Wir hoffen, dass die allogene Inselzelltherapie mit Stammzellen die Zahl der Menschen mit Diabetes Typ 1 erhöhen wird, die von diesem Ansatz profitieren könnten. Wir sind sehr gespannt, was die nächsten Jahre für die Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 bringen werden. Wir setzen unsere Forschung und klinischen Studien fort, die auf das Fehlen Insulin-produzierender Zellen abzielen, und hoffen so die Versorgung von Menschen mit Diabetes Typ 1 zu verändern.

Foto: ©iStock.com/Mandic Jovan
Foto: ©iStock.com/Mandic Jovan

Sie haben klinische Studien der Phase 1/2 eingeleitet. Wie sieht Ihr Zeitplan aus? Wann erwarten Sie den Übergang zur Phase 3? Wann erwarten Sie, dass eine solche Therapie verfügbar sein wird?

Pagliuca: Anfang des Jahres haben wir in den USA eine klinische Studie der Phase 1/2 auf den Weg gebracht und rekrutieren hierfür derzeit Patientinnen und Patienten. Diese Studie wird uns einen ersten Einblick in die Sicherheit und Wirksamkeit dieses Ansatzes nach der Verabreichung an eine relativ kleine Anzahl von Menschen geben – wir erwarten erste Patientendaten im Jahr 2022.

Was macht Forschung und Entwicklung zu Diabetes Typ 1 so kompliziert? Wo liegen die Herausforderungen?

Pagliuca: Es ist immer eine Herausforderung der Erste zu sein, der etwas ausprobiert – so wie die Übertragung Insulin-produzierender Zellen, die mit Hilfe von Stammzellen gewonnen wurden. Und unsere Entwicklung im Bereich der zystischen Fibrose (Mukoviszidose) zeigt: Bei Vertex können wir auf eine lange Erfolgsgeschichte zurückblicken, wenn es darum geht, Herausforderungen zu überwinden, um Betroffenen bedeutende Therapien zur Verfügung zu stellen und kontinuierlich Innovationen voranzutreiben, die deren Leben verbessern können. Wir konzentrieren uns nur auf Projekte, bei denen wir ein tiefes Verständnis der zugrundeliegenden Biologie und eine starke Überzeugung von unseren Zielen haben. Wir sind überzeugt, dass wir das Gleiche bei Diabetes Typ 1 erreichen können.

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: