Bei Mukoviszidose konnten in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt werden. Wird eines Tages eine Heilung möglich sein? / Foto: ©iStock.com/spukkato (Siam Pukkato)
Bei Mukoviszidose konnten in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt werden. Wird eines Tages eine Heilung möglich sein? / Foto: ©iStock.com/spukkato (Siam Pukkato)

Ein Schritt nach vorne, zwei zurück

Bei den Experten der World Hepatitis Alliance galt Deutschland eine Zeit lang als eine Art Musterknabe. Gelobt wurde, wie hierzulande die verschiedenen Interessengruppen zusammengebracht wurden, um das WHO-Ziel der Eliminierung von Hepatitis C bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Doch nun regen sich Zweifel, ob das auch alles effektiv ist. Was fehlt, ist der politische Wille, erklärt Achim Kautz, geschäftsführender Gesellschafter der Leberhilfe Projekt im Pharma Fakten-Interview.

Wer über Hepatitis sprechen will, kommt an Achim Kautz nicht vorbei. Er war Geschäftsführer der Deutschen Leberhilfe e.V., hat die Patientenorganisation European Liver Patient Association (ELPA) mitgegründet, war Gründungsmitglied der World Hepatitis Alliance (WHA) und ist ein angesehener Experte bei Institutionen wie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) oder der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Herr Kautz, wie steht es um den Fortschritt in Sachen Eliminierung von Hepatitis C in Deutschland?

Kautz: Da gibt es zwei Aspekte: Zum einen hatten wir in den vergangenen Jahren recht hohe Behandlungsraten – und im Fall von Hepatitis C heißt das ja auch: recht hohe Heilungsraten. Aber die Zahlen gehen zurück: Im Jahr 2016 wurden in Deutschland rund 24.000 Menschen behandelt, 2017 waren es rund 17.000 und für dieses Jahr rechnen wir mit nur noch rund 14.000 Behandlungen.

Woran liegt das?

Kautz: Das zeigt uns erstmal: In der Behandlung der uns bekannten Infizierten sind wir recht gut. Aber die haben wir bald alle erreicht – deshalb der Rückgang. Das Problem sind aber diejenigen, die wir nicht kennen, weil sie nichts von ihrer Infektion wissen. Das Problem ist die Dunkelziffer.

Achim Kautz / © Leberhilfe Projekt
Achim Kautz / © Leberhilfe Projekt

Kann man die eingrenzen?

Kautz: Es gibt leider nur Schätzungen. Wir gehen davon aus, dass in Deutschland rund 200.000 bis 250.000 Menschen leben, die das Hepatitis C-Virus in sich tragen. Wer von seiner Infektion nichts weiß, kann nicht behandelt werden. Und: Er kann andere anstecken. Deshalb beschäftigen wir uns nun schon seit Jahren mit der Frage: Wie finden wir die nicht diagnostizierten Fälle? Dazu gibt es viele Ideen und noch mehr Sondierungsgespräche, aber keinen wirklichen Fortschritt. Es gibt weiterhin viele Einzelaktionen, die aber nicht strategisch zusammengefasst werden.

Wo müsste man denn suchen?

Kautz: Wir haben gerade bei Hepatitis C sehr klar definierte Hochrisikogruppen. Das sind z.B. Menschen, die früher einmal Drogen injiziert haben oder noch abhängig sind. Oder solche, die in sich in einer Substitutionstherapie befinden. Es sind Gefängnisinsassen. Aber selbst in dieser ja sehr klar abzugrenzenden Gruppe von Menschen wissen wir nicht, wie viele infiziert sind.

Liegt es daran, dass solche Bevölkerungsgruppen keine politische Lobby haben?

Kautz: Das spielt sicher mit rein. Aber selbst, wenn: Es wäre sehr kurz gedacht. Außerdem gehen wir davon aus, dass von der genannten Dunkelziffer rund 40 Prozent nicht zu den Hochrisikogruppen zählen. Wir brauchen deshalb weniger Sondierungsgespräche, sondern mehr konkrete Aktionen. Wir brauchen dringend eine konsequente Screening-Strategie.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist von dem Nutzen des Screenings ja offensichtlich nur mäßig überzeugt, wie ihr jüngst veröffentlichter Vorbericht zeigt…

Kautz: Das ist irgendwie eine rein akademische Diskussion, die mir auch wenig patientenorientiert zu sein scheint. Es ist doch so: Wir haben hochwirksame Medikamente, die mit kaum Nebenwirkungen Infizierte in acht bis zwölf Wochen heilen können.  Wir haben eine viertel Millionen Menschen, die infiziert sind und das Risiko in sich tragen, schwer zu erkranken und andere anzustecken. Diese Menschen kennen wir nicht. Also müssen wir sie finden. Das geht nur mit Screening. Das Screening durch den Hausarzt ist einer der Schlüssel zum Erfolg. Konsequentes Screening, da sind sich alle Experten weltweit einig, ist der Schlüssel für Eliminierung. Das muss man politisch wollen und umsetzen.

Sieht es denn in anderen Ländern besser aus?

Kautz: Bei einem Gipfel der WHO und WHA haben wir vor kurzem festgestellt, dass es eigentlich nur zehn Länder sind, die die Eliminierung konsequent angehen. Gemeinsam ist ihnen, dass die Projekte in der Regel von der pharmazeutischen Industrie massiv finanziell unterstützt werden – bis hin zur kostenfreien Abgabe der Medikamente. Aber in diesen Ländern gibt es auch den politischen Willen, die Krankheit abzuschaffen.

Und bei uns nicht?

Kautz: Wir haben immens motivierte Ärzte, die sich darum kümmern. Wir haben auch einzelne Aktionen und Projekte, die durchaus vielversprechend sind. Aber es fehlt die alles vereinende Klammer. Schauen wir nach England. Das dortige Gesundheitssystem NHS, das übrigens bei uns keinen besonders guten Ruf genießt, hat beschlossen, die Hepatitis-Diagnostik zu finanzieren. Solche Beschlüsse sind Ausdruck einer Strategie und eines erklärten politischen Willens. Den vermisse ich in Deutschland. Das ist Aufgabe des Bundesgesundheitsministers.

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