Rheuma  Lupus  MS: Autoimmunerkrankungen haben einige Gemeinsamkeiten auf molekularer Ebene  die es zu erforschen gilt. Foto: ©iStock.com/Jevtic
Rheuma Lupus MS: Autoimmunerkrankungen haben einige Gemeinsamkeiten auf molekularer Ebene die es zu erforschen gilt. Foto: ©iStock.com/Jevtic

Dem Rätsel der Autoimmunerkrankungen auf der Spur

Rheuma, Lupus oder Multiple Sklerose: Autoimmunerkrankungen sind auf den ersten Blick sehr verschieden. Genauso wie die vielen Projekte, die die öffentlich-private Partnerschaft „Innovative Medicines Initiative“ (IMI) aufgesetzt hat, um ihnen mit der gebündelten Expertise aus Pharma- und öffentlicher Forschung auf die Schliche zu kommen. Doch anstatt der offensichtlichen Unterschiede widmen sich die Wissenschaftler zunehmend den Gemeinsamkeiten: Es geht darum, Muster zu finden – um die Leiden der Patienten besser kategorisieren und behandeln zu können.

„Wir sehen das Immunsystem gerne als Kontroll-Mechanismus des Körpers an, der Wache steht – bereit, alles, was gefährlich ist, auszumerzen und zu beseitigen“, erklärt Pierre Meulien, Geschäftsführer der IMI (s. Infokasten). „Aber für viele Menschen funktioniert das so nicht; fehlgeleitet kann das Immunsystem verheerende Auswirkungen haben.“ So etwa bei der rheumatoiden Arthritis: Bei den Betroffenen greift es die Gelenkinnenhaut an – eine Entzündung entsteht.

Millionen Europäer sind laut Meulien von Autoimmunerkrankungen betroffen – die Kosten für die Gesundheitssysteme belaufen sich schätzungsweise auf „über hundert Milliarden Euro pro Jahr“. Dabei hat sich viel getan. Multiple Sklerose? Vor den 90er Jahren quasi eine Garantie für schwere Behinderungen. Heute: immer besser behandelbar. Rheumatische Erkrankungen? Häufig war ein Rollstuhl nicht wegzudenken. Inzwischen können viele Betroffene mit den entsprechenden Medikamenten ein weitgehend normales Leben führen – manche gar Hochleistungssport betreiben (s. Biotech-Report 2019).

Doch das gilt nicht für alle Patienten. „Wir tappen größtenteils im Dunkeln, wenn es um die Frage geht, warum Therapien bei manchen funktionieren und bei anderen nicht; und was die Erkrankungen überhaupt auslöst“, so der IMI-Chef. „Wissenschaftler haben keine Möglichkeit vorherzusagen, welche Patienten gut auf eine Behandlung ansprechen und woran das liegt.“ Für die Ärzte macht das die Entscheidung, welche der verfügbaren Medikamente sie verschreiben, „kompliziert und unsicher“, meint Meulien.

Autoimmunerkrankungen: Molekulare Muster finden

Gut, dass es die IMI gibt. Dank ihrer Forschungsprojekte hat sie laut Meulien schon einige Fortschritte bei der „Neuklassifizierung“ von Erkrankungssubtypen gemacht. Das heißt: die jeweiligen Leiden nicht nur nach den äußerlichen Symptomen, sondern basierend auf der zugrundeliegenden Biologie zu ordnen. „Es ist wissenschaftlich gesehen ein äußerst komplexes Gebiet“ – doch das Wissen um die Treiber auf molekularer Ebene, die bei den Erkrankungen eine Rolle spielen, wächst kontinuierlich. „Die Möglichkeit, die Patienten in sinnvolle Kategorien einzusortieren, ist der erste Schritt hin zu maßgeschneiderten Therapien“. Und es hilft, mehr über die Entstehung der Krankheiten zu erfahren – und so früher mit Medikamenten eingreifen zu können.

Ein Beispiel: Das Projekt PRECISESADS. Mehrere Pharmafirmen, Universitäten, Forschungs- und Non-Profit-Organisationen, Behörden, kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) taten sich hier von 2014 bis 2019 zusammen. Die Blutproben von Patienten mit diversen Autoimmunerkrankungen aus ganz Europa wurden einer genauen Analyse unterzogen. Die Wissenschaftler untersuchten das Erbgut, die Gesamtheit der Proteine und viele weitere biologische Parameter. Dabei fanden sie Muster, die es erlaubten, die rund 2.000 Betroffenen in vier verschiedene Gruppen einzuteilen, bei denen auf molekularer Ebene ähnliche Krankheitsmechanismen ablaufen – egal, ob sie nun z.B. an Rheuma oder Lupus litten. „In einer weiteren Studie müsste man gucken, ob sich über diese Klassifizierung der Patienten tatsächlich herausfinden ließe, welche Therapie am besten für welchen Patienten ist“, sagt Dr. Marta E. Alarcón-Riquelme, Koordinatorin des PRECISESADS-Projekts.

Rheuma: Eine von vielen Autoimmunkrankheiten.
Foto: 
©iStock.com / SARINYAPINNGAM
Rheuma: Eine von vielen Autoimmunkrankheiten.
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©iStock.com / SARINYAPINNGAM

Ein ähnliches Forschungsvorhaben, das noch recht jung ist, ist „3TR“: In seiner Laufzeit von 2019 bis 2026 sollen in öffentlich-privater Partnerschaft über 50.000 Patienten und gleich sieben immunvermittelte Erkrankungen auf einmal unter die Lupe genommen werden – darunter Multiple Sklerose, Asthma und das Darmleiden Morbus Crohn. Auch hier gehen die Forscher davon aus, dass sich über die Krankheitsbilder hinweg molekulare Muster finden lassen. In klinischen Studien wird sich zeigen, ob das Nichtansprechen auf Therapie unter anderem damit zu erklären ist, dass der jeweilige Patient nicht zu der für die Behandlung passende molekulare Gruppe gehört, so Dr. Alarcón-Riquelme.

Mit Präzision gegen Rheuma und Co.

Die Verantwortlichen von „RTCure“ (2017-2022) – darunter Bristol-Myers Squibb, GlaxoSmithKline und Pfizer – konzentrieren sich „nur“ auf eine Erkrankung: die rheumatoide Arthritis (RA). Sie hoffen, die zugrundeliegenden Ursachen und Mechanismen so gut erforschen zu können, dass es möglich wird, Menschen zu finden, die noch nicht unter RA leiden – aber ein hohes Risiko für eine Erkrankung haben. Es gilt, bestimmte Muster („Biomarker“) zu identifizieren und zu verstehen, wie sie mit der Krankheitsentstehung zusammenhängen. Letztlich soll dieses Wissen die Medikamentenforschung ankurbeln – im Sinne von innovativen Therapien, die die Erkrankung verhindern oder ihr Fortschreiten verhindern können.

Die Muster und Biomarker, die die Wissenschaftler in Projekten wie PRECISESADS zu Tage bringen, sollen jedem zur Verfügung stehen, der sich intensiv mit der Natur der Erkrankungen auseinandersetzen möchte. So kann zum Beispiel die Pharmaindustrie die Einteilung der Patienten in bestimmte Gruppen für die Einschlusskriterien in klinische Studien nutzen, meint IMI-Chef Meulien.

Autoimmunerkrankungen: Unerforschte Gebiete

Im Bereich der Autoimmunerkrankungen steckt noch viel Forschungsarbeit: Das zeigt auch ein Blick auf die Webseite der IMI. Nutzt man die Suchmaske auf imi.europa.eu und gibt dort „Autoimmune diseases“ sowie „ongoing“ ein, werden dort acht ganz unterschiedliche Projekte angezeigt, an denen zahlreiche Wissenschaftler in öffentlich-privater Partnerschaft arbeiten. Das Ziel z.B. von BIOMAP (2019-2024), an dem u.a. Pharmaunternehmen wie Boehringer Ingelheim oder Pfizer beteiligt sind, ist es, besser die Krankheitsmechanismen hinter der Schuppenflechte (Psoriasis) und Neurodermitis zu verstehen und letztlich eine personalisiertere Behandlung zu ermöglichen.

"Forschung ist die beste Medizin." 
Foto: ©iStock.com/Jevtic
“Forschung ist die beste Medizin.”
Foto: ©iStock.com/Jevtic

Ein anderes Projekt ist ULTRA-DD: Dessen Laufzeit ging jüngst – im Februar diesen Jahres – zu Ende. Es widmete sich unerforschten Proteinen, die eventuell als Angriffsstellen für innovative Therapien gegen autoimmune und entzündliche Erkrankungen in Frage kommen. „Das Problem ist, dass viel Forschung notwendig ist, um herauszufinden, welche Proteine gute Ziele abgeben und gleichzeitig für die Behandlung mit Molekülen zugänglich sind“, heißt es im IMI-Newsroom. „Das ULTRA-DD-Projekt wurde aufgesetzt, um Fortschritte bei der Identifizierung von Proteinen zu machen, die es wert sind weiter untersucht zu werden“. Die Ergebnisse des Projekts sind für die Forschung öffentlich zugänglich. Die Hoffnung ist, dass das letztlich klinische Studien für neue Medikamente anstößt. Wie heißt es so schön beim Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa): „Forschung ist die beste Medizin“ – vor allem wenn man ein Rätsel wie das der Autoimmunerkrankungen lösen möchte.

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