Die Zusatznutzenbewertung für neue Arzneimittel muss reformiert werden, sonst könnte die medizinische Versorgung leiden. Der Pharmaverband vfa hat dazu ein Konzeptpapier vorgelegt. Foto: ©iStock.com/demaerre
Die Zusatznutzenbewertung für neue Arzneimittel muss reformiert werden, sonst könnte die medizinische Versorgung leiden. Der Pharmaverband vfa hat dazu ein Konzeptpapier vorgelegt. Foto: ©iStock.com/demaerre

„AMNOG 2025“: Die Arzneimittelbewertung fit machen

Von ein paar gesundheitspolitischen Enthusiasten abgesehen, interessiert sich eigentlich niemand für das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG). Das ist grundfalsch; immerhin wird in diesem Verfahren unter anderem entschieden, ob innovative Arzneimittel in Deutschland auf den Markt kommen oder nicht. Vor mehr als 10 Jahren in Deutschland eingeführt, muss es dringend aufs Trockendock, findet der Pharmaverband vfa. Und hat deshalb das Reformkonzept „AMNOG 2025“ vorgelegt.

Das AMNOG geht uns alle an. 2011 eingeführt, ist es seine Aufgabe, neue Arzneimittel darauf zu prüfen, ob und inwieweit sie gegenüber bereits vorhandenen Medikamenten einen Vorteil, im AMNOG-Sprech: einen Zusatznutzen, haben. Das Ergebnis dieser Evaluation ist die Basis für die Preisverhandlungen zwischen dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Am Ende einigen sich die Parteien auf einen Erstattungspreis, den das Unternehmen mit der GKV abrechnen kann. Seit Einführung wurden in über 700 Verfahren mehr als 380 Arzneimittel bewertet. Wer sich vor allem für den Spareffekt interessiert: Das AMNOG tut, was die Politik von ihm erwartet. Allein in diesem Jahr werden Einsparungen von mehr als 9 Milliarden Euro erwartet – insgesamt sind es seit Einführung des Gesetzes über 20 Milliarden Euro zugunsten der GKV. 

Das AMNOG: International ein guter Ruf

Das AMNOG: International ein guter Ruf
Das AMNOG: International ein guter Ruf. Foto: ©iStock.com/ipopba

Die Bewertung des Zusatznutzens eines neuen Arzneimittels ist alles andere als trivial. So gibt es regelmäßig Streit darüber, welches bereits etablierte Arzneimittel die richtige Vergleichstherapie sein soll („zweckmäßige Vergleichstherapie“ oder „zVT“). Auch bei den Vergleichsparametern, an denen sich der Zusatznutzen messen lassen soll, sind sich Unternehmen, medizinische Fachverbände, das in den Prozess involvierte IQWiG als begleitendes Institut und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als letztendliches Entscheidungsgremium nicht immer einig. Insgesamt aber schreibt der vfa in seinem Konzeptpapier: „Das AMNOG hat sich etabliert – trotz bestimmter methodischer Herausforderungen, ökonomischer Inkonsistenzen und bestehender Governance-Probleme. Es sorgt dafür, dass die Menschen in Deutschland am pharmakologischen Fortschritt teilhaben können. In keinem Land Europas sind neue Arzneimittel nach Zulassung so schnell verfügbar.“ Das AMNOG hat international einen guten Ruf. Mit Governance-Problemen ist gemeint, dass zum Beispiel der GKV-Spitzenverband im AMNOG-System über den Grad des Zusatznutzens mitbestimmen kann, aber gleichzeitig als „Zahler“ auch das Interesse hat, dass dieser gering bleibt – ein klassischer Interessenkonflikt.

Das AMNOG hat Rost angesetzt

Im 2. Jahrzehnt seines Bestehens hat das AMNOG Rost angesetzt. Deshalb hat der vfa das Konzept „AMNOG 2025 – Thesen für eine Weiterentwicklung“ vorgelegt, das der Verband zusammen mit Professor Dr. Jürgen Wasem (Uni  Duisburg-Essen) und Timm Volmer (Strategieberatung SmartStep Consulting) entwickelt hat: „Die Leitidee ist es, das Herz der deutschen Nutzenbewertung zu erhalten, es aber gezielt weiterzuentwickeln.“ Dafür gibt es im Wesentlichen 2 Gründe:

  • Der medizinische Fortschritt ist rasant. „Gen- und Zelltherapien, zielgerichtet bei kleinen, spezifischen Patientenpopulationen wirkende Arzneimittel und die mRNA-Technologie stehen für eine neue Ära der Präzisionsmedizin, bei der die klassischen Pfade der Evidenzgenerierung an Grenzen stoßen.“ Das kann dazu führen, dass eine Innovation nicht als solche anerkannt wird und es deshalb nicht in die Versorgung schafft.
  • Europa plant eine Harmonisierung der Nutzenbewertungsverfahren für Arzneimittel und Medizinprodukte – die EU-HTA-Verordnung. Die soll dabei helfen, dass Menschen schneller von neuen Therapien profitieren können, als das bisher der Fall ist. Dazu muss man das deutsche AMNOG, seine Prozesse und Methoden „europatauglich“ machen. Allzu viel Zeit bleibt nicht: Das EU-HTA soll 2025 starten.
Stärkung des „AMNOG-Prinzips“
5 Handlungsfelder für ein „AMNOG 2025″. Foto: ©iStock.com/AndreyPopov

An einem „AMNOG 2025“ führt also kein Weg vorbei. Der vfa hat 5 Handlungsfelder identifiziert:

1. Stärkung des „AMNOG-Prinzips“

Bisher galt die Regel: Was besser ist, darf auch mehr kosten – ein effizienter Hebel, um Anreize für Innovationen zu schaffen. Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) wurde dieses Prinzip ausgehebelt, schreibt der Pharmaverband: „Wichtige patientenrelevante Therapieverbesserungen dürfen in den Verhandlungen zum Erstattungsbetrag zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband in eine Reihe von Fällen nicht mehr anerkannt werden.“ Auch der neu eingeführte Kombinationsabschlag untergräbt dieses Prinzip. „Er verschärft den Preisdruck für viele innovative Medikamente immens.“ Der Lösungsvorschlag des vfa: Das Verhandlungsprinzip des AMNOG soll gestärkt werden und zusätzliche pauschale Abschläge sollen aus dem Regelwerk herausgenommen werden.

2. Anerkennung besonderer Therapiesituationen

Wissenschaftlicher Fortschritt heißt auch: Neue Arzneimittel wirken zielgerichteter, die Gruppe der mit einer Therapie behandelbaren Patient:innen wird kleiner. Das ist eine Herausforderung für die Methodik der Nutzenbewertung, die sich immer noch auf klassische randomisiert-kontrollierte Studien (RCT) verlässt und sie allein „regelhaft als Bewertungsgrundlage“ akzeptiert. Deshalb drohe eine Abkopplung der Versorgung vom wissenschaftlichen Fortschritt in der Medizin. Der Lösungsvorschlag: Die Besonderheiten von Therapiesituationen sollten besser berücksichtigt werden – bei sehr kleinen Patientengruppen passen andere Studiendesigns womöglich besser als klassische RCTs. Dann aber muss klar sein: „Gerade bei besonderen Therapiesituationen darf es nicht zu einer kategorischen Ablehnung von Evidenz kommen.“

3. Freiraum für neue Vertragsmodelle

Erfolgsabhängige Erstattungsmodelle („pay-for-performance“) spielen hierzulande keine große Rolle. Der vfa sieht aber in flexiblen Lösungen die Möglichkeit, Einsparungen im Gesundheitssystem zu generieren, ohne gleichzeitig die Versorgung zu gefährden. Solche Ansätze könnten zum Beispiel zum Tragen kommen, wenn bestimmte Patient:innen auf innovative Behandlungen nicht ansprechen – und die Therapie dann nicht erstattet werden müsste. Der Lösungsvorschlag: „Bei besonderen Therapiesituationen mit begründbar limitierter Evidenz, so bspw. auch im Falle potenziell kurativer Einmaltherapien, sollten den Vertragspartnern mehr Spielräume zur Vergütungsgestaltung zur Verfügung stehen.“

4. Förderung therapeutischer Solisten

Förderung therapeutischer Solisten
Begrenzte Behandlungsmöglichkeiten? Neue Therapieoptionen gewinnen an Bedeutung. Foto: ©iStock.com/Ridofranz

Wenn es für eine schwere Krankheit nur sehr begrenzte Behandlungsmöglichkeiten gibt, ist jede neue Therapieoption von großer Bedeutung. Dies trifft etwa bei Menschen mit Krebs zu, wenn bisher vorhandene Therapien versagt haben. Schon heute werden aus versorgungspolitischen Erwägungen vereinzelt Arzneimittel besonders gefördert – etwa Reserveantibiotika im Kampf gegen zunehmende Arzneimittelresistenzen. Für sie gilt: Der Zusatznutzen ist gesetzlich festgestellt. Der vfa sieht in dieser Förderung ein Erfolgsmodell und schlägt vor, dass bei „allen neuen Therapien, die eine Situation ohne ausreichende Behandlungsmöglichkeit abdecken und die mit positiven klinischen Studien bereits eine Verbesserung der Behandlungssituation nachgewiesen haben, per se ein Zusatznutzen zuerkannt“ wird. Dies wäre eine aktive Forschungsförderung dort, wo der medizinische Bedarf groß ist.

5. Vorfahrt für die europäische Nutzenbewertung

Im Januar 2025 startet die europäische Nutzenbewertung; zunächst für Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP) und Onkologika. Die Ziele: Den Zugang zu innovativen Therapien in Europa verbessern, den Bearbeitungsaufwand für Unternehmen und Zulassungsbehörden verringern und die Qualität der klinischen Bewertung EU-weit stärken. „Die effiziente Zusammenarbeit auf europäischer Ebene soll Europa auch als erfolgreichen Biotechnologie-Standort stärken und erhalten. Zur Erreichung dieser Ziele sind klare Vorfahrtsregeln für die Ergebnisse der europäischen klinischen Bewertung im AMNOG notwendig.“ Der Lösungsvorschlag: Aus Sicht des vfa müssen „die nationalen Prozesse reibungslos an die europäischen Vorarbeiten anschließen, ohne den schnellen Marktzugang in Deutschland zu verzögern.“ 

Reform: Das AMNOG muss entstaubt werden

Tatsache ist: Es ist an der Zeit, das AMNOG an die neuen Herausforderungen unserer Zeit anzupassen. Wenn es nicht mehr in der Lage ist, eine Innovation als solche zu erkennen, weil die entsprechende Methodik nicht angewandt wird, und es durch Gesetze wie das GKV-FinStG systematisch im Kern ausgehöhlt wird, dann verkommt es zu einem reinen Kostendämpfungsinstrument. Und verrät seinen Markenkern. Denn im Gesetz vom 1.10.2010 heißt es: „Den Menschen müssen im Krankheitsfall die besten und wirksamsten Arzneimittel zur Verfügung stehen.“ Wie gesagt: Das AMNOG geht uns alle an. 

Weiterführende Links:

AMNOG 2025“ (als PDF herunterladen)

AMNOG – Übersichtsseite beim vfa

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