HIV: Mehr Todesfälle als Folge von Stigma und Diskriminierung

Dagegen helfen keine Medikamente: Stigma und Diskriminierung werden bis 2030 weltweit für vermeidbare 440.000 Tote verantwortlich sein, sagt UNAIDS, das Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids.

Die Eindämmung der HIV/Aids-Epidemie ist mehr als eine medizinische Herausforderung. Denn alle Medikamente, Diagnosetools oder auch eine funktionierende Gesundheitsinfrastruktur kommen an ihre Grenzen, wenn Menschen wegen ihrer Infektion stigmatisiert, diskriminiert und ausgegrenzt werden. Und sich deshalb nicht trauen, zum Arzt oder zur Ärztin zu gehen, sich testen zu lassen – und dementsprechend nicht behandelt werden können.

Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt eine Untersuchung im Auftrag von UNAIDS. Dort trug man Studien zusammen, die qualitativ gemessen haben, welche negativen Auswirkungen nicht nur Stigma und Diskriminierung, sondern auch die Kriminalisierung von Sexarbeit, Drogengebrauch und gleichgeschlechtlicher Beziehungen auf die HIV-Prävention, die Testung und die Behandlung der Betroffenen hat. Und entsprechend hochgerechnet.

HIV/Aids: 440.000 vermeidbare Todesfälle

Sollte es weltweit keine Fortschritte in den Köpfen der Menschen geben – die Voraussetzung dafür, dass sich in der Gesellschaft etwas ändert – rechnet man bei UNAIDS in diesem Jahrzehnt mit 440.000 Aids-bedingten, eigentlich vermeidbaren Todesfällen (s. Grafik). Auch käme es zwischen 2020 und 2030 zu rund 2,6 Millionen zusätzlichen HIV-Neuinfektionen – die es nicht geben müsste.

Viele HIV-Betroffene lassen sich nicht testen. Ein Grund: Die Angst vor Diskriminierung. 
Foto: ©iStock.com/Motortion
Viele HIV-Betroffene lassen sich nicht testen. Ein Grund: Die Angst vor Diskriminierung.
Foto: ©iStock.com/Motortion

Bereits im vergangenen Jahr hatte UNAIDS in dem Bericht „Seizing the Moment“ darauf hingewiesen, dass in mindestens 69 von 194 berichterstattenden Ländern gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen strafrechtlich verfolgt und kriminalisiert werden. Eine Studie konnte zeigen, dass in Ländern mit den am wenigsten unterdrückenden Gesetzen dreimal so viele HIV-Positive von ihrer Erkrankung wissen als in Ländern mit den strengsten Gesetzen. (Pharma Fakten berichtete). Es liegt auf der Hand, dass in letzteren auch weniger Menschen behandelt werden, denn die muss ja im Untergrund stattfinden.

Noch immer ist der Plan, die Aids-Epidemie bis 2030 zu beenden. Als wichtigen Zwischenschritt sollten bis Ende 2020 folgende Ziele erreicht werden:

  • 90 Prozent der Menschen mit HIV sollen ihren Status kennen (aktuell sind es rund 81 Prozent).
  • 90 Prozent dieser diagnostizierten Betroffenen sollen eine antiretrovirale Therapie erhalten (aktuell rund 67 Prozent).
  • 90 Prozent der Behandelten sollen eine Viruslast unter der Nachweisgrenze haben, weil das Virus dann auch beim Sex nicht übertragen werden kann (aktuell rund 59 Prozent).

Inzwischen hat UNAIDS nachgeschärft. Um das große Ziel 2030 doch noch zu erreichen, hat die Organisation für das Jahr 2025 Zwischenziele definiert (Pharma Fakten berichtete): Dazu gehört, dass bis dahin 95 Prozent der Infizierten eine Diagnose haben, 95 Prozent von ihnen eine Therapie beginnen und diese bei wiederum 95 Prozent von ihnen erfolgreich und das Virus somit unter Kontrolle ist. Zu den Zielen gehört aber u.a. auch, dass weniger als zehn Prozent der Infizierten und der Risikogruppen Diskriminierung und Stigmatisierung erfahren müssen; und dass weniger als zehn Prozent der Länder Strafgesetzgebungen haben, die den Zugang zu HIV-Services behindern.

Auch wenn die Zwischenziele im vergangenen Jahr nicht erreicht wurden, sind die Fortschritte der vergangenen Jahre nicht von der Hand zu weisen. Rund 26 Millionen Menschen weltweit erhalten heute (Stand: Ende 2020) eine antiretrovirale Therapie – so viele wie noch nie. Die Befürchtung ist aber, dass die COVID-19-Pandemie bereits Erreichtes wieder zunichtemachen könnte. UNAIDS schreibt: „Die globale Antwort auf Aids war ´off-track` bevor die Pandemie zugeschlagen hat, aber die schnelle Ausbreitung des Coronavirus ist für zusätzliche Rückschläge verantwortlich.“

HIV/Aids: Medizinischer Fortschritt trifft gesellschaftlichen Rückschritt

Stigmatisierung & Diskriminierung: Dagegen ist der medizinische Fortschrift machtlos. Foto: ©iStock.com/Natali_Mis
Stigmatisierung & Diskriminierung: Dagegen ist der medizinische Fortschrift machtlos. Foto: ©iStock.com/Natali_Mis

Derweil stehen den Betroffenen immer bessere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung: antivirale Medikamente mit immer geringeren Nebenwirkungen oder eine so genannte Depotspritze, die die tägliche Einnahme durch eine Injektion einmal im Monat oder sogar alle zwei Monate ersetzt, oder ein Medikament, das für Menschen entwickelt wurde, bei denen die Standardtherapie aufgrund von Resistenzen nicht mehr ausreichend anspricht. Außerdem arbeiten die in der HIV-Forschung engagierten Pharmaunternehmen an Wirkprinzipien, die einmal eine Heilung möglich machen sollen.

Doch all dieser medizinische Fortschritt scheint in vielen Regionen dieser Welt auf gesellschaftlichen Rückschritt zu prallen. Und gegen den ist die pharmazeutische Forschung machtlos.

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