Die Art und Weise  wie heute mit Fettleibigkeit – ein wichtiger Risikofaktor für Diabetes – umgegangen wird  ist nicht mehr zeitgemäß  sagen Wissenschaftler. Foto: ©iStock.com/Piyapong Thongcharoen
Die Art und Weise wie heute mit Fettleibigkeit – ein wichtiger Risikofaktor für Diabetes – umgegangen wird ist nicht mehr zeitgemäß sagen Wissenschaftler. Foto: ©iStock.com/Piyapong Thongcharoen

Diabetes: Es braucht ein Umdenken in Sachen Adipositas

Fettleibigkeit (Adipositas) ist ein Hauptrisikofaktor für die Entwicklung von Typ 2-Diabetes. Wissenschaftler eines europäischen Forschungsprojektes vertreten die Auffassung, dass sich im Kampf gegen die „Diabetes-Epidemie“, die Art und Weise, wie wir heute mit Adipositas umgehen, ändern muss. Sie fordern ein „Umdenken“. 29 Partner aus Industrie, akademischer Welt und Gesellschaft haben sich daher zu dem Konsortium „SOPHIA“ zusammengeschlossen. Ihr Ziel: ein neues, tiefer gehendes Verständnis von der Erkrankung, das es ermöglicht, vorherzusagen, welcher Adipositas-Patient Komplikationen wie etwa Diabetes entwickeln könnte. Letztlich geht es dabei auch um personalisierte Therapie.

„Typ 2-Diabetes kann im Körper verheerende Schäden anrichten“, sagt Pierre  Meulien, Chef der Innovative Medicines Initiative (IMI), über die das Projekt SOPHIA die kommenden fünf Jahre (2020-2025: 16 Millionen Euro) finanziert wird. Diabetes „kann Einfluss auf alles haben – auf die Nieren und das Herz, aber auch auf die psychische Gesundheit, die Sehkraft und den Schlaf.“ Betroffene leiden oft unter einer verminderten Lebensqualität, so der Molekularbiologe.

Foto: weltdiabetestag.de
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Im Fokus steht daher nicht nur die Behandlung der Erkrankung und weitere Arzneimittelforschung. Meulien meint: „Prävention wird der Schlüssel sein“. Ansetzen kann man da an verschiedenen Punkten: Als Beispiel nennt er das Forschungsprojekt „SOPHIA (Stratification of obese phenotypes to optimize future obesity therapy)“, in dem sich Partner aus zwölf verschiedenen Ländern der Fettleibigkeit widmen – ein wichtiger Risikofaktor für Diabetes.

Fettleibigkeit: Viele ungeklärte Fragen

„Fettleibigkeit ist eine globale Pandemie, die momentan um die 150 Millionen Menschen in Europa und 650 Millionen Menschen weltweit betrifft“, heißt es in einer Pressemitteilung der SOPHIA-Verantwortlichen. Komplikationen – darunter Herzleiden, Diabetes oder Krebs – „kommen häufig vor, aber aktuell können wir noch nicht vorhersagen, wer irgendeine der 200 bekannten Komplikationen von Fettleibigkeit entwickeln wird.“ Schwer zu prognostizieren ist auch, welcher Betroffene auf welche Therapie ansprechen wird.

Prof. Carel le Roux vom University College Dublin kritisiert als SOPHIA-Projektkoordinator zudem, dass Adipositas in vielen Ländern nicht als Krankheit anerkannt ist. „Das heißt, dass die Ressourcen, um sie zu behandeln, minimal sind“. Die Gesellschaft reagiert nicht zeitgemäß auf die Erkrankung, findet er – wodurch die Betroffenen u.a. länger mit Folgeleiden wie Diabetes leben müssen.

©iStock.com/Tomwang112
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Die SOPHIA-Forscher wollen weg von reiner, pauschaler Kalorienkontrolle durch Diät und Bewegung – hin zu einem individualisierten, auf den Patienten zugeschnittenen Ansatz.
Dazu bauen sie u.a. eine Datenbank auf, in der sie die Daten von Adipositas-Patienten verknüpfen und analysieren werden. Carel le Roux: „Die Projektpartner werden all ihre Daten teilen – aber immer konform mit der Datenschutz-Grundverordnung bleiben.“ Laut dem Projektkoordinator wird die Datenbank im Rahmen von SOPHIA zunächst genutzt werden, um…

  • …Faktoren zu identifizieren, mit deren Hilfe sich das persönliche Risiko eines Adipositas-Patienten für Komplikationen voraussagen lässt.
  • …Patienten in Subgruppen zu unterteilen, die jeweils ein erhöhtes Risiko für eine bestimmte Komplikation (wie Typ 2-Diabetes oder eine Herz-Kreislauf-Erkrankung) haben.
  • …Prädiktoren in Bezug auf das Ansprechen auf verschiedene Therapie zu finden.

Die „richtige Behandlung für die richtige Person zur richtigen Zeit“: Dieses Ziel haben die SOPHIA-Wissenschaftler vor Augen.

Adipositas: Personalisierte Therapie?

„Die Verwendung des BMI, des Bauchumfangs und der Familienanamnese stellt momentan ein standardisiertes medizinisches Vorgehen dar, um Patienten zu finden, die ein hohes Risiko für irgendeine Adipositas-bezogene Komplikation haben. Das macht die Therapie wenig individualisiert“, so Prof. le Roux. Oft würde außerdem erst in einem späten Stadium entdeckt, dass ein Betroffener bereits unter einer Folgeerkrankung wie Diabetes leidet. Das könnte sich ändern, wenn man besser vorhersagen könnte, wie sich die Fettleibigkeit bei einem bestimmten Patienten vermutlich weiterentwickeln und auswirken wird.

Mit dem von den Wissenschaftlern geforderten „Umdenken“ ist aber noch viel mehr gemeint: „Patienten mit Adipositas werden weitgehend stigmatisiert“, weiß Carel le Roux. Das führe dazu, dass Regierungen „nicht in die Behandlung der Erkrankung investieren“. Das Therapiemanagement erfolge einseitig – die Ansichten der Betroffenen würden nicht berücksichtigt. Im SOPHIA-Projekt ist das anders: Hier bekommen sie in Form eines Patientenbeirats eine Stimme. Gemeinsam gilt es, das Bild von Adipositas in der Öffentlichkeit zu ändern. Es ist „eine chronische Erkrankung – und nicht etwas, das Menschen sich ausgesucht haben“, fasst die IMI zusammen.

Und: Adipositas ist eben „nicht nur ein kosmetisches Problem“, sondern geht als chronische Krankheit „mit zusätzlichen Krankheitsrisiken“ einher und kann „zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen“ führen. Das schreiben das Helmholtz Zentrum München, das Deutsche Diabetes-Zentrum in Düsseldorf und das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung auf ihrem gemeinsamen Diabetesinformationsportal. So stellt Adipositas „zum Beispiel einen der wichtigsten Einflussfaktoren bei der Entstehung eines Typ-2-Diabetes dar“, betonen auch sie. Wer also effektiv gegen die weltweite Zunahme der Zuckerkrankheit vorgehen möchte, sollte die Adipositas (Stichwort: Prävention) nicht vergessen.

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