Im Interview erklärt die biomedizinische Forscherin Prof. Dr. Dorothee von Laer  was onkolytische Viren sind und wie sie Tumoren zerstören können. Foto: CC0 (Stencil)
Im Interview erklärt die biomedizinische Forscherin Prof. Dr. Dorothee von Laer was onkolytische Viren sind und wie sie Tumoren zerstören können. Foto: CC0 (Stencil)

Mit Viren gegen Krebs

Im Dezember 2015 erhielt das erste sogenannte „onkolytische Virus“ die Zulassung in Europa: Dabei kommen spezielle, gentechnisch veränderte Herpesviren im Kampf gegen einen bösartigen Hautkrebs zum Einsatz. Viele weitere Kandidaten sind in der Entwicklung. Im Interview spricht Prof. Dr. Dorothee von Laer über das Potenzial onkolytischer Viren für die Krebstherapie. Sie ist Direktorin des Instituts für Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck und wissenschaftliche Gründerin von ViraTherapeutics – ein biopharmazeutisches Unternehmen, das auf die Erforschung von Therapien mit onkolytischen Viren spezialisiert ist und seit 2018 zu Boehringer Ingelheim gehört.

Was sind onkolytische Viren und was sollen sie bewirken?

Prof. Dr. Dorothee von Laer: Onkolytische Viren infizieren Tumorzellen und zerstören – so wie andere Viren auch – die Zellen, in denen sie sich vermehren. Sie sind „onko-lytisch“. Das Wort „Lyse“ bedeutet so viel wie „zerstören“ und „Onko“ steht für „Krebs“.

Viren sind doch Krankheitserreger? Sind onkolytische Viren nicht gefährlich?

Prof. Dr. von Laer. Quelle: Institut für Virologie / Medizinische Universität Innsbruck
Prof. Dr. von Laer. Quelle: Institut für Virologie / Medizinische Universität Innsbruck

Prof. Dr. von Laer: Zum einen: In der Öffentlichkeit kennen wir vor allem die Viren, die krank machen. Aber es gibt ganz viele harmlose Viren, die dem Menschen nicht schaden. Wir tragen sogar ein paar Viren in uns, die uns nicht krank machen. Zum anderen: Onkoloytische Viren sind Viren, die sich im Menschen nur in Tumorzellen vermehren – entweder von Natur aus oder durch verschiedene Methoden.

Von Natur aus?

Prof. Dr. von Laer: Es gibt zum Beispiel ein Hühnervirus, das NDV: Das kennen vielleicht Hühnerzüchter und Hühnerzüchterinnen, aber sonst kaum jemand. Dieses Hühnervirus infiziert den Menschen nicht. Aber komischerweise hat es von Natur aus die Fähigkeit, sich in den Tumorzellen des Menschen zu vermehren.

Außerdem gibt es Viren, die mittels gentechnischer Methoden zu einem onkolytischen Virus entwickelt werden können?

Prof. Dr. von Laer: Genau. Man kann auch bösartige Viren nutzen wie zum Beispiel das Grippevirus: Das kann uns nur krankmachen, weil es ein Eiweiß hat, das die angeborene Immunabwehr des Menschen unterdrückt. Wenn man dem Virus dieses Eiweiß wegnimmt, dann ist es schlapp. Das heißt: Es kann nichts mehr anrichten und wird im Menschen sofort unterdrückt. Es kann sich nicht mehr in normalen Zellen, sondern nur noch in Tumorzellen vermehren – und diese zerstören.

Inwiefern unterscheiden sich Tumorzellen von unseren gesunden Zellen?

Prof. Dr. von Laer: Tumorzellen haben einen erhöhten Stoffwechsel, der sie anfälliger macht – sie sind damit von vornherein ein guter Nährboden für Viren. Hinzu kommt: Tumorzellen fehlt oft eine angeborene Immunabwehrfähigkeit gegen Viren, die andere Zellen des Menschen als eine Art Basisschutz haben. Das heißt: Von Natur aus sind Tumorzellen immer etwas empfänglicher für einen Großteil der Viren als andere Zellen. Und dann gibt es eben Viren, die ganz spezifisch sind: Sie schaffen es nur sich in einer Tumorzelle zu vermehren, während sie in einer normalen Zelle sofort unterdrückt werden oder gar nicht erst reinkommen.

Tumorzellen fehlt oft eine angeborene Immunabwehrfähigkeit gegen Viren. Foto: ©istock.com/peterschreiber.media
Tumorzellen fehlt oft eine angeborene Immunabwehrfähigkeit gegen Viren. Foto: ©istock.com/peterschreiber.media

Onkolytische Viren wirken nicht nur direkt über die Zerstörung von Tumorzellen, sondern auch über einen weiteren Mechanismus. Welcher ist das?

Prof. Dr. von Laer: Die Virusinfektion stimuliert eine Immunantwort, die sich letztlich auch gegen den Tumor richtet.

Was können onkolytische Viren für Vorteile im Vergleich zu anderen Möglichkeiten der Krebstherapie haben?

Prof. Dr. von Laer: Onkolytische Viren gehören zu den Therapieansätzen, die über eine Mischung aus Tumorzerstörung und Immunstimulation funktionieren. Und sie können damit sehr gut mit anderen, schon etablierten Immuntherapien  gegen Krebs kombiniert werden.

Inwiefern zum Beispiel?

Prof. Dr. von Laer: Eigentlich ist unser Immunsystem in der Lage, bösartige Zellen ganz gut abzuwehren. Doch im Tumor gibt es immer Mechanismen, die die Immunantwort unterdrücken – sonst könnte er gar nicht entstehen. Mit onkolytischen Viren stimulieren wir das Immunsystem – das aber gleichzeitig noch gegen die unterdrückenden Mechanismen des Tumors ankämpft. Nun gibt es spezielle Moleküle, sogenannte Checkpoint-Inhibitoren, welche die Immunsystem-unterdrückenden Mechanismen des Tumors ausschalten. Die Kombination – onkolytisches Virus und Checkpoint-Inhibitor – kann daher sehr wirksam sein. Andere Kombinationsmöglichkeiten können sich aber auch mit speziellen Tumorimpfstoffen ergeben.

Was sind besondere Herausforderungen bei der Forschung und Entwicklung von onkolytischen Viren?

Prof. Dr. von Laer: Ein Problem ist natürlich die Immunantwort, die sich auch gegen das onkolytische Virus selbst richtet: So kann es nur limitiert aktiv sein. Nach einer Weile kommt es dazu, dass das Virus wieder aus dem Körper eliminiert wird. Daher muss man wahrscheinlich mit einer Serie an onkolytischen Viren arbeiten, um ihren Effekt langfristig zu verfestigen. Außerdem wird in der Immunonkologie insgesamt immer mehr klar, dass wir Kombinationstherapien brauchen, um den optimalen Effekt zu erreichen. Denn der Tumor ist ziemlich schlau: Er tut alles, um die Immunantwort gegen sich zu verhindern – etwa über die erwähnten unterdrückenden Mechanismen. Zudem mutieren Tumoren schnell im Vergleich zu unseren gesunden Zellen. Da gibt es viele verschiedene Mechanismen, mit denen es der Tumor schafft, sich zu etablieren. Um diese alle zu adressieren, muss man mehrgleisig fahren – also mehrere Immuntherapien verbinden. In der Forschung wird das jetzt gerade erst so richtig austariert.

Welchen Stellenwert könnten onkolytische Viren in der Zukunft der modernen Krebstherapie einnehmen?

Prof. Dr. von Laer: Ich glaube, dass onkolytische Viren in der Kombinationstherapie ein wichtiger Bestandteil sein werden – etwa mit Checkpoint-Inhibitoren. Oder als onkolytische Vakzine, die onkolytischer Virus und Impfstoff in einem sind.

Könnte Krebs heilbar werden?

Krebs: Die Forschung geht weiter & es wird immer weiter optimiert. Foto: CC0 (Stencil)
Krebs: Die Forschung geht weiter & es wird immer weiter optimiert. Foto: CC0 (Stencil)

Prof. Dr. von Laer: Da muss man sehr differenzieren. Krebs ist nicht gleich Krebs. Aber bei den sogenannten immunogenen Tumoren, die eine aktivere Immunantwort hervorrufen können, kommen wir rasch weiter. Wir haben eine Weile gehofft, dass wir das metastasierte Melanom (Hautkrebs) heilen können. Nun sehen wir, dass die fantastischen Therapien zwar dazu führen, dass der Tumor viele Jahre weg ist, aber er dann doch bei vielen Menschen wiederkommt. Die Forschung geht weiter, es wird immer weiter optimiert, es finden sich immer neue Kombinationspartner, mit denen es noch besser geht. Einige Tumoren werden auch im metastasierten Stadium wahrscheinlich in den nächsten zehn Jahren heilbar sein.

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