Um die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen ging es bei einem virtuellen Round Table  veranstaltet vom forschenden Pharma-Unternehmen Alexion. Foto: ©iStock.com/Lordn
Um die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen ging es bei einem virtuellen Round Table veranstaltet vom forschenden Pharma-Unternehmen Alexion. Foto: ©iStock.com/Lordn

Seltene Erkrankungen: Der lange Weg zur optimalen Versorgung

„Ökonomische Grenzen und Gerechtigkeit“ bei der Versorgung von Menschen mit seltenen Krankheiten: Darüber diskutierten acht Fachleute bei einem virtuellen Round Table im Rahmen der Initiative change4RARE von Alexion. Das forschende Pharma-Unternehmen will mit der Initiative „das Wissen um die Versorgung seltener Krankheiten bündeln und zugänglich machen“. Denn es ist noch viel zu tun.

„Es dauert oft fünf Jahre oder länger, bis Menschen mit seltenen Erkrankungen die richtige Diagnose erhalten“, erklärte Dr. Ruth Hecker vom „Aktionsbündnis Patientensicherheit“ auf der Veranstaltung. Danach kann eine weitere, „manchmal unerträglich lange Zeitachse folgen, bis Patientinnen und Patienten eine angemessene Therapie bekommen“, ergänzte Prof. Dr. Jürgen Schäfer, Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen am Uniklinikum Marburg.

Seltene Erkrankungen: Bis zur richtigen Diagnose kann es oft 5 Jahre oder länger dauern. Foto: ©iStock.com/AnnaStills
Seltene Erkrankungen: Bis zur richtigen Diagnose kann es oft 5 Jahre oder länger dauern. Foto: ©iStock.com/AnnaStills

Deutschland stehe im internationalen Vergleich allerdings „gar nicht so schlecht da“, was den Zugang der Betroffenen zu Arzneimitteln angeht, betonte Camilla Harder Hartvig, Senior Vice President bei Alexion: „So sind zum Beispiel 94 Prozent unserer Medikamente gegen seltene Erkrankungen hierzulande erhältlich.“ Tim Steimle von der Techniker Krankenkasse (TK) sieht die Herausforderung daher eher darin, „das Wissen um die jeweils richtige Therapie zu verbessern.“ Eine anspruchsvolle Aufgabe – auch weil es „7.000 seltene Krankheiten gibt, mit rund 300 Millionen weltweit betroffenen Patienten“, sagte Prof. Dr. Dr. Christian Dierks, Experte für Medizinrecht und Moderator des Round Table.

Neue Behandlungsmöglichkeiten für seltene Erkrankungen

In Sachen Medikamente gegen seltene Erkrankungen gab es in den vergangenen Jahren große Fortschritte: Allein 34 Orphan Drugs mit neuem Wirkstoff wurden in Deutschland zwischen 2018 und 2020 eingeführt. „Das sind Präparate für eine kleine Patientenanzahl – folglich sind auch die Kosten überschaubar“, erläuterte Prof. Dr. Volker Ulrich, Lehrstuhlinhaber für Finanzwissenschaft an der Universität Bayreuth, mit Verweis auf immer wiederkehrende Preis-Diskussionen. Der Medizinethiker Prof. Dr. med. Giovanni Maio von der Universität Freiburg forderte in diesem Zusammenhang: „Man darf nicht einfach nur die Preise drücken“. Sondern man müsse „einen Ausgleich schaffen, Anreize für Forschung setzen, auch gegen seltene Erkrankungen.“ Das Problem bei der Preisbildung von Orphan Drugs sieht Maio weniger in der pharmazeutischen Industrie als vielmehr in der Gesetzeslage: „Man muss die Preise anders regulieren.“ Dabei sei es auch aus ethischer Sicht wichtig, „dass Ärzte frei entscheiden dürfen, welche Medikamente sie verschreiben“ – bislang sei das nicht immer der Fall.

„Da muss ich widersprechen“, warf Tim Steimle (TK) ein – weder Krankenkassen noch Gesetze würden die Ärzteschaft davon abhalten, wirksame Medikamente zu verschreiben. „Ich erkenne das nicht“, so Steimle weiter, „aber ich erkenne, dass wir oft nicht genug wissen. Wir haben Lücken, wenn es darum geht, zu einem fairen Preis auf der Basis von Evidenz zu kommen. Aber wir haben keine Lücken im Hinblick darauf, dass Patienten Medikamente erhalten, die wirklich nötig sind.“ Camilla Harder Hartvig, Alexion, sah das anders: „Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Ärzte sich nicht frei fühlen, das zu verschreiben, was sie für notwendig halten. Es gibt viele Medikamente, die bei den Patienten nicht ankommen.“

Niedergelassene Ärzte und Ärztinnen würden zum Teil davor zurückschrecken, „hochpreisige Medikamente zu verschreiben“, meinte Schäfer, Uniklinikum Marburg. Und Johann Fischaleck, langjähriger Teamleiter bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern, fügte erklärend hinzu: „Die Diagnose wird oft in spezialisierten Zentren gestellt, aber der niedergelassene Arzt übernimmt die Verantwortung mit dem Rezeptblock.“

Mehr Daten zu seltenen Erkrankungen?

Datenschutz vor Menschenschutz? Daten für medizinischen Fortschritt. Foto: ©iStock.com/metamorworks
Datenschutz vor Menschenschutz? Daten für medizinischen Fortschritt. Foto: ©iStock.com/metamorworks

Ein Leiden gilt als „selten“, wenn maximal fünf von 10.000 Menschen in der Europäischen Union (EU) betroffen sind. Die Entwicklung von Medikamenten gegen solche Erkrankungen ist eine Herausforderung: Das Wissen ist begrenzt; es gibt nur wenige Menschen, die für eine Teilnahme an klinischen Studien in Frage kommen. In Fällen, in denen weniger Studiendaten als normalerweise zu einer Therapie vorliegen, die Krankheit aber sehr schwer ist und die Behandlungsoptionen Mangelware sind, kann die europäische Arzneimittelbehörde EMA eine bedingte, befristete Zulassung erteilen. Die Voraussetzung: Der Nutzen der sofortigen Verfügbarkeit der jeweiligen Medikamente muss die Risiken überwiegen; weitere Daten müssen nachgeliefert werden.

Prof. Dr. Jürgen Schäfer sprach sich auf dem Round Table dafür aus, Register zu seltenen Erkrankungen zu schaffen, die in den Zentren mit Schwerpunkt „Seltene Erkrankungen“ zusammengeführt und genutzt werden. Zur Erklärung: Solche Register bieten die Möglichkeit, Daten zu Menschen mit bestimmten Erkrankungen zu sammeln und dadurch mehr über diese Leiden zu lernen. Dr. Ruth Hecker vom Aktionsbündnis Patientensicherheit hat die Erfahrung gemacht: „Schwerkranke Menschen sind eher bereit, ihre Daten der Forschung zur Verfügung zu stellen.“ Schäfer betonte: „Ohne Datennutzung macht die Medizin keine nennenswerten Fortschritte“. Für ihn sei es „unerträglich, dass Datenschutz zum Teil über den Menschenschutz gestellt wird“ – was sich gerade am Beispiel der Corona-App zeige. „Alleine mit den Daten, die die Krankenkassen haben, könnten wir viel erfahren zum Verlauf von seltenen Erkrankungen. Jeder geschickte Bioinformatiker könnte damit arbeiten – aber das geht schon deshalb nicht, weil nach zehn Jahren alles gelöscht wird.“ Dabei könnten zum Beispiel genetische Daten von Menschen mit seltenen Erkrankungen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Medikamente spielen. Kurzum: „Die moderne Medizin braucht Daten“.

Am Ende war sich die Runde einig: Es gibt noch viel zu tun bei der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen. Aber: Es wird auch bereits einiges getan. Camilla Harder Hartvig brachte es mit ihrem Abschluss-Statement so auf den Punkt: „Wenn ich Patientin mit einer seltenen Krankheit wäre, würde ich mich dafür entscheiden, in Deutschland zu leben.“

Veranstalter des virtuellen Round Table war das Unternehmen Alexion Pharma Germany GmbH: https://www.change4rare.com/virtueller-round-table. Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und wird in Kürze auf der Webseite zur Verfügung gestellt.

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