Immer mehr Menschen leiden nach einer SARS-CoV-2-Infektion unter „Long-COVID“ Symptomen – wir haben mit einem Experten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) über dieses neue Krankheitsbild und seine Folgen gesprochen. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff
Immer mehr Menschen leiden nach einer SARS-CoV-2-Infektion unter „Long-COVID“ Symptomen – wir haben mit einem Experten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) über dieses neue Krankheitsbild und seine Folgen gesprochen. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

„Long-COVID hat ein sehr gutes Rückbildungspotenzial“

Viele Menschen klagen nach überstandener Corona-Infektion über lang anhaltende und teilweise neue Krankheitssymptome, die unter dem Begriff „Long-COVID“ zusammengefasst werden. Der Pneumologe Prof. Dr. Rembert Koczulla ist federführender Koordinator einer Leitlinie zu Diagnostik und Therapie von Long-COVID. Wir haben mit ihm über dieses Syndrom gesprochen - und darüber, was sich dagegen tun lässt.

Herr Prof. Koczulla, in letzter Zeit ist viel von „Post-COVID“ oder „Long-COVID“ die Rede. Was genau ist darunter zu verstehen?

Pneumologe Prof. Dr. Rembert Koczulla. 
Foto: ©DGP
Pneumologe Prof. Dr. Rembert Koczulla.
Foto: ©DGP

Prof. Dr. Rembert Koczulla: Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) definiert den Zeitraum der akuten COVID-19-Erkrankung auf bis zu vier Wochen. Danach sollten die Symptome abgeklungen sein. Bestehen nach der vierten Woche noch Krankheitssymptome, dann spricht man von fortbestehenden Symptomen der COVID-Erkrankung. Sind die Symptome nach zwölf Wochen noch vorhanden, spricht man von Post-COVID. Der Zeitraum von vier Wochen über zwölf Wochen hinaus ist das Long-COVID Syndrom.

Aber zeigen sich da nicht andere Symptome als während der eigentlichen Corona-Erkrankung?

Koczulla: Durchaus, aber nicht unbedingt ausschließlich. Atemnot zum Beispiel kann schon während der akuten Infektion auftreten, aber auch bei Post-COVID. Man muss hier unterscheiden: Es gibt Symptome, die auf die Erkrankung zurückzuführen und als Folge der Erkrankung zu werten sind, aber es gibt auch Symptome, die neu auftreten. Auch die Verschlimmerung einer schon vor COVID vorhandenen Grunderkrankung ist möglich.

Welche konkreten Symptome zeigen sich denn nun bei Long-COVID?

Koczulla: Da gibt es unterschiedliche Cluster, also Krankheitsfelder. Beginnen wir mit den Atemwegen: Da ist die Luftnot ganz weit vorne, darunter leiden sehr viele Long-COVID-Patient:innen. Ebenso unter Husten, Schlafproblemen, verminderte Leistungsfähigkeit. Kardiologisch kann es zu Palpitationen kommen, also zu Herzstolpern, oder zu Tachykardien, also zu sehr schnellem Herzschlag. Zum neurologische Cluster zählen Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, unter Umständen auch mal eine Halbseitensymptomatik, also Missempfindungen oder Ausfälle in einer Körperhälfte. Geschmacksstörungen und Geruchsverlust fallen in das HNO-Cluster. Mit anderen Worten: Die Probleme, die auftreten können, sind vielfältig.

Wie viele COVID-Patient:innen sind davon betroffen?

Koczulla: Es gibt eine Stichprobe aus dem Vereinigten Königreich. Dort wurden 20.000 Patient:innen nachverfolgt – nach zwölf Wochen traten bei  knapp 15 Prozent noch Symptome auf, die dann als Long-COVID gedeutet wurden.

Gibt es Menschen, die besonders gefährdet sind, Long-COVID zu entwickeln?

Coronavirus: "Long-COVID" kann jeden treffen. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff
Coronavirus: “Long-COVID” kann jeden treffen. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

Koczulla: Das ist schwer zu sagen. Es gibt ein paar Mutmaßungen, die aber letztendlich nicht repräsentativ sind. So sehen einige Wissenschaftler:innen einen erhöhten Body-Mass-Index, also Übergewicht, als Risikofaktor für mehr Long-COVID Symptome im pneumologischen Bereich. Auch Komorbiditäten wurden erwähnt, wenn also mehrere Vorerkrankungen vorliegen. Es gibt aber auch anderslautende Daten, die zeigen, dass klassische Komorbiditäten nicht vermehrt zu Long-COVID führen. Einige genetische Daten zeigen: Insbesondere in den Genen, die für die Gefäßausbildung eine Rolle spielen, könnte es Veränderungen geben, die Long-COVID begünstigen. Insgesamt ist die Datenlage aber aktuell noch zu unklar, als dass man sagen könnte, diese Patientin oder jener Patient wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Long-COVID entwickeln.

Die DGP arbeitet an einer Leitlinie zu Diagnostik und Therapie von Long-COVID.

Koczulla: Sie ist bereits erstellt und befindet sich derzeit im so genannten Review-Verfahren – Vertreter:innen der einzelnen Fachdisziplinen prüfen also den Entwurf und fügen noch Anmerkungen oder Ergänzungen hinzu. Wir hoffen, dass wir die Leitlinie bis Anfang Juli freigeben können.

Welches sind die wichtigsten Punkte dieser Leitlinie?

Koczulla: Sie umfasst 60 Seiten – die wichtigsten Punkte hängen auch vom jeweiligen Blickwinkel ab. Für mich als Lungenspezialist ist eine klare pneumologische Vorgehensweise wichtig – dass wir also bei den Patient:innen entsprechende Symptome abfragen und dann weitere Untersuchungen vornehmen. Wenn eine Luftnot vorliegt, kann das eine Überprüfung der Lungenfunktion sein, gegebenenfalls mit Bildgebung. Und natürlich enthalten die Leitlinien auch Empfehlungen zur Therapie.

Wie gut sind die Heilungsaussichten für Patient:innen mit Long-COVID?

Koczulla: Letztendlich kann man sagen, und das halte ich für wirklich wichtig: An vielen Stellen hat die Erkrankung ein sehr gutes Rückbildungspotenzial.

Auch Genesenen wird eine COVID-19-Impfung empfohlen. ©iStock.com/Teka77
Auch Genesenen wird eine COVID-19-Impfung empfohlen. ©iStock.com/Teka77

Das gibt Hoffnung. Was ist bisher über die Ursachen von Long-COVID bekannt?

Koczulla: Unter anderem werden auto-immune Ursachen diskutiert. Und es gab vor einiger Zeit einen Paukenschlag in der wissenschaftlichen Szene, als man festgestellt hat: Auch bei asymptomatischen Patient:innen war nach etlichen Wochen noch aktives Virus nachweisbar. Das heisst: Es kann sich noch vermehren und trägt so möglicherweise zu Long-COVID bei. Auch hier ist noch vieles unklar, aber ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, über den man sich zumindest Gedanken machen muss.

Weshalb?

Koczulla: Weil es unterstreicht: Auch bei Menschen, die bereits eine Corona-Infektion hinter sich haben, spielt das Impfen möglicherweise eine wichtige Rolle für die Virus-Elimination. In einigen wissenschaftlichen Arbeiten wurde zumindest angedeutet: Wenn so genannte Genesene nachgeimpft werden, könnte das vielleicht auch zu einer Linderung von Long-COVID Symptomen beitragen. Ich sage das aber bewusst vorsichtig, weil die Datenlage an vielen Stellen noch sehr dünn ist. Aber die Ständige Impfkommission empfiehlt ja auch eine COVID-19-Impfung, die sechs Monate nach einer Infektion erfolgen sollte.

Was können Patient:innen tun, die von Long-COVID betroffen sind?

Koczulla: Sie sollten auf jeden Fall ärztlich behandelt werden, entweder vom Hausarzt oder vom Fachspezialisten. Deren Vorgehen hängt natürlich von den Symptomen ab. Je nachdem, welche das sind, werden dann individuelle Therapie-Entscheidungen getroffen.

Wie gut ist Long-COVID bereits erforscht?

Koczulla: Um die Wahrheit zu sagen: Long-COVID ist wissenschaftlich an vielen Stellen noch nicht optimal abgebildet. Es besteht noch ein großer Bedarf, dieses Krankheitsbild besser zu verstehen. Nur so ist es möglich, mehr pragmatische, mit Evidenz unterfütterte Informationen an Ärzt:innen und dann auch an die Patient:innen weiterzugeben. Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Und es gibt noch einen weiteren, ökonomisch-gesellschaftspolitischen Punkt, den wir in den Blick nehmen sollten.

COVID-19: Chronifizierung muss verhindert werden. Foto: ©iStock.com/ffikretow
COVID-19: Chronifizierung muss verhindert werden. Foto: ©iStock.com/ffikretow

Welchen?

Koczulla: Viele Patient:innen mit Long-COVID Symptomen kommen aus systemrelevanten Bereichen – etwa medizinisches Pflegepersonal, Ärzt:innen, Lehrer:innen. Diese Menschen sind zum Teil nicht fähig, ihren Beruf wieder auszuüben. Dagegen müssen wir etwas unternehmen und Strukturen schaffen, die es möglich machen, dass diese Patient:innen wieder gesund werden und ihrer Arbeit nachgehen können. Wir müssen also dafür Sorge tragen, dass diese Erkrankung nicht chronifiziert.

Wie könnte das funktionieren?

Koczulla: Wir brauchen Wissenschaft, wir brauchen mehr Studien und gute Förderungsprogramme.  Da wird auch schon einiges aufgelegt, von Seiten der Pharmaindustrie und auch von Seiten der Bundesregierung. Ich glaube, dass wir darüber hinaus unsere Aktivitäten und Netzwerkstrukturen auf europäischer und internationaler Ebene bündeln müssen. Es gibt bereits Daten, mit denen sich arbeiten lässt, etwa für die Rehabilitation von Long-COVID Patient:innen – aber an vielen Stellen müssen wir noch Strukturen entwickeln, die eine optimale Versorgung dieser Patient:innen möglich machen.

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