In Sachen Digitalisierung läuft das deutsche Gesundheitswesen den Möglichkeiten hinterher. Nun hoffen viele  dass die Pandemie wie ein Innovationsturbo wirkt. Dabei geht es unter anderem um ein Mehr an Freiheit. Foto: ©istock.com/Pofuduk Images
In Sachen Digitalisierung läuft das deutsche Gesundheitswesen den Möglichkeiten hinterher. Nun hoffen viele dass die Pandemie wie ein Innovationsturbo wirkt. Dabei geht es unter anderem um ein Mehr an Freiheit. Foto: ©istock.com/Pofuduk Images

Gesundheitswesen: Was die Digitalisierung alles könnte

Man kann es schon nicht mehr hören: In Sachen Digitalisierung läuft das deutsche Gesundheitswesen den Möglichkeiten hinterher. Nun hoffen viele, dass die Pandemie indirekt Fakten schafft und wie ein Innovationsturbo wirkt. Denn hier zeigt sich besonders deutlich, welche Vorteile Menschen durch konsequente Digitalisierung haben können. Dabei geht es unter anderem um ein Mehr an Freiheit.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat in seinem Gutachten 2021 eine klare Sprache gefunden. Dort heißt es gleich im ersten Absatz der „Executive Summary“: „Deutschland steht bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems weit hinter anderen Ländern zurück. Es zeigt sich ein dringlicher Bedarf an strukturellen, informationstechnologischen, organisatorischen und rechtlichen Verbesserungen im Hinblick auf Fehlerfreiheit und Effizienz in der Versorgung, auf flächendeckende Implementierung des medizinischen Fortschritts einschließlich der Verarbeitung von Informationen sowie auf sektorenübergreifende Kommunikation.“

Einfacher ausgedrückt: Digitalisierungsmuffelei führt im Ergebnis zu einer schlechteren medizinischen Versorgung als möglich wäre – in letzter Konsequenz zu mehr Leiden und mehr Todesfällen als sein müssten. Auch wenn weitgehend Einigkeit besteht, dass sich in den vergangenen Jahren einiges getan hat: Das ist kein gutes Zeugnis.

Digitale Impfbescheinigung: Ein Garant für mehr Bewegungsfreiheit. Foto: ©iStock.com/Bihlmayer Fotografie
Digitale Impfbescheinigung: Ein Garant für mehr Bewegungsfreiheit. Foto: ©iStock.com/Bihlmayer Fotografie

Digitalisierung: Hilft die Pandemie Berührungsängste abzubauen?

Ein Grund für das deutsche Zögern bei der Nutzung digitaler Chancen könnte darin liegen, dass sich die meisten Menschen nicht bewusst sind, welche konkreten und persönlichen Vorteile ein digitales Gesundheitswesen bringen könnte. Die Pandemie könnte dabei helfen, Berührungsängste abzubauen: So ist beispielsweise der digitale Impfpass mit der Impfbescheinigung aus einer App ein Garant für mehr Bewegungsfreiheit. Wer will schon seinen kleinen gelben, eselsohrigen Impfpass mit an den Strand nehmen?

Vielleicht ist das der Grund, warum sich der Sachverständigenrat im diesjährigen Gutachten auf ein „Gedankenexperiment“ eingelassen hat (dort auf Seite 18 zu finden): Was hätte wohl beim Management der Pandemie anders laufen können, hätte der Gesetzgeber aufgrund der pandemischen Situation entschieden, „dass die Corona-Warn-App von Anfang an relevante epidemiologische und ggf. medizinische Daten sammelt, und die App verpflichtend für alle geeigneten Geräte gemacht hätte?“

Das Schlüsselwort hier ist „verpflichtend“; natürlich „bei gleichzeitiger strafbewehrter Garantie des Rechtsstaates, dass die Daten ausschließlich für epidemiologische und medizinische Forschung ausgewertet werden“, wie die Sachverständigen schreiben.

Bewegungsdaten: Schlüssel für mehr Freiheit in der Pandemie

Bereits nach einigen Monaten hätten mehr „evidenzbasierte Erkenntnisse über die Verbreitung des Virus vorgelegen.“ Bund, Länder und Kommunen hätten in ihren Eindämmungsmaßnahmen viel gezielter vorgehen können. Die Daten hätten wichtige Erkenntnisse geliefert, wo und in welchen Settings Infektionen stattfinden; sei es in Schulen, Theatern und Konzertsälen, Restaurants, Hotels oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Man hätte Superspreader-Events leichter identifizieren und auch analysieren können, welche Hygienekonzepte wirken und welche eher nicht.

Im Klartext: Das Ganze hätte den Entscheidungsträger:innen wichtige Erkenntnisse an die Hand gegeben, um schneller – sozusagen in Realtime – effektiver und intelligenter zu entscheiden. Es hätte der Politik Parameter verfügbar gemacht, um jenseits von Inzidenzwerten auf Basis von nachvollziehbaren Faktoren gezielt und vor allem schneller einzugreifen. Von der klugen Nutzung digitaler Instrumente profitieren alle, heißt es im Gutachten: „So könnte die Politik passgenaue Maßnahmen wie spezifische Aufklärung, mehr Kontrollen, gezieltere Hygieneauflagen oder Schließungen ergreifen.“ Passgenau – das heißt: Dort, wo es Sinn macht. Und nicht überall, weil man im pandemischen Datennebel agiert.

Pandemie-Maßnahmen wie Schließungen passgenau gestalten - mithilfe digitaler Instrumente. @iStock.com/jokuephotography
Pandemie-Maßnahmen wie Schließungen passgenau gestalten – mithilfe digitaler Instrumente. @iStock.com/jokuephotography

Klar: An den rigiden Maßnahmen, die zur Eindämmung von SARS-CoV-2 noch im Frühjahr 2020 beschlossen wurden, wäre man auch mit mehr Digitalisierung nicht vorbeigekommen – zu unklar noch die Datenlage, zu löcherig das Wissen über die Charakteristika des Virus. Doch schon im Herbst des vergangenen Jahres, so die Sachverständigen, hätte man die Schrotflinte zur Seite legen können, denn sie war lediglich das Ergebnis „der unverändert schlechten epidemiologischen Daten- und Erkenntnislage.“ Die Konsequenzen sollte man sich konkret vor Augen führen, denn in der Pandemie ist das geschlossene Kino oder die verschobene Reise das eine. Aber handelt es sich um ein Gesundheitsrisiko, steht die Nicht-Nutzung eigentlich vorhandener Daten für ein Mehr an Infektionen, ein Mehr an Langzeitfolgen und letztlich auch ein Mehr an Toten.

SARS-CoV-2: Aus Nicht-Wissen-Wollen zur gesundheitlichen Gefahr

Noch einmal aus dem Gutachten: „Eine nüchterne Analyse zeigt: Gerade in einer Pandemie ist die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen nicht die einzige relevante Norm. Wenn eine Rechtsgemeinschaft diese nicht anders zu schützen weiß als durch systematisches Nicht-Wissen-Wollen, läuft sie gerade in einer gesundheitlichen Notlage Gefahr, umso stärker in andere Werte wie das Leben und die Gesundheit anderer, aber auch in Erziehung und Bildung sowie in das Kultur- und Arbeitsleben als die ideellen und materiellen Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens eingreifen zu müssen.“

„Wir stehen uns selbst im Wege“, sagt der Vorsitzende der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Statistik, Professor Tim Friede. „Statistiken und statistische Modelle tragen maßgeblich zur politischen Entscheidungsfindung in Pandemien bei.“ „Damit Entscheidungen evidenzbasiert erfolgen können, ist eine zeitnahe Verfügbarkeit von Evidenz und Daten notwendig.“

Die Realität ist eine andere: Mit Blick auf die Daten bekämpfen wir die Pandemie in ähnlicher Weise, wie es die Menschen in Zeiten der Spanischen Grippe vor hundert Jahren getan haben (Pharma Fakten berichtete). Nur: Die konnten es nicht besser. Sie konnten noch nicht einmal das Virus identifizieren.

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