Der Aufwand für Forschung und Entwicklung ist im Bereich der seltenen Erkrankungen besonders hoch. Daher ist auch die Politik gefragt. Ein Interview. Foto: ©iStock.com/CollageM
Der Aufwand für Forschung und Entwicklung ist im Bereich der seltenen Erkrankungen besonders hoch. Daher ist auch die Politik gefragt. Ein Interview. Foto: ©iStock.com/CollageM

Forschung für seltene Erkrankungen: Eine „gemeinsame Aufgabe und Herausforderung“

Am 28. Februar ist „Rare Disease Day“: Dieser Tag soll Bewusstsein für die rund 8.000 seltenen Krankheiten schaffen, von denen weltweit insgesamt etwa 300 Millionen Menschen betroffen sind. Für immer mehr von ihnen gibt es Behandlungsmöglichkeiten, sogenannte „Orphan Drugs“ – für viele aber nach wie vor nicht. Denn rund 98 Prozent dieser Erkrankungen sind nicht ursächlich zu behandeln – der Erfolg der vergangenen Jahre kann also nur als ein Anfang gelten. Im Interview erklären Dr. Stefan Kropff, Medizinischer Direktor bei der Amgen GmbH, sowie seine Kollegin Hatice Camdere, Leiterin für den Bereich Value, Access und Policy, was die Forschung und Entwicklung so komplex und aufwändig macht. Dabei zeigt sich: Nicht nur die pharmazeutische Industrie, auch die Politik ist gefragt.

Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Forschung und Entwicklung angesichts seltener Erkrankungen?

Dr. Stefan Kropff, Amgen GmbH. Foto: ©Amgen GmbH
Dr. Stefan Kropff, Amgen GmbH. Foto: ©Amgen GmbH

Dr. Stefan Kropff: Bei seltenen Erkrankungen stehen wir oft vor der Herausforderung, dass viele der grundlegenden Bausteine, auf die wir unsere Forschung und Entwicklung aufbauen könnten, nicht vorliegen. So wissen wir meist wenig von der Entstehung und Entwicklung der Erkrankung – die Pathophysiologie ist also unzureichend verstanden. Wenn wir aber die Ursache nicht kennen bzw. die Entstehung nicht nachvollziehen können, so fehlt uns der Behandlungsansatz.

Selten ist eine Erkrankung, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Unter manchen seltenen Erkrankungen leiden nur einige wenige Menschen. Diese Seltenheit impliziert, dass uns wenige Daten vorliegen und wir auch nur langsam bei der Datensammlung vorankommen. Klassische Ansätze in der klinischen Forschung, wie wir sie beispielsweise bei „Volkskrankheiten“ einsetzen, können wir nur sehr bedingt nutzen. Evidenzstandards wie randomisierte kontrollierte Studien als Beleg für die Wirksamkeit und Sicherheit einer neuen Therapie sind gar nicht oder nur eingeschränkt durchführbar. Auch Behandlungsstandards existieren oft nicht oder beruhen auf einer sehr dünnen Datengrundlage. Zum Teil variieren die Standards auch zwischen Ländern. Das bedeutet, dass Vergleichsgruppen nur erschwert oder gar nicht möglich sind.

Der Aufwand für Forschung und Entwicklung im Bereich der seltenen Erkrankungen ist also sehr hoch. Und für viele börsennotierte forschende Pharmaunternehmen, die unumstrittenen Innovationstreiber in der Arzneimittelentwicklung, sind ähnlich komplexe, aber häufigere Erkrankungen finanziell attraktiver. Daher ist es zentral, dass die Forschung für seltene Erkrankungen als eine gemeinsame Aufgabe und Herausforderung anerkannt wird und dass Zulassungsbehörden Anreize entwickeln, diese besonderen Schwierigkeiten zumindest teilweise auszugleichen. Einen solchen Rahmen hat zum Beispiel die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA im Jahr 2000 geschaffen, der mit bestimmten Förderungen verbunden ist und in dem verlängerte Exklusivitätsrechte geregelt sind. Diese regulatorischen Standards müssen sich aber auch in den nationalen „Health-Technology-Assessments“, kurz HTA, zu (Zusatz-)Nutzen und Erstattung wiederfinden. Das heißt, auch der Gemeinsame Bundesausschuss sollte in seiner frühen Nutzenbewertung die Besonderheiten von „Orphan Drugs“ berücksichtigen.

Warum forscht Amgen trotz all der Herausforderungen im Bereich der seltenen Erkrankungen?

Kropff: Die Biotechnologie hat sich in den letzten 40 Jahren rasant entwickelt und war immer Schwerpunkt und Kernkompetenz von Amgen. Fortschritte sowohl beim Verständnis von Erkrankungen und bei der Identifizierung neuer „Targets“ als auch bei den Möglichkeiten eines immer präziseren Eingriffs durch biotechnologische Modalitäten eröffnen neue therapeutische Optionen – das gilt in besonderer Weise für seltene Erkrankungen. Unser Antrieb bei Amgen ist es, unabhängig von der Prävalenz einer Erkrankung die Grenzen des therapeutisch Möglichen für Patient:innen zu verschieben.

Hierzulande durchlaufen Arzneimittel nach Markteinführung ein sogenanntes AMNOG-Verfahren, in dem sie vom Gemeinsamen Bundesausschuss hinsichtlich ihres Zusatznutzens gegenüber einer Vergleichstherapie bewertet werden. Bei Orphan Drugs gilt der Zusatznutzen als gesetzt – bewertet wird lediglich dessen Ausmaß und Wahrscheinlichkeit. Warum?

Hatice Camdere, Amgen GmbH. Foto: privat
Hatice Camdere, Amgen GmbH. Foto: privat

Hatice Camdere: Der Gesetzgeber berücksichtigt bei der Nutzenbewertung die Besonderheiten von seltenen Erkrankungen – siehe § 35a SGB V, Absatz 1. Eine Förderung der Entwicklung neuer Therapien für seltene Erkrankungen ist mit Blick auf den Forschungsaufwand essenziell. Es ist daher nur folgerichtig, dass ein Anreiz auch in der frühen Nutzenbewertung besteht. Ein „Orphan Drug“ durchläuft den Nutzenbewertungsprozess wie reguläre Arzneimittel. Es ist jedoch kein Vergleich gegen eine festgelegte zweckmäßige Vergleichstherapie notwendig und der Zusatznutzen gilt als belegt. Vergleichende Studien sind aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen oft nicht durchführbar. Der Hersteller muss aber wie bei regulären Arzneimitteln auch für „Orphan Drugs“ mit dem Spitzenverband der Krankenkassen einen Erstattungsbetrag verhandeln.

Diese Ausnahme bei der Nutzenbewertung gilt jedoch nur bei „Orphan Drugs“, die einen Jahresumsatz von 50 Millionen Euro nicht überschreiten. Bei Überschreitung der Umsatzgrenze wird das „Orphan Drug“ rechtlich wie ein gewöhnliches Arzneimittel behandelt.

Erst zweimal wurde einem Orphan Drug die höchste Zusatznutzenkategorie zugesprochen. Woran liegt das – was sind die Herausforderungen?

Camdere: Aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen sind Studien, die den methodischen Anforderungen des AMNOG-Prozesses genügen, schwierig. So sind zum Beispiel Vergleichsstudien bei so geringen Patientenzahlen schwierig durchzuführen. Darüber hinaus gibt es bei vielen seltenen Erkrankungen keine zugelassene Vergleichstherapie. Dann gibt es also schlichtweg keine Therapie, mit der man den neuen Therapieansatz vergleichen könnte, um einen Zusatznutzen zugesprochen zu bekommen.

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