Darmkrebs könnte in Deutschland längst verschwunden sein – wir haben mit einem Experten darüber gesprochen  weshalb das noch nicht der Fall ist und was geschehen müsste. Foto: ©iStock.com/PhonlamaiPhoto
Darmkrebs könnte in Deutschland längst verschwunden sein – wir haben mit einem Experten darüber gesprochen weshalb das noch nicht der Fall ist und was geschehen müsste. Foto: ©iStock.com/PhonlamaiPhoto

Was eine Darmspiegelung wirklich bringt

Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 26.000 Menschen an Darmkrebs – ein Schicksal, das durch eine rechtzeitige Darmspiegelung vermeidbar wäre. Wir haben mit dem Gastroenterologen und Darmkrebs-Experten Dr. Jens Aschenbeck über alle Fragen rund um das Thema „Darmspiegelung“ gesprochen.

Herr Dr. Aschenbeck, von Ihnen stammt die Aussage: „Im Prinzip können wir den Darmkrebs in Deutschland besiegen.“ Ist das wirklich so?

Dr. Jens Aschenbeck: Selbstverständlich. Voraussetzung dafür wäre aber, dass die Menschen auch zur Darmkrebsvorsorge gehen und eine Darmspiegelung vornehmen lassen.

Bei vielen dieser Untersuchungen werden Polypen entdeckt. Wie gefährlich sind diese Wucherungen?

Dr. Jens Aschenbeck. Foto: ©privat
Dr. Jens Aschenbeck. Foto: ©privat

Aschenbeck: Das hängt von ihrem Gewebe ab. Es gibt so genannte hyperplastische Polypen – diese Vorwölbungen in der Schleimhaut treten bei jedem vierten Fall auf und sind völlig harmlos. Bei jeder dritten Darmspiegelung finden wir dagegen Adenome – auch diese Polypenform entsteht dadurch, dass sich die Schleimhaut im Darm verändert. Ein solches Adenom wächst über mehrere Jahre hinweg. Im Laufe der Zeit, vielleicht nach fünf oder sieben Jahren, kann es bösartig werden und sich zum Darmkrebs entwickeln. Rund 90 Prozent aller Darmkrebsfälle entstehen aus einem Adenom. Wenn wir diese Adenome entdecken und entfernen, dann bekommen die Menschen auch keinen Darmkrebs.

Die übrigen zehn Prozent sind genetisch bedingte Darmkrebserkrankungen. Sie betreffen Menschen, die sehr viele Polypen im Darm haben – aber auch hier lässt sich das Risiko durch engmaschige Vorsorge-Untersuchungen deutlich senken.

Können Sie bei der Darmspiegelung sofort erkennen, ob ein Polyp bösartig ist?

Aschenbeck: Nein. Deshalb tragen wir jeden Polypen ab, den wir finden und schicken ihn in die Pathologie. Dort wird dann untersucht, um welche Art von Gewebe es sich handelt.

Kann es bei der Entfernung von Polypen zu Komplikationen kommen, etwa zu Nachblutungen?

Aschenbeck: Das kann passieren, allerdings nur extrem selten – die Zahlen liegen im Promillebereich. Und selbst wenn es zu einer Nachblutung kommt, ist das in der Regel kein Problem. Wir setzen dann einen kleinen Metallclip auf die Stelle und stoppen dadurch die Blutung. Dieser Clip löst sich später und wird beim Stuhlgang ausgeschieden, ohne dass die Betroffenen etwas davon merken. Im Übrigen gilt: Eine Darmkrebsvorsorge dürfen nur Gastroenterologen machen, die über langjährige Berufserfahrung verfügen. Es gibt für diese Untersuchung eine gesonderte Zulassung – und auch danach müssen wir Fortbildungen und regelmäßige Hygienekontrollen absolvieren und gegenüber der kassenärztlichen Vereinigung an ausgewählten Fällen nachweisen, dass wir korrekt gearbeitet haben. All das führt dazu, dass solche Untersuchungen nur von Medizinern gemacht werden, die das wirklich können – schon aus diesem Grund ist die Komplikationsrate extrem niedrig.

Wie viele Menschen nutzen die Möglichkeit einer Darmspiegelung zur Darmkrebsvorsorge?

Aschenbeck: In den letzten 20 Jahren haben 30 bis 40 Prozent der Vorsorgeberechtigten diese Untersuchung in Anspruch genommen – also Männer ab 50 und Frauen ab 55 Jahren. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung hat kürzlich Zahlen für das Jahr 2018 vorgelegt – demnach haben sich exakt 445.052 Patientinnen und Patienten einer Darmspiegelung zur Krebsfrüherkennung unterzogen. 131.414 von ihnen hatten einen Adenombefund, bei 3.758 weiteren Menschen wurde Darmkrebs festgestellt.

Wie sieht es seit Beginn der Corona-Pandemie aus?

Mit Vorsorge: Darmkrebs könnte besiegt werden. ©iStock.com/peterschreiber.media
Mit Vorsorge: Darmkrebs könnte besiegt werden. ©iStock.com/peterschreiber.media

Aschenbeck: Die Zahlen sind über die Jahre relativ stabil geblieben. Durch Corona gab es in den letzten zwei Jahren einen kleinen Einbruch – aber nicht so stark, wie wir befürchtet hatten. Kurz vor der Pandemie gab es sogar einen kleinen Ausbruch nach oben. Das lag daran, dass die Krankenkassen damals anfingen, schriftliche Einladungen zu dieser Vorsorgeuntersuchung zu verschicken. Erstaunlich viele Anspruchsberechtigte haben sich daraufhin gesagt: „Huch, wenn die Krankenkasse mir schreibt, sollte ich vielleicht doch mal hingehen.“

Dennoch wird diese Möglichkeit zur Vorsorge nicht so gut angenommen wie Sie sich das wünschen. Woran liegt das?

Aschenbeck: Die Darmspiegelung liegt in der Hitliste der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen sicherlich nicht besonders weit vorne. Das ist eine Untersuchung, die niemand gerne mag. Manche befürchten, dass es schmerzhaft sein könnte, andere haben Schamgefühle oder sorgen sich vor Komplikationen – und einige haben sicherlich auch Angst vor dem Ergebnis.

Wie könnte man den Menschen die Angst vor der Koloskopie nehmen?

Aschenbeck: Ich denke, eine breit gestreute Aufklärung ist sehr wichtig – über den Nutzen und auch darüber, dass niemand sich schämen oder Komplikationen fürchten muss.

Wie läuft eine Darmspiegelung ab?

Aschenbeck: Vor der eigentlichen Untersuchung müssen die Patienten ein Abführmittel einnehmen, das sich in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert hat – das Volumen, das man trinken muss, ist deutlich weniger geworden, bei gleichbleibend guter Säuberung des Darms. Die Untersuchung selbst machen wir unseren Patienten so angenehm wie möglich: Wer möchte, erhält eine Schlafspritze – sie ist nicht so stark wie eine Anästhesie aber stark genug, damit die Patienten nichts von der Untersuchung merken. Bei dieser führen wir ein Koloskop in den Darm ein, einen dünnen, biegsamen Schlauch mit eingebauter Kamera. Mit dem Koloskop pumpen wir auch sehr geringe Mengen CO2 in den Darm, damit wir auch Veränderungen in den Darmfalten erkennen können. Manchmal wird stattdessen auch Luft eingeführt, aber das kann nach der Untersuchung zu unangenehmen Blähungen führen. CO2 wird dagegen sehr schnell vom Blutkreislauf absorbiert und über die Lunge abgeatmet. Es gibt also viele Möglichkeiten, um die Untersuchung angenehmer zu machen. Aber so richtig erfolgreich sind wir damit noch nicht.

Könnte das auch daran liegen, dass manche Menschen statt einer Darmspiegelung lieber einen einfachen Stuhltest machen lassen?

Koloskop: Dünner, biegsamer Schlauch mit eingebauter Kamera. 
Foto: ©iStock.com/PhonlamaiPhoto
Koloskop: Dünner, biegsamer Schlauch mit eingebauter Kamera.
Foto: ©iStock.com/PhonlamaiPhoto

Aschenbeck: Mag sein. Aber der Stuhltest ist deutlich ungenauer als die Darmspiegelung. Denn ein Krebsgeschwür oder ein Polyp kann an manchen Tagen bluten, an anderen nicht. Wenn der Stuhltest an einem blutungsfreien Tag erfolgt, lässt sich auch kein Blut nachweisen. Die Patienten denken dann, sie wären sicher, aber das Problem der Stuhltests liegt darin, dass sie nur zu maximal 30 Prozent verlässlich sind. Ein solcher Test ist immer noch besser als gar nichts zu tun. Aber der Goldstandard ist die Darmspiegelung, denn dabei geht das Risiko, etwas zu übersehen, gegen Null. Und wir dürfen nicht vergessen: Der Stuhltest ist meistens dann gut, wenn bereits ein Darmkrebs vorliegt. Aber wir wollen ja eigentlich die Polypen entdecken, die noch gutartig sind – wenn wir die abtragen, bekommen die Menschen gar keinen Darmkrebs.

Was müsste geschehen, damit die Darmkrebsvorsorge besser angenommen wird?

Aschenbeck: Wir brauchen noch mehr Öffentlichkeitsarbeit. Wie gut so etwas wirkt, zeigen nicht nur die Einladungsbriefe der Krankenkassen, sondern zum Beispiel auch die Arbeit der Stiftung LebensBlicke oder der Felix-Burda-Stiftung. Wir merken das schnell, wenn dort eine Aktion läuft, an der sich Prominente beteiligen. Als erstmals der Felix-Burda-Award vergeben wurde und es viele Berichte dazu gab, da hatten wir in den Folgemonaten deutlich mehr Menschen in den Praxen, die sich nach einer Darmspiegelung erkundigt haben. Wichtig für uns Gastroenterologen ist auch, dass in den Hausarztpraxen über diese Vorsorgeuntersuchung aufgeklärt wird und die Patienten zu uns geschickt werden.

Die Darmkrebsvorsorge wird in manchen Bundesländern besser angenommen als in anderen. Wie lässt sich das erklären?

Aschenbeck: Das dürfte wohl vor allem daran liegen, dass die Stadtstaaten eine höhere Dichte an Fachärzten haben und damit auch eine bessere Erreichbarkeit – denn Hamburg, Bremen und Berlin liegen bei der Koloskopie vorne. Dagegen wird sich ein Landwirt in einem Flächenstaat zweimal überlegen, ob er zwei Tage Urlaub nimmt und 50 Kilometer fährt, um eine Darmspiegelung zu machen.

Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchung: Aufklärung ist wichtig. ©iStock.com/Lordn
Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchung: Aufklärung ist wichtig. ©iStock.com/Lordn

Würden Sie empfehlen, bei der Darmkrebsvorsorge gleich eine Magenspiegelung mitzumachen?

Aschenbeck: Das würde ich nur empfehlen, wenn jemand tatsächlich Magenprobleme hat. Denn es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass eine Magenspiegelung irgendeinen Erfolg bei der Krebsvorsorge hat. Man kann den Magenkrebs nicht früh entdecken. Er wächst nicht langsam auf dem Boden eines Polypen, sondern entsteht von heute auf morgen, einfach so. Wenn man Glück hat, kann man ihn bei der Magenspiegelung erkennen. Bei der Darmspiegelung dagegen können wir den Krebs nicht erst erkennen, wenn er schon da ist, sondern wir können ihn in erster Linie verhindern.

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