Wie lässt sich der Pharmastandort Deutschland stärken – darüber diskutierten Expert:innen am ersten Tag beim „Gesundheitskongress des Westens“. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff
Wie lässt sich der Pharmastandort Deutschland stärken – darüber diskutierten Expert:innen am ersten Tag beim „Gesundheitskongress des Westens“. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

Pharmastandort Deutschland als Glücksfall: „Am Ende sind es die Menschen“

Gesundheitskongress des Westens: Am 3. Mai ging es in Köln um das Thema „Pharma meets Versorgung: Glücksfall Pharmastandort Deutschland – wie können wir das verstetigen?“ Dabei zeigte sich einmal mehr: Das Glück des Tüchtigen hängt nicht so sehr von Zufällen ab, sondern ist vor allem das Ergebnis von neuen Ideen und guten Rahmenbedingungen.

Auf den ersten Blick und im Vortrag des Politikers im Rahmen des „Gesundheitskongress des Westens” klingt alles hervorragend: „Wir sind einer der innovativsten, leistungsfähigsten Pharma-Standorte“, schwärmte Christoph Dammermann, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Und er unterfütterte diese positive Einschätzung mit Zahlen: 143.000 Beschäftigte gab es im Jahr 2020 in der deutschen Pharma-Industrie. Sie erwirtschafteten einen Umsatz von 53 Milliarden Euro, zwei Drittel davon durch Exporte. Zwanzig Prozent der Erlöse entfielen auf neue Produkte. „In anderen Bereichen wird eher zu wenig investiert“, so Dammermann weiter, „aber die Pharma-Industrie investiert pro Beschäftigtem und Jahr 31.000 Euro.“ Nicht zuletzt dank BioNTech genieße der Pharmastandort Deutschland eine hohe Wertschätzung in der Welt. Hinzu kommt: Neben BioNTech arbeiten in Deutschland noch viele weitere Pharma-Unternehmen an Impfstoffen und Medikamenten gegen Corona.

Foto: ©iStock.com/ismagilov
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Für den schnellen BioNTech-Erfolg gibt es laut Dammermann zwei wesentliche Gründe: „Die Zusammenarbeit von Genehmigungsbehörden und Herstellern hat hervorragend funktioniert.“ Und: „Am Ende sind es die Menschen“. Der Corona-Impfstoff sei von „klugen Köpfen“ entwickelt worden, und für solche Köpfe müsse der Pharmastandort Deutschland so attraktiv wie möglich gestaltet werden – unter anderem „durch einen Regulierungsrahmen, der nicht behindert, sondern unterstützt.“

Zwangsrabatte hemmen Innovation

Auch Dr. Fridtjof Traulsen, Standortleiter Biberach bei Boehringer Ingelheim Pharma, hob die positiven Aspekte des Pharmastandortes Deutschland hervor: „Es gibt hier eine gute Forschungsstruktur – 17 von 45 forschenden Pharma-Unternehmen haben Labore in Deutschland, neun von zehn neuen Medikamenten werden in der klinischen Prüfungsphase hierzulande getestet.“ Seit 2010 seien 25 neue Medikamente in deutschen Forschungslaboren entstanden und allein im Jahr 2021 wurden 46 neue Medikamente eingeführt. Doch Traulsen sprach auch die Schwachpunkte an: „Innovation muss sich lohnen“, sagte er, „wir verhandeln für unsere Produkte einen Preis, der einen Mehrwert fürs Gesundheitssystem darstellt. Darauf gewähren wir einen Zwangsrabatt – das fördert Innovation gerade nicht.“

Einer der Adressaten dieser Kritik saß in der folgenden Diskussionsrunde: „Wir kommen als die Bösen ins Spiel“, konstatierte Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Nordwest, aber es gehe eben „um nicht wenig Geld, auch bei Innovationen.“ Deshalb müsse auch darüber gesprochen werden, wie wir uns Innovationen auf Dauer leisten könnten. Auf seinem Schreibtisch liege gerade ein Antrag, „da geht es um einen zweistelligen Millionenbetrag für eine Einmaltherapie“. Was Ackermann allerdings nicht erwähnte: Solche Einmaltherapien können Menschenleben retten und Folgekosten einsparen, die ebenfalls in die Millionen gehen.

Schnellere Genehmigungsverfahren für Pharma-Unternehmen? 
Foto: ©iStock.com/gorodenkoff
Schnellere Genehmigungsverfahren für Pharma-Unternehmen?
Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

Doch es geht nicht allein ums Geld. Dr. Fridtjof Traulsen betonte, seinem und anderen Pharma-Unternehmen wäre schon sehr geholfen „wenn wir schneller Genehmigungsverfahren durchlaufen könnten“ – beim Covid-19-Impfstoff habe dies ja tatsächlich gut geklappt. Mindestens ebenso wichtig sei der Zugang zu Gesundheitsdaten: „Wir haben in Deutschland Gesetze, die einen Datenzugang der privaten Forschung untersagen“, stellte Traulsen fest, „aber in unserer Industrie kann das keiner alleine schaffen. Es sind immer Kooperationen, die zu Ideen und Produkten führen.“

NUM: Eine Forschungskooperation mit Potenzial

Eine ganz besondere Forschungskooperation stellte Ralf Heyder vor, Leiter der Stabsstelle „Externe Vernetzung und Strategische Kooperationen“ der Charité-Universitätsmedizin in Berlin: Im „Netzwerk Universitätsmedizin“ NUM haben sich 36 Unikliniken aus 14 Bundesländern zusammengeschlossen, um die Forschung zu Covid-19 in Deutschland zu koordinieren. „Das Ganze ist als Krisenreaktionsprojekt im März 2020 entstanden“, berichtete Heyder, „in einer Situation, als wir die Toten von Bergamo vor Augen hatten.“ Es gehe in diesem Netzwerk nicht um Wettbewerb, sondern darum, „Kräfte zu bündeln und zu koordinieren.“ Derzeit laufen im NUM 13 Projekte zusammen, von der radiologischen Bildgebung bis zu einer „Strategie für Palliativversorgung in Pandemiezeiten.“ Dabei ist die Vision von Heyder und seinen Mitstreitenden: „Wir wollen eine Datenbank aufbauen, eine gewisse Forschungsdaten-Infrastruktur.“ Nur so sei die Wissenschaft bei Krisen in der Lage, Daten rasch zu erheben und zusammenzuführen. „NUM kann ein Baustein sein zur Weiterentwicklung der deutschen Daten- und Studienlandschaft“, betonte Heyder.

Glücksfall Pharmastandort Deutschland. Foto: ©iStock.com/Lilkin
Glücksfall Pharmastandort Deutschland. Foto: ©iStock.com/Lilkin

Moderator Prof. Dr. Wolfgang Greiner ergänzte allerdings, dass beim NUM „der private Bereich nicht dabei ist.“ Ob sich das noch ändern könne? Für Ralf Heyder steht das außer Frage: „Es wird so kommen, dass unsere Daten auch der Industrie zur Verfügung gestellt werden. Die Frage ist nicht, ob das passieren wird, sondern wie.“

Zusammengefasst: Der Pharmastandort Deutschland ist tatsächlich ein Glücksfall – aber das Glück kommt nicht von alleine, sondern muss immer wieder neu erarbeitet werden. Dazu sollten wir, so Wolfgang Greiner abschließend, “bestimmte Dinge übertragen, die wir in der Pandemie gelernt haben.“ Beispiele dafür sind schnelle und unbürokratische Regulierungs- und Genehmigungsverfahren, aber auch eine Unterstützung der Forschung – etwa durch erleichterten Datenzugang oder durch Kooperationen zwischen universitärer und privatwirtschaftlicher Forschung.

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