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700 Euro pro Tablette – Wucher oder Schnäppchen?

700 Euro pro Tablette. Diese Summe ist zum größten Aufreger des Sommers geworden. Die Krankenkassen sprechen von einer unzumutbaren Belastung des Gesundheitssystems. Gesundheitsökonomen bezeichnen die Kosten für die neue Hepatitis-C-Therapie als lohnende Investition. Und der Vergleich mit der alten Therapie zeigt: Die neue ist gar nicht teurer.

100.000 Euro für die (fast) garantierte Heilung

 

 

700 Euro pro Tablette, 20.000 Euro pro Packung – als „Wucherpreise“ hat der Verband der Ersatzkassen die Kosten für den seit Januar erhältlichen neuen Wirkstoff gegen Hepatitis C bezeichnet. Diese Zahlen allein aber sagen nichts über die Belastung für das Gesundheitssystem. Eher diese: Rund 110 Tage dauert je nach Patient im Schnitt ein Therapiezyklus mit einer Tablette pro Tag. Erhält ein Patient das Medikament zusammen mit einem weiteren seit Ende August erhältlichen Präparat, summieren sich die Kosten auf rund 120.000 Euro.

Die Heilungsrate für diese Therapie allerdings liegt für den in Europa am weitesten verbreiteten Hepatitis-C-Typ bei 99 Prozent. Wer diese Therapie hinter sich hat, ist das Virus los.

Volkswirtschaftlich gute Investition

Wegen dieser Erfolgsquote spricht der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Hendrik Jürges vom Bergischen Kompetenzzentrum für Gesundheitsmanagement der Uni Wuppertal auch trotz der hohen Kosten von einer guten Investition. „120.000 Euro sind nicht zu viel Geld“, wenn dadurch das Leben eines Menschen gerettet werde, sagt er in einem Interview mit Pharma Fakten. Aus rein volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten decke allein die Anzahl der dadurch gewonnenen Arbeitsjahre die Kosten der Therapie.

 

Die Kassen müssen die 120.000 Euro pro Therapie trotzdem erst einmal finanzieren. Schon angesichts der 60.000 – 80.000 Euro, die für eine Therapie mit Sofosbuvir allein angefallen waren, hatte Jürgen Peters, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen, vor einer Überlastung gewarnt. Fünf Milliarden Euro pro Jahr könnten auf die Kassen zukommen, nur für Hepatitis-C-Arzneimittel. Ist das realistisch? Bei Therapiekosten von 120.000 Euro hieße das, 42.000 Hepatitis-C-Patienten pro Jahr zu behandeln. Realistisch – und momentane Praxis – sind 8.000 bis 10.000 Patienten pro Jahr. Also Kosten von etwas über einer statt fünf Milliarden.

Die neue Therapie kommt die Kassen nicht teurer

Während die Zahlenschlacht tobt, wird die entscheidende Frage nicht gestellt: Wie teuer ist eigentlich eine Behandlung mit der „herkömmlichen“ Therapie? Die überraschende Antwort: genauso teuer wie die neue. „Die neue Hepatitis-C-Therapie belastet die Krankenkassen nicht höher als bisherige Therapien“, sagt der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI).

 

Wie kann das sein? Die alte Therapie kostet zwischen 30.000 und 50.000 Euro für einen 48-wöchigen Behandlungszyklus. Starke Nebenwirkungen führen zu hohen Abbruchquoten, die Heilungsrate liegt bei 60 bis 70 Prozent, 30 bis 40 Prozent der Patienten müssen also doppelt behandelt werden. Durch die höhere Heilungsrate und die sehr geringe Abbruchquote entfallen bei der neuen Therapie zudem Kosten für Folgeerkrankungen. Die jährlichen Kosten für die Behandlung eines Patienten mit durch chronische Hepatitis verursachter Leberzirrhose liegen laut einer amerikanischen Studie je nach Krankheitsgrad zwischen 18.000 und 45.000 Euro. Die Kosten für eine Lebertransplantation betragen laut Barmer GEK rund 90.000 Euro, der BDI spricht von 140.000 Euro – plus 20.000 Euro jährlich bis zum Lebensende an Medikamenten.

Kurzfristige Finanzierung vs. langfristige Einsparungen

Fazit: Die neue Hepatitis-C-Therapie ist nicht teurer als die bisherige – aber viel erfolgreicher. Vor allem die hohe Erfolgsquote hat im ersten Halbjahr 2014 für einen gigantischen Run auf das Medikament gesorgt. Wenn die Krankenkassen im Bereich Hepatitis C also mehr als bisher bezahlt haben, lag das nicht am höheren Preis der Therapie, sondern an der höheren Zahl der Heilungen. Die neue Therapie ermöglicht langfristig Einsparungen – belastet die Kassen aber kurzfristig. Die Leistungsfähigkeit der Krankenkassen auf die Balance zwischen kurzfristiger Finanzierung und langfristigem Wirtschaften anzupassen, wird eine der großen Herausforderungen des Gesundheitssystems sein.

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