Der Krebsforscher Dr. Eric Borges hält die Immunonkologie für eine neue Ära der Krebstherapie  die die Heilungschancen für viele Krebspatienten radikal verbessert. Foto: © worldcancerday.org
Der Krebsforscher Dr. Eric Borges hält die Immunonkologie für eine neue Ära der Krebstherapie die die Heilungschancen für viele Krebspatienten radikal verbessert. Foto: © worldcancerday.org

„Eine neue Ära der Krebstherapie“

Einen bösartigen Tumor durch das körpereigene Immunsystem bekämpfen – diesen Ansatz verfolgt die Immunonkologie. Diese spezielle Form der Krebsbekämpfung ist gerade dabei die Onkologie umzukrempeln. Weshalb das so ist, darüber haben wir mit Dr. Eric Borges anlässlich des Weltkrebstages gesprochen. Er ist Krebsforscher am Forschungs- und Entwicklungszentrum von Boehringer Ingelheim in Biberach an der Riss.

Was ist das Besondere an der Immunonkologie und wie funktioniert sie?

Dr. Eric Borges: Bei der Immunonkologie ist im Gegensatz zur bisherigen Krebstherapie, nicht die Tumorzelle das direkte Ziel einer Therapie, sondern das Immunsystem des Patienten. Das Medikament stimuliert das körpereigene Immunsystem, das dann die Krebszellen bekämpft. Das Besondere daran: Das Immunsystem ist darauf trainiert, fremde Strukturen im Körper zu erkennen und zu entfernen. Bakterien, Viren, Toxine; alles, was fremd ist, wird vom Immunsystem erkannt und beseitigt. Mit der Immunonkologie versuchen wir, das Immunsystem so zu beeinflussen, dass es die Tumorzelle als fremd erkennt und sie beseitigt.

Dr. Eric Borges, Krebsforscher bei Boehringer Ingelheim © Boehringer Ingelheim
Dr. Eric Borges, Krebsforscher bei Boehringer Ingelheim © Boehringer Ingelheim

Aber auch bei anderen Krebstherapien geht es doch darum, Krebszellen zu zerstören. Wo liegt also der Unterschied?

Dr. Borges: Bei den bisherigen Krebstherapien haben wir unsere Erkenntnisse über die Krebszelle benutzt, um neue Medikamente zu entwickeln. Da sich Krebszellen schneller teilen als die meisten normalen Zellen im Körper, wurden Chemotherapeutika entwickelt, die schnell wachsende Zellen abtöten. Die Entdeckung von tumorrelevanten Mutationen in Krebszellen wurde genutzt, um zielgerichtete Medikamente zu entwickeln, die den Effekt solcher Mutationen neutralisieren. Leider ist es aber so, dass die Tumorzellen häufig Wege finden, die Wirkung dieser Medikamente zu umgehen und Resistenzen entwickeln. Das Immunsystem aber reagiert sofort auf Veränderungen der Krebszelle. Es ist in der Lage, sich schnell auf eine veränderte Situation einzustellen und kann dadurch Resistenzen eher vermeiden.

Der entscheidende Durchbruch der Immuntherapie liegt also darin, dass…

Dr. Borges: …Patienten, die auf diese Therapie ansprechen, eine reelle Chance haben über viele Jahre beschwerdefrei, eventuell sogar tumorfrei zu leben. Es gibt Patienten, bei denen der Tumor seit mehr als zehn Jahren verschwunden ist und das bei so lebensbedrohlichen Erkrankungen wie dem Melanom (Schwarzer Hautkrebs). Auch wenn das bislang nur bei einem geringen Teil der behandelten Patienten beobachtet wurde, birgt die Immuntherapie das Potential, die Chancen auf eine echte Heilung von Krebserkrankungen signifikant zu erhöhen. 

Für welche Krebsarten gilt das?

Dr. Borges: Momentan profitieren vor allem jene Patienten von der Immuntherapie, deren Tumor eine hohe Mutationsrate aufweist und einem „immun-aktiven“, einem sogenannten „heißen“ Tumortyp zugeordnet werden können. Eine Art von Tumor, die sehr gut auf die Immuntherapie anspricht, ist das Melanom. Die Entstehung eines Melanoms ist stark begünstigt durch erhöhte UV-Belastung, etwa beim Sonnenbaden ohne Sonnenschutz, was zu einer Anreicherung von Mutationen in der Haut führt, und später zu einer Entartung der mutierten Zellen, also einer Krebsgeschwulst, führen kann. Melanomzellen haben in der Regel sehr viele Mutationen und sind deswegen gut für das Immunsystem zu erkennen. Trotzdem schafft es der Krebs, sich dieser Immunüberwachung zu entziehen. Der Tumor generiert ein Milieu, das die Aktivität der Immunzellen stark reduziert, so dass diese die Tumorzellen nicht mehr attackieren können – das Melanom wächst. Seit einigen Jahren gibt es auf dem Markt die sogenannten „Checkpoint Inhibitoren“, allen voran die monoklonalen Antikörper gegen PD-1 und dessen Liganden PD-L1, die einen der wesentlichen immunsupprimierenden Mechanismen des Tumors neutralisieren. Dadurch werden die tumor-spezifischen Immunzellen wieder aktiv und können nun die Tumorzellen attackieren und beseitigen. Diese PD-1 und PD-L1-spezifischen Antikörper bedeuten einen Quantensprung in der Krebstherapie und momentan wird deren Potenzial in der Kombination mit anderen Therapeutika in mehr als 1000 klinischen Studien getestet. Momentan sind diese Antikörper für die Therapie verschiedenster Krebsarten zugelassen, u.a. für Melanom, Lungenkrebs, Nieren- und Blasenkrebs, aber auch gegen bestimmte Typen von Lymphom, Darm- oder Gebärmutterkrebs.

Illustration einer Krebszelle © iStock.com/Christoph Burgstedt
Illustration einer Krebszelle © iStock.com/Christoph Burgstedt

Bei welchen Krebsarten könnte in den kommenden Jahren ein Durchbruch dank der Immunonkologie bevorstehen?

Dr. Borges: Momentan zeigen sich die Erfolge primär bei den sogenannten heißen Tumoren. Aber die Erwartung, verbesserte Heilchancen auch für kalte Tumoren zu entwickeln, liegt sehr hoch. 

Das müssen Sie genauer erklären.

Dr. Borges: Nun, wir unterscheiden in der Immunonkologie die sogenannten kalten von den heißen Tumoren. Wir bezeichnen Tumoren als heiß, wenn die richtigen Immunzellen bereits im Tumor lokalisiert sind und nur die lokale immunsupprimierende Wirkung der Tumorzellen die Immunreaktion verhindert.

Wird diese Blockade aufgehoben, wie im Fall der PD-1 oder PD-L1 Antikörper, kann das Immunsystem die Kontrolle übernehmen und die Tumorzellen beseitigen. Wo allerdings diese PD1-Antikörper und damit die momentane Immuntherapie nicht funktionieren, das sind die sogenannten kalten Tumore. Sie enthalten keine oder nur sehr wenige Immunzellen und somit findet im Tumor keine entzündliche Reaktion statt. Die Herausforderung der kommenden Jahre besteht nun darin, diese kalten Tumore aufzuheizen, damit die momentan verfügbaren Immuntherapien auch dort funktionieren – dafür gibt es bereits sehr viele Ansätze in präklinischen oder frühen klinischen Studien. Bei den meisten läuft es auf eine Kombinationstherapie hinaus, wobei ein Medikament primär den kalten in einen heißen Tumor verwandelt, während das zweite Medikament dann die lokale Immunsuppression neutralisiert. 

Krebsforschung, CC0 (Stencil)
Krebsforschung, CC0 (Stencil)

Auf welche Weise wandeln Sie einen kalten in einen heißen Tumor um?

Dr. Borges: Wir sind da jetzt sprichwörtlich in einer ganz heißen Phase, wo die Forscher sehr viel ausprobieren – wir testen unter anderem kleine Moleküle, Antikörper, Zytokine, onkolytische Viren oder Impfstoffe. Also alles, was geeignet ist, eine effiziente Immunreaktion gegen die Tumorzellen zu generieren. Auf diesem Feld wird momentan sehr intensiv geforscht und ich hoffe, wir werden in den nächsten Jahren noch so manchen Durchbruch sehen.

Wo liegen die Grenzen der Immunonkologie?

Dr. Borges: Die Limitationen der Immuntherapie liegen momentan noch bei den bereits erwähnten kalten Tumoren. Zu den kältesten Krebstypen gehört der Bauchspeicheldrüsenkrebs, der nach wie vor sehr oft tödlich verläuft. Auch Brust- und Prostatakrebs sind eher kalte Tumore. Aber kalte Tumore gibt es im Prinzip in so ziemlich allen Indikationen. Die Immuntherapie richtet sich deshalb nicht mehr so sehr nach der einzelnen Indikation, sondern nach dem Immun- und Mutationsstatus des Tumors. Mit anderen Worten: Bei jeder Tumorindikation gibt es immer nur eine bestimmte Ansprechrate für die Immuntherapie. Beim Melanom zum Beispiel liegt sie momentan bei ca. 40 Prozent. Das heißt, die anderen 60 Prozent reagieren leider nicht darauf. Beim Lungenkarzinom sprechen momentan nur rund 15 bis 20 Prozent auf die existierende Immuntherapie mit PD-1 Antiköpern an. In der Kombination mit einer Chemotherapie ist die Ansprechrate dann schon deutlich höher. Und so ist die Hoffnung, dass weitere Kombinationstherapien die Erfolge der Immunonkologie weiter steigern und den Patienten bessere Therapieoptionen ermöglichen. 

Zieht sich die Unterscheidung zwischen heiß und kalt durch alle Krebsarten?

Dr. Borges: So ist es. Bei Hautkrebs liegt der Anteil an heißen Tumoren bei rund 40 Prozent, bei Darmkrebs sind es 10 bis 15 Prozent, bei Bauchspeicheldrüsenkrebs ist der Anteil verschwindend gering. Aber wir arbeiten daran, diesen Anteil mit neuen Therapien zu erhöhen und ich bin überzeugt, dass in den nächsten fünf Jahren noch sehr viel passieren wird. Die größten Erfolge bei den kalten Tumoren werden wir wahrscheinlich mit Kombinationsansätzen erzielen.

Bei der HIV-Therapie müssen Patienten ihr Leben lang Medikamente nehmen. Foto: CC0 (Stencil)
Bei der HIV-Therapie müssen Patienten ihr Leben lang Medikamente nehmen. Foto: CC0 (Stencil)

Könnte es sein, dass Krebs in den kommenden Jahren ähnlich wie HIV von einer häufig tödlichen zu einer chronischen Erkrankung wird?

Dr. Borges: Das ist unser Ziel und ich bin überzeugt, dass es realistisch ist. Mit einem Unterschied: Bei der momentanen HIV-Therapie müssen Patienten ihr Leben lang Medikamente nehmen, um eine sofortige Wiederkehr der Erkrankung zu verhindern. Die Immuntherapie kann nach erfolgreicher Behandlung abgesetzt werden, ohne dass der Tumor sofort wieder auswächst. In einigen Fällen sind Patienten bereits seit mehr als zehn Jahren nach Abschluss der Therapie tumorfrei. Das liegt daran, dass die Immuntherapie dem Immunsystem hilft seine Aufgabe wieder zu übernehmen. Diese funktionierende Immunüberwachung verhindert dann ein erneutes Auswachsen des Tumors.

Ich muss allerdings dazu sagen: Die Zahl der Patienten, die momentan nach einer erfolgreichen Immuntherapien über viele Jahre hinweg beschwerdefrei sind, ist noch gering. Beim Melanom sind das rund zehn Prozent, beim Lungenkrebs schon deutlich weniger. Das ist der zweite große Unterschied zu einer anti-viralen Therapie, wie z.B. die oben genannte HIV-Therapie: Bei Krebserkrankungen handelt es sich um ein sehr heterogenes Krankheitsbild, in dem einzelne Patienten sehr unterschiedlich auf die gleiche Therapieform reagieren. Unsere Aufgabe für die Zukunft wird es sein, ein breiteres Repertoire an hochwirksamen Immuntherapeutika zu entwickeln und gleichzeitig ein besseres Verständnis zu gewinnen, welche Medikamente für den jeweiligen Patienten die beste Therapieoption versprechen. 

Eine persönliche Frage zum Schluss: Weshalb sind Sie Krebsforscher geworden?

Dr. Borges: Ich finde die Krebsforschung einfach faszinierend. Umso mehr, weil jetzt wirklich ein Paradigmenwechsel ansteht, was die Behandlung von Krebspatienten angeht. Chemotherapie und auch die sogenannte zielgerichtete Krebstherapie haben das Leben von Krebspatienten verlängert, aber nicht langfristig deren Perspektiven verändert. Die Immuntherapie hat das Potenzial dazu. Wir bewegen uns wirklich hin zu einer neuen Ära der Krebstherapie – das ist für mich unglaublich spannend und extrem motivierend.

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