Die Eliminierung von Hepatitis C bis 2030 ist ein hehres Ziel. Doch wer es erreichen will  muss von den klassischen Wegen abweichen – und tief in die Drogenszene eintauchen. Foto: CC0 (Stencil)
Die Eliminierung von Hepatitis C bis 2030 ist ein hehres Ziel. Doch wer es erreichen will muss von den klassischen Wegen abweichen – und tief in die Drogenszene eintauchen. Foto: CC0 (Stencil)

Hepatitis C-Eliminierung: Rein in die Drogenszene

Die Eliminierung von Hepatitis C bis 2030 ist ein hehres Ziel. Doch wer es erreichen will, muss von den klassischen Wegen abweichen – und tief in die Drogenszene eintauchen.

Diesmal ist es anders. Diesmal muss nicht der Kranke zum Arzt, sondern der Arzt oder die Ärztin zum Kranken kommen – zumindest, wenn man Hepatitis C (HCV) eliminieren will. Denn der „einfache“ Teil der Eliminierung ist – wenn auch noch nicht geschafft – in Deutschland weit fortgeschritten: Rund 70.000 infizierte Menschen sind seit Einführung der neuesten Generation von antiviralen Medikamenten im Jahr 2014 behandelt – und das heißt bei Heilungsraten von fast 100 Prozent: in der Regel auch geheilt worden. Es war deshalb der „einfache“ Teil der „Operation Eliminierung“, weil die meisten von ihnen um ihre Infektion wussten. Wenn die Infektion bekannt und der Patient entschlossen ist, ist alles andere leicht, denn die neuen Medikamente haben die Behandlung sehr einfach gemacht: „Das kann jeder Depp.“ So sieht das zumindest der Mediziner Stefan Mauss vom Zentrum für HIV und Hepatogastroenterologie in Düsseldorf laut eines Kongressberichts von der AIDS- und Hepatitis-Werkstatt 2019, der auf SpringerMedizin erschienen ist.

Die Herausforderung: Die HCV-Hochrisikogruppen

©adragan - stock.adobe.com
©adragan – stock.adobe.com

Nicht ganz so einfach ist hingegen Teil Zwei der Operation. Denn erstens gibt es eine hohe Dunkelziffer, die je nachdem wen man fragt, zumindest sechsstellig ist. Hinzu aber kommt zweitens: Betroffen von Hepatitis C sind vor allem so genannte „vulnerable“ Risikogruppen, zu denen z.B. drogenabhängige Menschen gehören. Das Robert Koch-Institut (RKI) geht in seinem Hepatitis-Ratgeber davon aus, dass die Krankheitshäufigkeit hierzulande bei rund 0,3 Prozent liegt. „Die HCV-Prävalenz in der deutschen Gesamtbevölkerung liegt vermutlich höher, da Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem Risiko, wie Drogengebrauchende, Haftinsassen oder Migrantinnen und Migranten aus Regionen mit höherer HCV-Prävalenz, in dieser Untersuchung unterrepräsentiert beziehungsweise nicht vertreten waren. Andere Studien zeigen, dass die HCV-Prävalenz in Deutschland bei injizierenden Drogengebrauchenden zwischen 37 und 75 Prozent und die bei Gefängnisinsassen zwischen 8,6 und 17,6 Prozent liegt.“ 

HCV: zehnmal ansteckender als HIV

Was viele nicht wissen: Das HC-Virus ist zehnmal so ansteckend wie das HI-Virus. Drogenkonsumenten können sich bereits durch ein gemeinsam benutztes Feuerzeug anstecken. Zwar „besteht durch den regelmäßigen Kontakt zum medizinischen System die Möglichkeit, Personen zu impfen [Anmerk. d. Red.: gegen Hepatitis B], zu testen und zu beraten“, schreibt das RKI in seiner DRUCK-Studie. Die Ergebnisse zeigen aber, „dass diese Möglichkeiten bei den untersuchten aktuell Drogen Injizierenden teilweise nicht ausgeschöpft werden.“ Die DRUCK-Studie hatte das RKI in Kooperation mit Einrichtungen der Drogenhilfe, lokalen AIDS-Hilfen und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst durchgeführt, um Grundlagen für die Beantwortung der Frage zu schaffen, wie man diese Menschen besser erreichen kann.

Denn Suchtkranke stehen in puncto Gesundheitsversorgung vor großen Hürden, wie man in Ludwigshafen weiß, wo das Mikroeliminationsprojekt PLUS-Gesundheitsinitiative Hepatitis C seit 2017 läuft: „Menschen mit Suchterkrankungen haben neben der Sucht meist vielfältige andere Probleme, wie Arbeitslosigkeit, Schulden, Bedrohung von Obdachlosigkeit oder weitere psychische Erkrankungen”, sagt Hans Sahoraj, Abteilungsleiter der Drogenhilfe der Stadt Ludwigshafen. Das Erfolgskriterium von PLUS ist die übergreifende Kooperation: Ärzte und Substitutionspraxen sind genauso eingebunden wie städtische Gesundheitsbehörden, AIDS- und Drogenhilfen, Jobcenter, Krankenkassen und ein Pharmaunternehmen. 

Aufgabe von PLUS ist es, gezielt die Hürden abzubauen, die einer Behandlung dieser Menschen im Wege stehen. In Ludwigshafen zieht man nach zwei Jahren zufrieden Bilanz: Roger Hladik, Hausarzt mit Substitutionserfahrung, berichtet, dass „die Häufigkeit der Erkrankung, unter den substituierten Klienten der Drogenhilfe von 60 Prozent auf etwa 34 Prozent“ gesenkt werden konnte. „Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne mit Blick auf das Eliminierungsziel. Wir wollen in den kommenden Jahren alle HCV-Infizierte in Ludwigshafen behandeln.” PLUS hatte seinen Ursprung 2015 in Stuttgart und ist mittlerweile in sechs Städten aktiv. In der Substitutionstherapie wird bei drogenabhängigen Menschen die Droge (z.B. Heroin) durch ein Medikament ersetzt – mit dem Ziel, ihnen einen Einstieg in ein drogenfreies Leben zu ermöglichen.

Achim Kautz / ©Leberhilfe Projekt gUG
Achim Kautz / ©Leberhilfe Projekt gUG

Auch in Köln macht man mit solchen Ansätzen gute Erfahrungen. Der „Verein für innovative Drogenselbsthilfe VISION e.V.“ bietet ein so genanntes „Buddy-Projekt“ an. Er stellt seinen Kunden „Kumpel“ zur Seite, die sie im Behandlungsalltag betreuen und auch über Basiswissen zur modernen Behandlung von HCV verfügen – denn das ist oft veraltet; sprich: es stammt noch aus der Zeit, in der man mit einer komplexen, interferonbasierten Therapie und vielen Nebenwirkungen konfrontiert war. Die Evaluation des Projekts wird ebenfalls von einem Pharmaunternehmen unterstützt. Achim Kautz, geschäftsführender Gesellschafter der Leberhilfe Projekt und weltweit angesehener Experte in Eliminierungsfragen (s. Pharma Fakten-Interview), findet das Buddy-Projekt „sehr wichtig. Es hat vor allem den Vorteil, dass sich die Notwendigkeit der Testung und der Überführung in die Therapie in der Szene rumspricht. Das ist ein sehr wertvoller Multiplikator.

Voraussetzung zur Überführung in andere Städte ist allerdings, dass sich lokal Ärzte finden, die das Projekt mittragen.“ Er macht aber auch keinen Hehl daraus, dass er solche Projekte lieber von den jeweiligen Kommunen und nicht von der Industrie getragen sehen würde.

Ohne Mikroelimination keine Elimination von Hepatitis C

Kautz stellt auch klar, dass an solchen Mikroeliminationsprojekten kein Weg vorbeiführt: „Wenn wir die Hauptrisikogruppen nicht erreichen, werden wir keine HCV-Elimination erreichen. Nicht nur, weil die prävalenten Fälle keine Therapie bekommen, sondern auch, weil dadurch die Transmission nicht eingedämmt wird. Es gibt einen Unterschied, ob man einen Sumpf trockenlegt oder nur absteckt.“ Vier von fünf HCV-Neuinfektionen sind auf intravenösen Drogenkonsum zurückzuführen, heißt es beim RKI. Ihre Infektion ist nicht nur für die Betroffenen ein Risiko, sondern sie ist es auch für andere Menschen.

Bleibt die Frage, wer sich eigentlich in Deutschland für die Eliminierung von Hepatitis C engagiert? Die Politik hat mit „BIS 2030“ einen Strategieplan entwickelt, dessen Umsetzung aber – vorsichtig formuliert – nicht gerade ganz oben auf der politischen Agenda rangiert. Medizinische Fachorganisationen wie die Deutsche Leberstiftung, einzelne, hochengagierte Ärzte und Substitutionsmediziner, AIDS- und Drogenhilfen, einzelne Kommunen oder Patientenorganisationen wie die Deutsche Leberhilfe arbeiten daran. Und es sind die forschenden Pharmaunternehmen, die die neuen Medikamente entwickelt haben. Klar, die verdienen damit Geld. Aber sollten sie erfolgreich sein, müssten sie sich in den kommenden Jahren ein neues Geschäftsfeld suchen. Denn mit einer eliminierten Krankheit lässt sich zumindest als Pharmahersteller kein Geld verdienen.

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: