Auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2019 diskutierten Experten über die Frage  wie Digitalisierung zur Erhöhung von Impfquoten beitragen kann. Foto: CC0 (Stencil)
Auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2019 diskutierten Experten über die Frage wie Digitalisierung zur Erhöhung von Impfquoten beitragen kann. Foto: CC0 (Stencil)

Digitalisierung: Der Schlüssel zu besseren Impfquoten?

„Laut Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) sind zwischen 2007 und 2017 etwa 190.000 Menschen in Deutschland an Erkrankungen gestorben, gegen die man sich impfen lassen kann“, weiß Dr. Stefan Kentrup, Head of Public Affairs bei Sanofi Pasteur. „Es steht außer Frage, dass wir deutlich bessere Impfraten in Deutschland brauchen, um uns alle vor durch Impfungen vermeidbare Krankheiten zu schützen.“ Auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit (HSK) 2019 diskutierten daher Experten über die Frage: Ist die Digitalisierung der Schlüssel zu besseren Impfraten?

„Deutschland hat […] mit einer Grippeimpfrate von 34,8 Prozent in der Gruppe der über 60-Jährigen die niedrigste Grippeimpfquote aller Industrienationen“, so Dr. Stefan Kentrup. Das ist nur ein Negativbeispiel von vielen. Auf dem HSK warf Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), einen genauen Blick auf die Impflücken: Er sprach von z.T. großen Unterschieden auf lokaler Ebene. Oft werde aber auch – wie im Fall Masern – zu spät geimpft. Zudem bestehe Nachholbedarf bei bestimmten Zielgruppen: Aktuell lassen sich laut Wieler nur etwa zehn Prozent der schwangeren Frauen in Deutschland wie empfohlen gegen Influenza impfen. „Dabei kann die Auswirkung einer Grippe-Infektion auf das ungeborene Kind sehr verheerend sein.“ Als „besonders traurig“ bezeichnete der Experte die Impflücken beim medizinischem Personal: Laut einer RKI-Studie sind nur etwa 40 Prozent (Saison 2016/2017) der Klinikmitarbeiter gegen Grippe geimpft (s. Pharma Fakten). Darunter sind Ärzte (Impfquote: 61,4 %): Sie gaben in erster Linie „organisatorische Gründe“ für die Nichtinanspruchnahme der Impfung an.

© WISO / Schmidt-Dominé
© WISO / Schmidt-Dominé

Impfgegner sind nicht der entscheidende Punkt

Wieler betonte: „Die sogenannten Impfgegner, […] das sind knapp zwei Prozent […]: Die sind nicht der entscheidende Punkt. Wir müssen diejenigen erreichen, die sich aus anderen Gründen nicht impfen lassen.“

Wieler kritisierte so etwa die mangelnde Nutzung von Patienten-Arzt-Kontakten. „Es gibt genug Kontakte. Wenn Ärzte ihrer Verantwortung nachkommen würden, würden wir höhere Impfquoten erreichen.“

Auch, dass es keine Möglichkeit der Nachverfolgung und Erinnerung ungeimpfter Personen gibt, sieht er kritisch. Hinzu komme u.a., dass das Gesundheitspersonal nicht immer ausreichend aus- und fortgebildet sei. „Die Gründe, warum man sich nicht impfen lässt, das sind nicht unbedingt Impfgegner, sondern da gibt es Alltagsgründe: Bestimmte Dinge, die kann man u.a. mit Hilfe von Digitalisierung verbessern. Es gibt viele Technologien, mit denen ich es den Menschen einfacher machen könnte.“

Daten als Grundlage im Kampf gegen zu niedrige Impfquoten

Klar ist: Grundlage im Kampf gegen zu niedrige Impfquoten bilden Daten. Das RKI verfolgt in diesem Sinne das Projekt der KV-Impfsurveillance. „Ziel der KV-Impfsurveillance ist die Aufbereitung und die Bereitstellung von Daten für die Akteure der Impfprävention. Von allen 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) werden anonymisierte Abrechnungsdaten niedergelassener Ärzte zu Impfleistungen, Kinder- und Jugendvorsorgeuntersuchungen und Diagnosen impfvermeidbarer Erkrankungen an das RKI übermittelt“, heißt es beim RKI. „Mit Hilfe dieser Daten […] lassen sich Impfquoten, die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen und Erkrankungszahlen repräsentativ für alle Bundesländer bis auf Kreisebene und für verschiedene Altersgruppen abschätzen.“ 

Grundlage im Kampf gegen zu niedrige Impfquoten bilden Daten. Foto: © Henrik Dolle - stock.adobe.com
Grundlage im Kampf gegen zu niedrige Impfquoten bilden Daten. Foto: © Henrik Dolle – stock.adobe.com

Diese Daten sind Voraussetzung dafür, dass Impfprogramme und -kampagnen auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten werden können. Zum Teil stellt das RKI die Daten digital in der „VacMap“ dar: Sie visualisiert Impfquoten – z.B. bei Masern – bis auf regionale Ebene. Der Stadtkreis München hat bei den 24-monatigen Kindern (Geburtsjahrgang 2014) demnach bei der zweiten Dosis eine Impfquote von nur 78,3 Prozent. Die Hoffnung ist, dass dieses Wissen konkretes Handeln anstößt. Zusätzlich zu den Daten des RKI verfügt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) über Informationen darüber, warum die Impfquoten sind wie sie sind. Das geht z.B. aus Umfragen und Studien hervor, die Gründe für die Nichtinanspruchnahme von Impfungen untersuchen.

Digitalisierung: Aufklärung, Impfpass, Patientenakte u.v.m.

Dr. Heidrun M. Thaiss von der BZgA weiß daher, dass eine große Gruppe an Menschen nicht Impfgegner per sé, sondern verunsichert sind. Laut Wieler kann die Digitalisierung dabei helfen, Fehlinformationen und Impfmythen im World Wide Web zu identifizieren und ggf. eine Gegen-Kommunikation zu starten. Er verwies auf die Webseite des RKI, auf der alle Informationen rund ums Impfen transparent dargestellt sind – auch zum Thema Nebenwirkungen. Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) betonte ebenfalls die Möglichkeiten der Digitalisierung, „um Informationen an die Versicherten und die Patienten zu bringen: Nicht nur in der ganz konkreten Situation, wo es anliegt sich zu entscheiden, sondern auch als Rundum-Orientierung.“ Vorbehalte gegen das Impfen mit „rationalen, verlässlichen Gesundheitsinformationen“ aus der Welt schaffen – so lautet die Devise.

© Jonas Glaubitz - stock.adobe.com
© Jonas Glaubitz – stock.adobe.com

Aber nicht nur fehlende Aufklärung ist ein Problem: Der Impfpass in Papierform wird dem 21. Jahrhundert nur wenig gerecht. Als „nicht sehr innovativ“ bezeichnete Wieler ihn. Sanofi-Vertreter Kentrup: „Seinen persönlichen Impfstatus findet man in seinem gelben Impfpass – zumindest theoretisch. Denn viele Menschen haben ihn gut verstaut, vielleicht sogar verloren oder man schaut zu selten hinein.“ Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V., bestätigte das mit Blick auf die alltägliche Praxis: „Die Verlustzahlen würde ich aus meiner Erfahrung […] bei den Männern mindestens auf 40 Prozent beziffern; bei den Frauen ist es etwas besser.“

Der Impfpass „zeigt zudem nur, wann man welche Impfungen bekommen hat. Die Transferleistung zum Impfstatus – also, ob was fehlt und wenn ja was – muss man selbst machen. Wer weiß schon als Nicht-Mediziner, wann welche Impfungen aufgefrischt werden müssen?“, so Kentrup. „Ein digitaler Impfausweis mit Impfstatus auf der elektronischen Patientenakte, der den Arzt und den Patienten erinnert, wenn Impfungen […] fehlen oder aufgefrischt werden müssen, wären ein erster guter Schritt.“

Dank Digitalisierung ans Impfen erinnert werden

Denn: Impfungen werden häufig vergessen, verschoben – und wieder vergessen. Kentrup: „Es ist doch ehrlicherweise ganz menschlich, dass man Impfungen vergisst, an die man nicht erinnert wird. Wir leben im Jahr 2019: Jeder hat ein Smartphone. […] Das Smartphone erinnert mich an fast alle Sachen: vom Friseurtermin, über die Einkaufsliste, bis hin zum Hochzeitstag. Aber in dem Bereich, wo ein potenzielles Vergessen lebensbedrohlich sein kann, da erinnert es mich nicht.“ 

Nicht nur für die Patienten könnten Erinnerungssysteme ein wichtigstes Instrument sein, sondern auch für die Ärzte: „Ein Erinnerungssystem, was schon über die Praxissoftware funktionieren würde, wäre eine riesige Hilfe. Das gibt es alles schon als Insellösungen. […] Doch es gibt nichts, was allgemeingültig für alle gilt“, erklärte Fischbach.

Ärzte: Schlüsselrolle in Sachen Impfen

Fakt ist: Die Digitalisierung kann Ärzten den Praxisalltag erleichtern. Das ist wichtig, denn sie nehmen in Bezug auf das Impfen eine Schlüsselrolle ein: „Die seriöseste Quelle, da wo Menschen sich gerne informieren lassen wollen, das sind die Ärzte“, so Thaiss. Und auch Wieler betonte: „Ärzte sind der wesentliche Meinungsbildner unter Patienten“. Für Thaiss ist das eine „große Chance“. Die Digitalisierung könne hier tatsächlich der Schlüssel sein, um Ärzte bei dem Ziel, die Impfquoten zu erhöhen, zu unterstützen. 

„Wenn wir einen elektronischen Impfausweis hätten, den man einfach einlesen kann, wo dann der Impfstatus direkt aufploppt […], dann könnte man […] die Gelegenheit der Vorstellung in der Praxis nutzen, um Nachholimpfungen zu machen. Denn in der Tat: Die meisten wollen sich ja durchaus impfen lassen und lehnen das nicht grundsätzlich ab“, so Fischbach. „Digitalisierung kann uns die Arbeitsabläufe erleichtern.“

Elektronische Patientenakte in Arbeit

Mit Christian Klose war auf der HSK-Veranstaltung auch ein Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zugegen. Das BMG will unter Jens Spahn die Digitalisierung voranbringen – und arbeitet an einer elektronischen Patientenakte (ePA), in der alle wichtigen Gesundheitsdaten (inkl. Impfstatus) gespeichert sind. Das kann noch dauern, gab Klein-Schmeink zu Bedenken. Laut Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) soll die ePA ab 2021 allen Patienten zur Verfügung stehen. Die Grünen-Politikerin appellierte, schon vorher erste niedrigschwellige Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen. 

Angebote gibt es: Die App „STIKO@rki“ z.B. „wurde für die impfende Ärzteschaft entwickelt“. Herzstück ist laut RKI-Webseite „der interaktive Impfcheck: Nach Eingabe von Alter, Geschlecht und Impfhistorie des Patienten wird dessen Impf-status überprüft, noch ausstehende Impfungen identifiziert und Empfehlungen zum Schließen bestehender Impflücken gegeben“. Außerdem gibt es in der App die Fachinformationen aller Impfstoffe, Antworten auf häufig gestellte Fragen oder News rund ums Impfen. „Das sollte den Praxisalltag einfacher machen“, so Wieler.

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