Ein Ende der AIDS-Epidemie bis 2030? Es bleibt viel zu tun.

Im Fachmagazin „The Lancet HIV“ haben Wissenschaftler weltweite Daten zu HIV veröffentlicht und einen Blick in die Zukunft gewagt. Dabei stellten sie fest: Viele der untersuchten 195 Länder und Territorien sind nicht „on track“, um die Ziele, die das Gemeinsame Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS) vorgibt, zu erreichen. Das heißt: Es muss dringend gehandelt werden – sonst bleibt das Ende der AIDS-Epidemie im Jahr 2030 ein Wunschdenken.

Fast 22 Millionen Menschen mit HIV erhielten im Jahr 2017 eine antiretrovirale Therapie (ART). Zum Vergleich: 2006 waren es noch keine drei Millionen. Dieser Fortschritt ging mit einer Reduktion der Sterblichkeit um 51 Prozent einher: „Die Zahl der weltweiten Todesfälle aufgrund von HIV hatte ihren Höhepunkt im Jahr 2006; seitdem ist sie von 1,95 Millionen […] auf 0,95 Millionen im Jahr 2017 gesunken“, schreiben die Forscher in ihrer Studie in „The Lancet HIV“. Auch die Zahl der Neuerkrankungen hat abgenommen – doch zu langsam. Nach wie vor infizieren sich jedes Jahr etwa zwei Millionen Menschen neu mit HIV. Dies alles führt dazu, dass immer mehr Menschen auf der Welt mit HIV leben: 2017 waren das 36,8 Millionen.  

Abhishek Pandey und Alison P Galvani, zwei Epidemiologen von der US-amerikanischen Yale School of Public Health, kommentieren: „Obwohl Männer im Alter von 25 bis 29 Jahren 4,2 Prozent und Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren 3,8 Prozent der weltweiten Bevölkerung ausmachen, entfallen auf sie 9,3 bzw. 10,3 Prozent aller neuen Infektionen von 2017“. Ein erhöhtes HIV-Risiko sei bei jungen Menschen v.a. mit sog. „transactional sex“, mit Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), und Drogengebrauch assoziiert. „Obwohl zwischen 40 und 50 Prozent der neuen Infektionen bei Erwachsenen in diesen Schlüsselpopulationen auftauchen, werden nur zwei Prozent der finanziellen Mittel im Kampf gegen HIV auf Maßnahmen angewendet, die darauf abzielen, die Übertragung zwischen ihnen zu reduzieren.“ Das zeige, so die beiden Wissenschaftler, „den bestehenden Bedarf an zielgerichteten Strategien“.

Ende der AIDS-Epidemie? So nicht.

3D-Abbildung des HI-Virus: ©iStock.com/Artem_Egorov
3D-Abbildung des HI-Virus: ©iStock.com/Artem_Egorov

Zielgerichtete Strategien sind tatsächlich gefragt, soll das Ende von AIDS in Reichweite rücken. Aktuell sieht es bzgl. der Ziele, die UNAIDS gesetzt hat, jedoch eher schlecht aus: Demnach soll in jedem Land die Zahl der Neuerkrankungen und Todesfälle im Vergleich zum Jahr 2010 um 75 Prozent bis 2020 und um 90 Prozent bis 2030 sinken. Doch die Wissenschaftler schreiben: Nur für „sechs Länder (Burundi, Äthiopien, Gabun, Eswatini, Sambia und Simbabwe) wurde vorausgesagt, dass sie das Ziel für 2020 in Bezug auf eine prozentuale Reduktion der Sterblichkeit erreichen“. Lediglich zwei davon schaffen laut der Experten auch das 2030-Ziel. „Prognostizierte Trends in Bezug auf die Neuerkrankungen zeigen den geringsten Fortschritt – kein Land schafft das UNAIDS Ziel für 2030.“ 

Etwas optimistischer zeigen sich die Wissenschaftler, was den Zugang zur Therapie angeht. Immerhin 54 Länder werden es demnach schaffen, dass bis 2020 81 Prozent der HIV-Infizierten eine ART erhalten, wie von UNAIDS vorgegeben. Zwölf knacken bis 2030 die gewünschte 90 Prozent-Marke. Weltweit gesehen werden laut der Prognosen nächstes Jahr fast zwei Drittel aller Patienten behandelt; 2030 sind es etwa drei von vier Betroffenen – zu wenige. 

Wird der Kampf gegen AIDS in Osteuropa und Zentralasien verloren?

Sorge macht den Autoren der Studie v.a. Osteuropa und Zentralasien. Während die Krankheitslast in vielen Ländern Subsahara-Afrikas durch vereinte Anstrengungen zurückging, nimmt sie z.B. in Russland zu. Das hat verschiedene Gründe: Eine starke Stigmatisierung, kombiniert mit begrenztem Zugang zu ART oder zu Spritzenaustauschprogrammen für Drogenkonsumenten, gehört dazu. „Es wurde bereits gezeigt, dass eine Opioid-Substitutionstherapie das Risiko einer HIV-Infektion unter Menschen, die Drogen injizieren, bedeutend reduzieren kann“, wissen die Experten. „Doch eine Opioid-Substitutionstherapie ist in Russland nach wie vor nicht verfügbar.“

HIV-Test, Foto: © iStock.com/utah778
HIV-Test, Foto: © iStock.com/utah778

Auch in vielen Ländern Westeuropas und Nordamerikas bleibt viel zu tun. Hier müssten z.B. Angebote für HIV-Tests gerade bei Hochrisikogruppen wie MSM ausgeweitet werden. In Deutschland gab es laut der Studie 2017 übrigens fast 6.500 Neuerkrankungen und 465 Todesfälle. 2020 werden wir hierzulande etwa 85 Prozent der Infizierten mit ART behandeln (Ziel erreicht); 2030 86 Prozent – nicht genug. Für 2030 rechnen die Experten in Deutschland mit 13 Prozent weniger Todesfällen als 2010 – und nicht mit einer Senkung, nein, einer Steigerung der Inzidenz um fast 44 Prozent. Immerhin: Ab 1. September übernehmen hierzulande die Krankenkassen die HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) für bestimmte Risikogruppen.

Die Deutsche Aids-Hilfe sieht darin einen „Meilenstein für die HIV-Prävention“. Die Kassenfinanzierung werde Menschen „den Zugang zur HIV-Prophylaxe eröffnen und damit zahlreiche Infektionen verhindern.“ Im Alleingang kann die PrEP die AIDS-Epidemie wohl jedoch nicht beenden – weder in Deutschland noch weltweit. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat während des G7-Gipfels im französischen Biarritz nun verkündigt, Deutschland werde den Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria in den nächsten drei Jahren mit einer Milliarde Euro unterstützen. Und auch die Europäische Union (EU) sagte zu, weitere 550 Millionen Euro in den Fonds zu zahlen. Der Globale Fonds, 2002 gegründet, ist eine öffentlich-private Partnerschaft sowie ein internationales Finanzierungsinstrument zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria.

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