Die Zukunft der Krebstherapie ist individualisiert. Was das genau bedeutet und welche Krebspatienten davon profitieren  darüber haben wir mit dem Onkologen und Krebsforscher Prof. Dirk Jäger vom Universitätsklinikum Heidelberg gesprochen. Foto: ©Union for International Cancer Control (UICC) / www.worldcancerday.org
Die Zukunft der Krebstherapie ist individualisiert. Was das genau bedeutet und welche Krebspatienten davon profitieren darüber haben wir mit dem Onkologen und Krebsforscher Prof. Dirk Jäger vom Universitätsklinikum Heidelberg gesprochen. Foto: ©Union for International Cancer Control (UICC) / www.worldcancerday.org

Krebs – eine (immer öfter) kontrollierbare Krankheit

Fachleute schätzen, dass im Jahr 2020 mehr als 500.000 Menschen in Deutschland an Krebs erkranken werden. Doch während vor 40 Jahren noch mehr als zwei Drittel aller Patienten an ihrer Krebserkrankung starben, kann heute mehr als die Hälfte darauf hoffen, wieder gesund zu werden. Einer, der dazu beiträgt, dass in den kommenden Jahren noch einmal deutlich mehr Krebspatienten erfolgreich behandelt werden könnten, ist Prof. Dr. Dirk Jäger, Leiter der Abteilung Medizinische Onkologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Forscher am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Wir haben anlässlich des Welt-Krebs-Tages am 4. Februar mit ihm über den Stand der Forschung und die Krebstherapie der Zukunft gesprochen.
Dirk Jäger, ©NCT Heidelberg
Dirk Jäger, ©NCT Heidelberg

Welche Fortschritte wurden in den letzten Jahren in der Krebsbehandlung erzielt, insbesondere im Bereich der „Immuntherapie“?

Prof. Dr. Dirk Jäger: Wir haben in den vergangenen Jahren viele neue Zulassungen von so genannten Checkpoint-Inhibitoren gesehen. Das sind Substanzen, die Immunzellen aktivieren und so das Immunsystem in die Lage versetzen, die Tumorerkrankung zu erkennen und zu kontrollieren – und im Idealfall sogar komplett abzustoßen. Die Checkpoint-Inhibitoren sind inzwischen Routinetherapie bei vielen Tumorerkrankungen. Es gibt Erkrankungen, etwa den schwarzen Hautkrebs, bei denen eine Kombinationstherapie aus verschiedenen Checkpoint-Inhibitoren inzwischen Standard ist – und zwar ohne weitere Chemotherapie.

Allerdings spricht darauf nur jeder fünfte Hautkrebs-Patient an.

Jäger: Nein, diese Zahl ist überholt, es sieht inzwischen deutlich besser aus. Wir sehen in der Kombinationstherapie beim Melanom deutlich höhere Ansprechraten von etwa 40 Prozent. Andere Tumorerkrankungen haben nicht ganz so hohe Ansprechraten. Über die unterschiedlichen Erkrankungen hinweg sind es zwischen 20 und 30 Prozent der Patienten, die auf Checkpoint-Inhibitoren ansprechen.

Für welche Krebsarten eignet sich diese Therapieform?

Jäger: Für eine ganze Reihe. Bei Bronchialkarzinomen zählen Checkpoint-Inhibitoren zur Standardtherapie, beim Blasenkarzinom, beim Nierenzellkarzinom, bei Morbus Hodgkin, unter gewissen Umständen beim Magenkarzinom – und eben beim schwarzen Hautkrebs.

Sie wollen künftig zunehmend „künstliche Immunzellen“ für die Krebsbehandlung einsetzen, die es heute bereits bei bestimmten Leukämie-Erkrankungen gibt. Wie funktionieren diese Zellen und welche Vorteile bieten sie?

Jäger: Bereits zugelassen sind so genannte CAR-T-Zell-Ansätze: Dabei werden patienteneigene Immunzellen genetisch verändert – man baut einen künstlichen Rezeptor in diese Zellen ein, der sie in die Lage versetzt, wie ein Antikörper Zielstrukturen zu erkennen und abzutöten. Diese Ansätze sind zugelassen für bestimmte Leukämie-Formen. Zielstruktur ist das Antigen CD19. Natürlich werden solche Ansätze auch für andere Zielstrukturen entwickelt. Da sehen wir aber noch nicht, wie effektiv sie wirklich sein werden. Da haben wir als Forscher noch einen Weg zu gehen.

Dennoch haben Sie kürzlich in einem Vortrag gesagt: „Wir werden in letzter Konsequenz für jede Tumorart eine individuelle Therapie designen.“ Wie muss man sich das vorstellen?

Jäger: Das sind neue Ansätze, mit denen wir tatsächlich versuchen, vorbestehende Immunantworten im Patienten zu verstehen, zu charakterisieren und spezielle Immunantworten aus diesen Patienten heraus zu klonieren. Mit anderen Worten: Wir suchen nach T-Zell-Antworten, die tumorspezifisch sind. Und wenn wir solche finden, versuchen wir, den entsprechenden Rezeptor zu identifizieren, zu klonieren und ihn dann in eine sehr große Zahl von patienteneigenen Immunzellen einzubauen. Solche Immunantworten müssen sich nicht auf Zelloberflächenstrukturen beschränken, sondern können sich auch gegen Zielstrukturen in der Zelle richten – wir haben also eine wesentlich größere Auswahl an möglichen Zielstrukturen. Wir glauben heute, dass wir mindestens bei jedem zweiten Patienten in der Lage sind, solche hochspezifischen Antitumor-T-Zell-Antworten identifizieren und klonieren zu können. Die Patienten erhalten dann eine Infusion mit hundert Millionen, vielleicht sogar einer Milliarde Immunzellen, die alle eine Zielstruktur im Tumor erkennen. Wir wissen aus den ersten Ansätzen, dass solche Therapieverfahren sehr effektiv sein können, müssen aber natürlich jetzt in Folgestudien zeigen, wie effektiv das bei größeren Patientengruppen ist.

Foto: ©iStock.com/vadimguzhva
Foto: ©iStock.com/vadimguzhva

Eine solche individualisierte Krebstherapie dürfte wesentlich teurer werden als bisherige Krebstherapien.

Jäger: Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich teurer wird. Solche neuen Therapiestrategien kosten zwar initial viel Geld für Diagnostik und für das Design der Therapie – wir kalkulieren da im Moment mit etwa 150.000 Euro pro Patient. Allerdings könnte es auch eine extrem effektive Einmaltherapie sein, die den Patienten ein sehr viel längeres Überleben garantiert. Damit kommen wir am Ende wahrscheinlich sogar billiger raus als mit langwierigen Therapien, wie sie insbesondere vorbehandelte Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren erhalten. Zumal diese neuen Verfahren auch günstiger werden, je breiter die Anwendung ist.

Wie lange wird es voraussichtlich dauern, bis es tatsächlich eine breite Therapieform ist?

Jäger: Das dürfte schon noch einige Jahre dauern. In den kommenden zwei bis drei Jahren müssen wir zunächst an ausgewählten Patientenkollektiven zeigen, dass diese Therapie machbar, sicher und effektiv ist. Dann kommt der nächste Schritt: Wie bringen wir das in die Breite und wie finanzieren wir das?

Es gibt Mediziner, die davon überzeugt sind, dass Krebs sich in den kommenden Jahren von einer oft lebensbedrohlichen zu einer chronischen Krankheit entwickelt. Sehen Sie das auch so?

Jäger: Ja, immer mehr. Wir werden nicht grundsätzlich alle Krebserkrankungen in eine chronische Phase bringen können, aber es wird uns gelingen, tatsächlich immer mehr Patienten in eine Erkrankungssituation zu bringen, die wir kontrollieren können.

Nur kontrollieren oder auch heilen?

Jäger: Krebs ist etwas völlig Natürliches, das immer wieder auftritt. Ich glaube, das Ziel der vollständigen Heilung ist ein sehr hochgestecktes. Wir können fast keine so genannte gutartige Erkrankung aus dem internistischen Formenkreis heilen. Wir können die meisten ganz gut behandeln und ich wäre glücklich, wenn wir eine ähnliche Situation bei Krebserkrankungen erreichen.

Für einige spezialisierte Zentren: andere Finanzierungsmuster. Foto: ©iStock.com/Spotmatik
Für einige spezialisierte Zentren: andere Finanzierungsmuster. Foto: ©iStock.com/Spotmatik

Welchen Wunsch haben Sie als Onkologe an Gesundheitsminister Jens Spahn?

Jäger: Ich wünsche mir ein Umdenken in der Krankenversorgungsstruktur in Deutschland. Wir brauchen, um solche neuen Therapieverfahren möglich zu machen, einige gut ausgestattete Zentren, die in der Lage sind, aufwendige Diagnose- und Behandlungsformen für Patienten umzusetzen. Und wir brauchen für solche Zentren andere Vergütungsstrukturen. Wir erleben im Moment eine politisch gewollte Situation, die dazu führt, dass viele Krankenhäuser gegen die Wand fahren. Das ist für die Weiterentwicklung der Onkologie natürlich kein fruchtbares Umfeld. Zumindest für einige spezialisierte Zentren in Deutschland brauchen wir komplett andere Finanzierungsmuster.

Aber es gibt solche Zentren doch schon.

Jäger: Es gibt sie, aber sie haben keine andere Finanzierung. Das heißt, die Finanzierung der Krankenversorgung ist überall gleich, vom Kreiskrankenhaus bis zum spezialisierten Tumorzentrum. Solche Zentren entwickeln aber mit großem Aufwand neue, innovative Therapiestrategien, die letztlich sehr vielen Patienten zugutekommen. Das sollte der Gesundheitsminister anerkennen und auch finanziell fördern.

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