Im Kampf gegen COVID-19 geht vieles plötzlich ganz schnell  was sonst Jahre dauert. Ein Zufall ist das nicht. Foto: ©iStock.com/CasPhotography
Im Kampf gegen COVID-19 geht vieles plötzlich ganz schnell was sonst Jahre dauert. Ein Zufall ist das nicht. Foto: ©iStock.com/CasPhotography

Coronavirus-Pandemie: Die Stunde der privat-wirtschaftlich organisierten Forschung

Kein Tag ohne Meldungen über neue Projekte und Kooperationen: Bei der Bekämpfung der durch COVID-19 ausgelösten Krise geht vieles plötzlich ganz schnell, was sonst Jahre dauert. Ein Zufall ist das nicht. Ein Kommentar von Florian Martius.

Das Corona-Virus hat vieles in Gang gebracht. In Universitäten, Kliniken, Laboren, Forschungsinstituten und Pharmaunternehmen wird geforscht, getestet, gelernt, verworfen, Neues probiert, weitergeforscht – und das sprichwörtlich rund um die Uhr. Plötzlich muss schnell gehen, was sonst Jahre dauert. Es geht um Zeit – denn es sterben Menschen. Aber nicht nur das: Es geht um die Existenzgrundlagen sehr vieler Menschen – schon heute wissen einige, dass sie ihr Geschäft nie wieder werden aufmachen können. Jedes Instrument, das die Krise verkürzen kann, ist wertvoll.

Florian Martius. Foto: ©pharmafakten
Florian Martius. Foto: ©pharmafakten

Forschende Pharmaunternehmen rotieren. „Noch nie haben Pharma-Unternehmen und Forschungseinrichtungen so schnell auf einen neuen Erreger reagiert wie auf das neue Coronavirus Sars-CoV-2, das die Krankheit COVID-19 hervorruft“, heißt es beim Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa). Das Handelsblatt schreibt von einem „Generalangriff auf COVID-19“ und stellt fest: „Wohl noch nie in ihrer Geschichte hat sich die Pharmabranche so schnell und intensiv auf eine neue Krankheit fokussiert wie nun im Fall der Coronavirus-Pandemie.“ Gearbeitet wird an Impfstoffen, an der Entwicklung von Arzneimitteln, an Diagnostika. Neue Medikamente werden fieberhaft gesucht, bekannte Wirkstoffe wieder aus dem Schrank geholt. Aktuell ein Medienstar ist ein Präparat, das es trotz rund zehnjähriger Forschung bisher nicht zu einer Zulassung gebracht hat. Aber plötzlich laufen weltweit Studien, weil es im Labor gezeigt hat, dass es gegen COVID-19 aktiv ist.

Coronavirus-Pandemie: „Bestehende Medikamente größte Hoffnung“

Auf dem „Repurposing“, der Umwidmung von Wirkstoffen auf andere Indikationen, ruht jetzt die Hoffnung (Pharma Fakten berichtete). Denn ihre Verträglichkeit und ihr Nebenwirkungsprofil sind weitgehend bekannt; aufwändige Studien können übersprungen werden. Außerdem bestehen bereits Produktionskapazitäten – ein gewaltiger Vorteil, wenn man ganz schnell sehr viel braucht. „Bestehende Medikamente sind die größte Hoffnung”, erklärte Bayer-Chef Werner Baumann aus dem Homeoffice gegenüber n-tv.

Und so wird aus dem Malaria-Medikament Resochin plötzlich ein Kandidat gegen das Corona-Virus. Phase I- und Phase II-Studien können übersprungen werden. Die Wissenschaft kennt das Produkt seit über 80 Jahren. „Was im Moment wirklich zählt, ist die Zeit“, sagt der Bremer Pharmakologe Professor Bernd Mühlbauer gegenüber dem Weser-Kurier. Er ist in Deutschland federführend für eine von der Weltgesundheitsorganisation initiierte Studie mit vier bekannten Arzneimittelkandidaten. Medikamente mit einer Vorgeschichte schenken ihm diese Zeit.

Gegen Ebola war Remdesivir wirksam. ©iStock.com/Motortion
Gegen Ebola war Remdesivir wirksam. ©iStock.com/Motortion

Auch ein Blick auf die Geschichte von Remdesivir lohnt sich, um zu verstehen, wie pharmazeutische Forschung funktioniert. Das Virostatikum hatte zwar noch nie eine Zulassung, aber das Unternehmen, das mit dem Kampf gegen Viren groß geworden ist, forscht daran seit 2009 – u.a. gegen Ebola, aber auch gegen MERS-, SARS- und Marburg-Viren. Gegen Ebola war Remdesivir übrigens – anders, als das kolportiert wird – wirksam. Aber andere Arzneimittelkandidaten waren besser. Forscherpech? Das Unternehmen hat den Wirkstoff trotzdem nie aufgegeben. Vielleicht ist das jetzt für uns alle ein großes Glück.

Weil irgendjemand bei Gilead an den Wirkstoff geglaubt hat, sind die Forschungen weitergegangen. Deshalb stehen für die klinischen Studien und die Härtefallprogramme für Menschen, denen die Therapieoptionen ausgehen, jetzt Vorräte zur Verfügung. Und Produktionskapazitäten. Nicht irgendwann. Jetzt. Und vielleicht – bisher nur vielleicht – könnte dieses Fläschchen mit der unscheinbaren Flüssigkeit ein wichtiges Puzzlestück sein, um der Pandemie die Luft zu nehmen.

Coronavirus-Krise: Kooperation ist das Gebot der Stunde

Plötzlich ist Kooperation, wo gestern Konkurrenz war. Zusammenarbeit ist das Gebot der Stunde. Beim internationalen Pharmaverband IFPMA ist zu hören, dass die Unternehmen seit Beginn der Krise ihre Wirkstoffbibliotheken durchkämmen, um weitere Kandidaten zu identifizieren. Sie stellen Behörden und anderen Unternehmen ihre Daten, ihre Expertise zur Verfügung, suchen nach Wegen, Impfstoffe und Medikamente schneller als bisher zu produzieren und helfen, wo Hilfe benötigt wird.

CC0 Stencil
CC0 Stencil

Bei Boehringer Ingelheim sucht seit Januar ein wachsendes Team von mehr als hundert Wissenschaftlern nach neuen Behandlungsmöglichkeiten. Den Aufruf der Innovative Medicines Initiative (IMI) der Europäischen Union, klinische Studien voranzutreiben, will das deutsche Unternehmen mit mehr als 11.000 Arbeitsstunden in Forschung und Entwicklung unterstützen. Es beteiligt sich am Forschungsprogramm der Bill & Melinda Gates Stiftung. Auf seinem Portal opnMe.com (Pharma Fakten berichtete) bietet das Unternehmen Wissenschaftlern sechs antivirale Substanzen für die kostenfreie Verwendung im Rahmen eigener Forschungshypothesen an. Das sind nur wenige Beispiele von vielen.

Glaubt man einigen Wissenschaftlern, ist nach der Pandemie lediglich vor der Pandemie. Für den Molekularbiologen Pierre Meulien, Geschäftsführer der „Innovative Medicines Initiative“ (IMI) sind sie ein „Zeichen der Zeit“, „nicht unerwartet“, weil sie damit zusammenhängen, dass das „Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur […] auf den Kopf gestellt“ ist. Schon jetzt werden Rufe laut, dass das Gesundheitssystem nach durchgestandener Pandemie auf den Prüfstand muss. Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang auch einmal diskutiert werden, welche Rolle dabei eine forschende Pharmaindustrie spielen kann, die hierzulande lediglich als Kostenfaktor betrachtet wird – und weniger als eine Investition in die Gesundheit von morgen.

Ohne das über Jahrzehnte gesammelte Wissen zur Entwicklung von Impfstoffen und Therapien, ohne die Rückschläge und die Lehren daraus und ohne die deshalb heute verfügbaren Wirkstoffe und Forschungsansätze würde uns die Corona-Krise noch viel härter als ohnehin treffen und würde wahrscheinlich länger dauern. Die Hoffnungsträger von heute sind das Ergebnis früherer Forschung und Innovation.

Bayer-Chef Baumann: „Der Wert der Wissenschaft“

Hoffnungsträger von heute sind das Ergebnis früherer Forschung. ©iStock.com/CasPhotography
Hoffnungsträger von heute sind das Ergebnis früherer Forschung. ©iStock.com/CasPhotography

Noch einmal Bayer-Chef Baumann: „Ich glaube, es wird auch eine neue Diskussion über den Wert der Wissenschaft und vor allen Dingen der wissenschaftlichen Leistungen geben, die dazu führen, dass Menschen ein gutes und sicheres Leben führen können.“ Man könnte auch sagen: Eine gut eingespielte forschende Pharmaindustrie, die wissenschaftlich und wirtschaftlich erfolgreich arbeiten kann, ist eine gute Versicherung gegen globale Gesundheitskrisen. Einige von ihnen verlaufen so prominent wie die Coronavirus-Pandemie – andere eher im Hintergrund, wie z.B. die Entwicklung der Arzneimittelresistenzen oder die Adipositas-Epidemie, die in Zukunft für die Gesundheitssysteme eine der größten Herausforderung zu werden drohen; Medikamente gegen Folgeerkrankungen wie Fettleber und Co. werden noch gesucht.

Die privat-wirtschaftliche Forschung ist eine Innovationsmaschine. Eine Lehre aus der Pandemie ist jetzt schon: Wir brauchen mehr davon.

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